9. April 2010

"Idole zu treffen, ist oft sehr ernüchternd"

Interview geführt von

Unsere alten Punkkumpel Fehlfarben sind endlich auf Tour mit dem jüngst erschienenen und gewohnt gelungenen Album "Glücksmaschinen". Einmal mehr analysieren Peter Hein und Co die kleinen Befindlichkeiten und großen Befremdlichkeiten der heutigen Zeiten.Was liegt da näher, als die Chance zum Gespräch zu nutzen. Denn ein Interview mit dem Bandchef ist stets ein besonderes und nicht im geringsten kalkulierbares Ereignis.

Also treffe ich den scharfzüngigen Fehlfarben Sänger an einem regnerisch trüben Spätnachmittag in Bremen. Dort findet Hein - selbstironisch aber kompromisslos wie eh und je - deutliche Worte für alte Feindbilder, die aktuelle deutsche Musikszene und die zeitlose Frage, was denn überhaupt Punk sei.

Ihr habt gerade die Tour zur aktuellen Scheibe "Glücksmaschinen" begonnen. Aber warum sind darauf nur acht neue Songs mit lediglich etwas über 30 Minuten Spielzeit?

Peter Hein: Weil uns nicht mehr eingefallen ist.

Das ist betrüblich.

Nein, gar nicht mal. Wir haben die uns zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll genutzt. Dann war es aber auch mal gut. Ich befinde mich jetzt in einer Phase, in der ich dieses ganze zwanghafte Ausreizen des CD-Formats ablehne. Der ganze Quatsch mit Hidden Tracks und so! Nein! Alles was man zu sagen hat, muss in zwei mal 15 Minuten gesagt werden können. Sonst taugt das sowieso nichts.

Ich wollte dich ja nicht zum epischen Artrocker machen. Meinst du, wie früher in den 80ern Bad Religion? Da waren manche Alben auch nur 27 Minuten lang.

Oder die Ramones mit einem 35-Minuten-Album. Aber die haben das im Grunde richtig gemacht. Es ist doch heute nun wirklich nicht mehr so, dass die Ausdehnung der Spielzeit den Mehrwert der CD verkörpert. Ich hol mir meine privaten Scheiben ja gern mal für 6,99 bei 2001 vom Grabbeltisch. Die haben ganz klassisch auch nicht mehr als ca 40 Minuten. Bei einer neuen und teuren Platte möchte ich als Hörer natürlich auch etwas bekommen für mein Geld. Aber das hört man doch auf den meisten neuen Sachen gar nicht. Die gehen mir nach einer Dreiviertelstunde dann ohnehin auf den Sack. Das halte ich gar keine 70 Minuten durch. Und wir ja auch mit dem neuen Album! Auch wieder die 3-Minuten-Grenze für Songs überschritten und reihenweise 5-Minuten-Songs darauf. Das muss alles noch straffer werden. Alles viel zu lang (Fängt an, nicht unerheblich zu grinsen).

Dann bist jetzt auf dem Minimal-Trip oder wie? Bei meinem Lieblingssong der neuen LP – "Respekt" – wartet der Hörer ja auch Hände ringend gefühlte 10 Minuten, bevor du dem angesprochenen Pöbel mit Wucht deine Verachtung vor die Füße rotzt.

Das fügt sich später alles hervorragend in meinen Werkkatalog ein.

Ist die musikalische Annährung an die Punklegenden Kollegen EA80 – wie z.B. im Titelstück – bewusst entstanden? Das hat man früher so nie rausgehört. Fühlt ihr mit denen eine gewisse künstlerische Verwandschaft?

EA80? Nein, oder doch? Das kommt mir jetzt aber ein wenig an den Haaren herbeigezogen vor.

Könnte gleichwohl stimmen. Ihr kennt euch auch nicht von früher?

Doch, doch. Wir kennen die. Deshalb werde ich etwas nachdenklicher. Ich hab die ja früher auch so zwei bis drei mal live gesehen. Die sind schon sehr gut. Da gefällt mir aber auch nicht alles. Die hatten auch weniger ansprechende Phasen. Aber insgesamt sehr gut.

Und textlich? Kommt jetzt, da alles Relevante zum Lande gesagt scheint, der Rückzug ins Private? Bei "Neues Leben" habe ich gar den Eindruck, du sängest über One Night Stands und versehentliche Schwangerschaft. Das ist schon ungewohnt.

Jetzt werde ich dir nicht widersprechen. Ich sage aber auch nicht, dass es genau so zu sehen ist. Ich erkläre das Eigene ungern interpretativ.

Verstehe ich gut. Dennoch frage ich dich erneut.

Ok, dann sage ich, dass es dezidiert und explizit nicht nicht so gemeint ist, wie du und andere das vielleicht nachvollziehbar deuten. Aber ich will da nichts vorgeben.

Lass uns bitte kurz eure Anfänge und das morgendlich dämmernde Beginnen der Punkbewegung in den 70ern beleuchten. Man kann allenthalben lesen, du wärst der erste Düsseldorfer Punk gewesen und hättest sogar das Tragen schwarzer Lederjacken dort mit zum Trend erhoben. Andererseits sagen viele, dass gerade im Raum Düsseldorf Tommi Stumpff und sein KFC das erste und damals alleinige Punkmaß aller Dinge waren. Wie siehst du das?

Also der KFC war, außer in seiner eigenen Einschätzung, eigentlich immer ein Haufen der ewig Zuspätgekommenen. Punk war für mich immer etwas anderes, als die Definition, die der KFC und andere dem Punk gegeben haben. Das war beim KFC damals so, dass Prügeleien angezettelt wurden und wirklich schlechtest vorstellbare Musik gemacht wurde. Das war unser Anliegen nicht. Aber wir waren definitiv nicht die ersten Punks in Düsseldorf. Und der KFC kam tatsächlich in diese bereits bestehende Subkultur hinein, nach uns und spielte sich auf. Die meinten, man könne auch mit Saufen noch provozieren. Das war damals nun wirklich überall verpönt. Ich meine, der Tommi konnte schon ein bisschen Gitarre spielen. Aber nicht so viel. Die anderen, ich meine Bassist und Schlagzeuger, konnten wirklich gar nichts.

Ihr konntet damals also nicht sehen, dass der Kollege Stumpff später selbst ein großer künstlerischer Pionier für EBM und Techno wurde?

Nein, das war damals noch nicht so sichtbar. Aber der hat ja wirklich seinen Weg gemacht im elektronischen Bereich.

Okay, ihr habt in der Vergangenheit sicherlich bewusst zur Bildung eines konstruktiven Punkbegriffs beigetragen, der kritisch analysiert. Doch was würdest du einem Hörer erklären, der dir heute sagte: 'Das klingt ja musikalisch und gesanglich genau wie 1980 und ist für mich in den veränderten Zeiten der Globalisierung gar nicht mehr relevant sondern ärmlich'?

Ich würde sagen: "Das kann ich mir nicht vorstellen!" Ich kann mich gar nicht daran erinnern, damals so einen Scheiß gehört zu haben. Ich habe 1980 zwar viele Sachen gehört, die besser waren als unsere. Aber ich habe niemanden gekannt, der bessere Musik gemacht hätte als wir.

Das heißt, die Kritik des Hörers ist dir egal?

Nein, ich gehe dann immer in den Keller und haue wie von Sinnen auf einen Sack Kohlen ein. Aber dann komme ich wieder rauf und sage: "Egal!" Denn so etwas ist einfach gar kein Argument, was ich als Kritik nachvollziehen könnte. Kein Inhalt! Worüber sollte ich da reden? Ich lasse den Leuten ja immer gerne ihre Meinung, außer sie ist menschenverachtend.

"Wir wurden vom Hilfsgitarristen des Superstars aus der Garderobe geworfen"

Wo wir gerade bei menschenverachtend sind ...

Nein, ich kenne Herrn Funny Van Dannen nicht!

Bitte wie? Du möchtest, dass wir über Funny van Dannen sprechen?

Nein, ich habe den zwar aus mir selbst unverständlichen Gründen gerade ins Gespräch gebracht. Aber ich will ja hier nichts über den Mann sagen. Das würde ja alles gedruckt werden.

Egal, lass es raus!

(Lachend) Ja, das will ich natürlich auch alles lesen.

Wirst du. Vor einiger Zeit haben die Goldenen Zitronen auf laut.de im Gespräch sinngemäß postuliert, dass momentan alles erst noch schlimmer werden müsse, bis es sozial und politisch besser werde. Und man könne das eigentlich nur aus einer Stärkung der privaten Lebenssituation heraus überstehen.

Nee, das passt jetzt irgendwie nicht. Das würde doch bedeuten: Wenn die Diskursfuzzis zu Hause sitzen und fernsehen, dann ist das politisch! Und wenn ich das mache oder jemand anders, dann wäre das bestenfalls nichts und im schlimmsten Falle Rockismus, oder was?

Ich glaube, so überzogen meinen die das nicht. Es geht um Vernetzungen jeder Art.

Ja okay, das ist dann natürlich schon in Ordnung. Ich bin aber schon dafür, dass jeder selber sehen sollte, wo er bleibt und jeder auf seine Art vor die Schnauze kriegt. Es reicht doch, wenn man mal emailt. Warum muss das alles immer so öffentlich sein oder so allumfassend? Ich halte nichts von diesen Anleitungen. Und das bezieht sich auch auf das Knüpfen von Seilschaften. Das steht mir einfach nicht.

Du wirkst immer so dermaßen autark, dass ich mich frage, mit wem du denn gern mal jammen würdest.

Ich würde mit niemandem gerne jammen.

Warum?

Das hat gar nichts mit den anderen Musikern zu tun. Ich bin einfach vollkommen Jam-unfähig. Aber dafür war ich schon immer diplomierter Jam-Fan. Aber das ist ja nun etwas vollkommen anderes. Wenn gejammt wird, stehe ich immer blöd daneben und wünsche mich immer woanders hin.

Das heißt, du würdest sogar Paul Weller einen Korb geben?

Ich bin dem Paul doch nur ein einziges Mal über den Weg gelaufen. Das war auch schon alles.

Das ist deutlich mehr, als die meisten Leute von sich sagen können.

Sehe ich ein. Aber das war auch gar nicht toll. Bei mir hat diese kurze Begegnung mit Weller vor langer Zeit dazu geführt, dass ich mich von diesen ganzen Häuslebauern so dermaßen entfernt habe. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Es hat Wochen gedauert, bis ich wieder Jamplatten hören konnte. Und mal im Ernst: Die Situationen, in denen man solche Leute idolähnlich irgendwo trifft, sind oft sehr, sehr ernüchternd. Davon können doch auch viele ein Lied singen, die mich persönlich kennengelernt haben. Das funktioniert doch alles nicht. Was weiß ich? Iggy Pop jetzt zum Beispiel. Da bin ich heute nicht mehr scharf drauf, etwas gemeinsam zu machen.

Gerade bei 'The Ig' hätte ich persönlich totale Lust. Der ist doch ein guter Typ. Wo liegt dein Problem?

Ja, aber es ist dann doch ein wenig ernüchternd, wenn man als Vorgruppe vom Hilfsgitarristen des Superstars aus der Garderobe geworfen wird, weil jetzt der Herr Rockstar dort speisen möchte, obwohl er eigentlich drei Wohnwagen nebenan stehen hat.

Wenn so etwas nicht auf Augenhöhe statt findet, hat es natürlich auch keinen Sinn.

Wobei ich das natürlich auch gar nicht erwarten darf. Denn der kennt mich ja auch nicht. Man kann ja von anderen auch nicht immer alles verlangen. Aber bei Joe Strummer war das trotzdem ganz anders. Das war gut.

Das hat jetzt auch alles nichts mehr mit meiner Ausgangsfrage zu tun.

Na, wir sind auch alle nicht diese Muckertypen. Jammen hätte musikalisch einfach nichts gebracht. In früheren Zeiten wäre so was schon daran gescheitert, dass wir alle gar nicht richtig klampfen können. Unsere Musik entsteht einfach anders. Der frische Wind entsteht bei uns nicht durchs Rumjammen. Ich mach nur was mit Leuten, die auch nix geworden sind.

Was heißt "nix geworden"? Ihr habt in Deutschland doch Legendenstatus, oder?

Naja ...

Ok, vielleicht jetzt nicht unbedingt von der kommerziellen Seite her betrachtet. Aber man hört euch doch zu, so ihr die Stimme erhebt. Oder fühlst du dich tief im Innern doch unverstanden als Künstler?

Na, unverstanden nicht. Also meistens nicht. Das ist echt nicht das Problem. Aber wenn man sich auf der einen Seite anhören muss, wie toll man das alles macht. Doch dann stellt man nach so vielen Jahren trotzdem fest, dass man betteln muss, damit überhaupt die nächste Platte gemacht werden kann. Damit das alles so aufgeht, dass noch 'n bisschen Kohle übrig bleibt, damit man für die Scheiße nicht doch wieder ins Büro muss. Und mit knapp 70, untermotiviert und überbezahlt: Da hast du im Büro keine Chancen mehr.

Bushido, Helden, Silbermond: "Definitiv null! Nichts! Gar nichts!"

Apropos 'Keine Chancen mehr': Hast du nicht auch den Eindruck, dass deine "Knietief Im Dispo"-Scheibe eigentlich jetzt hätte erscheinen müssen? Immerhin ist mittlerweile alles Gruselige und Realsatirische in unserem Land eingetreten. Stört es dich, dass dein Hellsehertun weitgehend unbemerkt blieb?

Ja, das ist ja bei meinen Texten oft so zeitlos. Ich muss heute noch bei etlichen Mipau-Stücken (Anm. der Red.: "Mittagspause", Heins Band vor Fehlfarben mit u.a. Gabi Delgado von DAF.) ansagen, dass die Songs von 1979 sind. Das glaubt sonst keiner. Ich bin ja schließlich auch oberlehrermäßig drauf und didaktisch ein Arschloch. Ich will auch einfach zeigen, dass ich mehr weiß als alle anderen. Ich will es denen nicht beibringen. Aber raushängen lassen muss man das schon. Das geht alles immer noch. Kein Unterschied! Und irgendwie müssen sie ja alle wissen, dass sie in der Misere stecken.

Meinst du ernsthaft, das wäre noch nicht all deinen Hörern klar?

Entschuldigung. In der Bildungsmisere meinte ich selbstverständlich. Es geht nicht nur darum, Knöpfe zu drücken.

Dann bist du auch so ein Typ, der sich sehr geschmeichelt fühlen würde, wenn die Hein-Texte mal neben den Heine-Texten in Schulbüchern stünden, wie vereinzelt schon bei Rio Reiser?

Klar, Schulbücher verkaufen sich zwangsweise gut und bringen viel Geld. Das würde ich natürlich wiederum anprangern, aber ok.

Selbstverständlich. Doch zurück zur Ausgangsfrage. Heißt das alles, dass wir uns vom geistigen Klima her betrachtet im Grunde immer noch in der selben Soße befinden wie 1979?

Na gut, immerhin ist Helmut Schmidt inzwischen nicht mehr in der Lage, eigenhändig zu rauchen. Der hat bestimmt irgend so ein Rauchgerät oder so. Die ganzen Feinde sind einfach viel älter geworden. Kohl jetzt 80 und auch nicht mehr so fit.

Und heute sind also keine Leute mehr da, die du noch als Feindbilder ernst nehmen kannst?

Ach Gott, Guido und Konsorten! Das finde ich auch nicht so ergiebig. Deshalb bin ich ja weg nach Österreich. Da gibts ja noch richtige Feindbilder. Da wird den Asylanten noch mal gezeigt, wo das Arbeitslager ist.

Nachdem du - wie du selbst eben sagtest - heutzutage trotz aller künstlerischer Relevanz nicht ganz die selben Verkaufszahlen hast, wie die ganz großen Bands. Würdest du auch englischsprachige Mainstream-Rockmusik machen, so der Erfolg garantiert wäre?

(Nachdenklich) Weißt du, englische Texte ...... wenn die nicht von mir wären, sondern von einem englischsprachigen Menschen, würde ich die auch machen. Aber wenn das so merkwürdige deutsche Bands machen, habe ich da ein Problem.

Was für deutsche Bands meinst du da?

Na, der deutsche Popexport! Diese ganze Popkomm-Kacke! Dieses Pigeon Englisch oder so. Von denen würde ich mir natürlich nix schreiben lassen. Und für mich persönlich wäre das eigentlich nichts. Was sollen die Amis denn anfangen mit so einem abgehalfterten deutschen Deppen?

Gibt es denn hier keine aktuellen Bands, die dir gefallen?

Wen?

Von Bushido bis Wir sind Helden und Silbermond?

(Energisch) Wenn das die Parameter sind: Nein! Wenn du mir jetzt einige Leute gezeigt hättest, die aus deinem Bekanntenkreis sind, aus dem Proberaum oder in deiner Umgebung spielen, dann könnten da sicherlich junge Leute dabei sein, die mir auch was geben. Aber deine gerade genannten: Definitiv null! Nichts! Gar nichts! Auch nicht der Mühe wert, noch länger darüber nachzudenken.

Du machst also nicht mit bei der zweifelhaften Lobhudelei, wenn etwa Lindenberg mal wieder Silbermond oder Delay über den grünen Klee lobt?

Ja gut, aber ich bitte dich. Da frage ich mich doch auch: Wer lobt denn da? Da weiß man doch Bescheid! Da machst du den Sack zu und triffst immer die richtigen.

Du bist nun auch schon Anfang 50. Hast du keine Angst davor, dass die wavige Punkschiene und das wilde Rockertum ab einem bestimmten Punkt anstrengend und clownesk wird?

Ich hab ja noch Zeit. Da hab ich doch noch locker 15 Jahre, bis ich dann mit den Drogen anfange.

Lieber Peter, vielen Dank für das Gespräch.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Fehlfarben

Deutsche Texte gelten seit der Nachkriegszeit lange als Domäne der Schlagermusik, mit der die jüngere Generation nichts am Hut haben will. Erst in den …

Noch keine Kommentare