laut.de-Biographie
Forget Cassettes
Natrium und Chlor, die zwei Elemente, aus denen sich Salz zusammensetzt, zählen in der Periodentabelle zu den zwei flüchtigsten Substanzen. Wenn sie sich zu Salz zusammenschließen, entsteht aber kein ebenfalls instabiles Molekül, sondern eine der wandlungsfähigsten und solidesten Verbindungen überhaupt. Salz ist auch ein integraler Bestandteil des Ozeans, einer gigantischen Wassermenge, die Chaos und Traumata mit sich bringen kann.
Siehe New Orleans im September 2005. "This city is a bad lover / Too quick and inattentive / Let's sink this city and build ourselves / Over", singt Beth Cameron in "The Catch". Ein Angriff auf die mehr als bloß unzureichende Reaktion der US-Katatrophenschutzbehörde. "'The Catch' handelt von Städten und unseren Beziehungen zu ihnen. Wenn sich ein Ort nicht nach unseren Vorstellungen entwickelt, opfern wir ihn." Die Stadt als Heimat, die Stadt als der Flecken Erde, von dem man mitunter das Gefühl hat, fliehen zu müssen. Forget Cassettes, das Dreigespann aus Nashville, Tennessee, kennt dieses Gefühl nur allzu gut.
Multi-Instrumentalist Jay Leo Philips und Drummer Aaron Ford stammen ursprünglich aus anderen US-Südstaaten, nennen Tennessee aber seit langem ihr Zuhause. Als Duo mit Trail Of Dead-Schlagzeuger Doni Schroader gegründet und mittlerweile wieder zum Duo geschrumpft, findet die erste gemeinsame Show von Beth, Jay und Aaron im Juni 2005 statt. "Ich habe mein Ja ohne zu zögern gegeben", kommentiert Ford die Einladung. Schließlich hatten er und Cameron bereits einige Zeit zuvor in der Band Fair Verona zusammen gespielt.
Beim Betrachten einer ihrer Liveshows ist schnell klar, welch unberechenbare Chemie zwischen den Dreien herrscht. Die Frage stellt sich, ob eine chemische Reaktion mit drei statt zwei Elementen prinzipiell explosiver wäre. Gäbe es dafür ein erklärendes Naturgesetz, Forget Cassettes wären der optische wie hörbare Beweis. Sie zeigen, dass eine übersichtliche Mitgliederzahl keineswegs mit Schmalspursound einhergeht. Niemand kann der Band wohl vorwerfen, musikalische Komplexitäten zu meiden.
Wirbelten Beth und Doni, die seit 2007 wieder den Kern der Band ausmachen, mit dem Erstling "Instruments Of Action" bereits eine Menge Staub auf (u.a. Tourneen mit besagten Trail Of Dead), hebt "Salt" den Sound aufs nächste Level. Mehr Intensität, mehr Energie. In den komplexen Kompositionen spiegeln sich die tiefer gehenden Bedeutungen dieser Songs über Bestimmung und Transformation. Simpel war das Trio mit seinen oft Fünf-Minuten-und-mehr-Songs jedoch noch nie, die die breite Skala zwischen laut/leise, schnell/langsam fahren. "Salt" stellt vielmehr den jederzeit spürbaren Feinschliff dar.
Welche Bezeichnung die Musik genau trägt? Schwierig zu sagen. Es scheint fast, als sei die Band stolz auf ihren chamäleonartigen Sound, der sich in wenigen Minuten zigfach häutet. Viele Songs adressieren Vorstellungen von verschwundener Liebe: Jemanden körperlich nah bei sich zu haben, wenngleich dieser Jemand gefühlsmäßig unerreichbar ist. Die Stücke besitzen eine Unmittelbarkeit, eine zornige Intensität und Emotionalität zu den erschütternden Momenten, die das Leben und das Verlieren ausmachen. Und obwohl man sich in solchen Momenten möglicherweise danach fühlt, sämtliche Dämme brechen zu lassen und ganze Ozeane mit Tränen zu füllen, erinnern Forget Cassettes an eines: Salz heilt auch Wunden. Manchmal muss es schmerzen, damit es besser wird.
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