9. März 2021

"Peter Fox war wie der FC Bayern"

Interview geführt von

In einem sehr ausführlichen Interview gibt Fotos-Sänger Tom Hessler Auskunft über die Zeit nach dem Hype, ein Treffen mit Stefan Raab und eine Karriere im Schatten kommerzieller Erfolge.

Irgendwann 2006, nach einer gut durchzechten Nacht in der Disco "Pulp" in Duisburg: Ich wanke gut angeschickert über den Parkplatz in der Hoffnung auf ein Taxi, das mich nach Hause bringt. Auf der MP3-Player-Playlist läuft zwischen Maximo Park, Thermals und Futureheads ein Song, den ich immer und immer wieder auf Repeat abspiele: "Es reißt uns auseinander". Ein zackiger Indie-Hit, der mich aus dem Halbkoma heraus holt. Ich bin 26, mein ganzes Leben fühlt sich immer noch überlebensgroß an und ich starre auf die leere nächtliche Autobahn. "So viele Menschen fahren die Bahnen / Dreh'n sich in Kreisen in diesen Tagen / Ich halte die Stadt an für eine Sekunde / In ihren Schatten sehen wir uns wieder." Das Leben ist übertraurig, übergroßartig und übereuphorisch.

Schnitt.

Januar 2021. Alles fühlt sich wie ein gleichförmiger Strom an. Donnerstag, Freitag oder doch Dienstag? Wer weiß das noch? Soziale Kontakte finden fast nur noch über Videocall statt, Interviews auch schon länger nur über Zoom oder Skype. In seinem Wohnzimmer sitzt Fotos-Sänger Tom Hessler. Die Jahre sind rein optisch scheinbar an ihm vorbei gegangen, er sieht immer noch aus wie zu Zeiten des 2006er-Debüts, das die Major-Plattenfirma Warner damals als "deutsche Antwort auf Maximo Park" bewarb. Major-Vertrag in der Tasche, Auftritt bei Stefan Raab, doch danach beschritt seine Band einen Weg, der nicht in den Kommerz, sondern in die schwierige künstlerische Unabhängigkeit führte. Wie geht es Tom Hessler damit und wie fühlt er sich mit seinem neuen Album "Auf zur Illumination", das sogar seine Band spaltet? Ein Nachmittag auf Skype mit Einblick in eine Neuköllner Bude gibt Aufschluss.

Hey Tom! Wie geht es dir?

Tom Hessler: Ganz gut. Ich habe auch eine Zeitlang Leute interviewt und da ein paar Kandidaten vor dem Mikro sitzen gehabt, die so überhaupt keinen Bock hatten. Das ist wirklich ein Albtraum. Herman Dune waren ganz schlimm und ein Interview mit Grizzly Bear war auch eher zäh. Ich hingegen erzähle immer zu viel. Als ob man so ein Wahrheitsserum in mich hinein spritzt und ich dann aus dem Nähkästchen plaudern muss.

Das ist für mich eigentlich perfekt! Mal sehen, ob es auch für dich so gut wird.

Ich bin ein Kind der 90er und fand es natürlich immer geil, wenn Bands wie Oasis in ihren Interviews alles so ungefiltert rausgehauen haben. Allerdings muss man dann auch die Eier haben und den Gegenwind aushalten. Ich habe mal zu den Anfangszeiten der Band im Interview freimütig eine Story über jemanden aus der Musikindustrie erzählt, der mich dann nachts anrief und richtig getroffen war von meiner Aussage. Ich habe ihn nicht mal persönlich angreifen wollen und der gibt sich da die Blöße und ruft wütend einen 22-Jährigen an. Ach, siehst du und schon packe ich hier die Story aus!

Ja super. Hau raus die Storys! Ich erinnere mich an mein Interview mit Gewalt, dem Patrick Wagner brauchst du auch nur ein Mikro hinzustellen.

Haha, mit dem werde ich wahrscheinlich nicht mithalten können. Ach eigentlich habe ich eh keine große Angst mehr, dass ich hier im Interview verkacke. Heutzutage ist eh schon schwer genug, dass überhaupt jemand so etwas liest und es zu dem Rezipienten gelangt. Eigentlich bin ich überhaupt schon froh, wenn jemand meine Musik entdeckt und hört. Ich habe letztes Jahr das Album hier alleine geschrieben, produziert und dann an die Band geschickt. Selbst bei den Leuten, mit denen man befreundet ist, musste diese Info erst einmal durch und deren Reaktion kam auch nicht direkt, sondern mit Verzögerung. Es gibt heute eine so große Informationsflut, da mache ich mir keine Gedanken, ob ich mich in dieser Masse hier um Kopf und Kragen rede. Ach warte mal, ich ändere hier den Hintergrund. Das macht mich schon etwas nervös, dass du meinen Arbeitsplatz hier so siehst. (lacht)

"Im Grunde ist die Platte ein Soloalbum"

Ach keine Angst. Wo ich das Equipment im Hintergrund sehe: Du bist bzw. warst ja vor Corona auch gerne mal DJ. Ich habe gestern einen Beitrag im WDR gesehen. Das "Bootshaus" in Köln hat nun seine Location komplett als virtuelle Welt simuliert und nun kann sich da jeder mit einer VR-Brille auf die Tanzfläche bewegen.

Ich habe die letzten Wochen tatsächlich mal öfter die Zeit damit verbracht, dass ich mir DJs anschaue, die eine Vinyl-Listening-Session auflegen. Da war auch eine aus den frühen 80ern dabei, die damals die ersten Reggae/Dub-Sachen aufgelegt hat. Die erzählen dann auch die Storys dazu und was angenehm ist: Sich dazu einen zu zwitschern und in der Bude mitzuwippen oder mitzutanzen. Ich brauche da nicht zwangsläufig Menschen dazu und virtuelle Menschen auch nicht.

Das ist aber auch eine Chance für introvertierte Menschen. Die trauen sich dann vielleicht ja erst recht.

Nene, so tendenziell mag das auch eine gute Sache sein. So wie bei Fortnight. Da gibt es auch den Floss-Dance und ist so eine Parallelwelt, in der man jemand anders sein kann. Ich bin zwar eher menschenscheu, aber das Treffen, Auflegen und das Unvorhersehbare, wenn sich plötzlich eine spannende Konversation auftut, fehlt mir schon. Gerade hier in Neukölln gibt es ja tolle Orte wie "Das Gift". Aber eigentlich bin ich auch schon fast froh darüber, dass momentan dieser Zwang an sozialen Kontakten weg fällt. Ich sitze derzeit eh schon lange in diesem Zimmer hier und muss nun noch weniger raus. Eigentlich finde das sogar recht super.

Ey, ganz ehrlich: Ich auch. Sollte man vielleicht wegen der ernsten Lage nicht so sagen, aber ich persönlich habe von den letzten Monaten eher profitiert. Diese Ablenkung ist nun weg. Vorher konnte man sich ja im Nachtleben quasi selbst verlieren.

Ich arbeite hier in dem Raum viel und je ruhiger es ist, desto besser. So ist ja das Album letztendlich entstanden. Wenn dir Jobs wegfallen, hast du viel Zeit und beschäftigst dich wieder mit Instrumenten oder Produktionsdingen, die dann auch fast wieder so eine Art Spieltrieb fördern. So kommen letztendlich die besten Sachen bei raus.

Konntet ihr euch eigentlich überhaupt zur Bandprobe treffen?

Nee, ich habe eh unsere Alben, auch die älteren Sachen wie "Porzellan", erst einmal alleine als Demos vorproduziert. Die klingen interessanterweise schon genau so wie das Endprodukt, für dessen endgültige Produktion man noch viel Geld in die Hand genommen hat. Dieses Mal haben ein paar Bandmitglieder den Zugang zu meinem Material auch nicht so gefunden. Es gab zwar vom Rest noch ein paar gute Ideen, aber so richtig hat das dann nicht zu dem Konzept gepasst, was mir vorschwebte. Es ist wirklich eher so eine Art Solo-Album geworden. Die anderen haben natürlich Gitarren und Drums beigesteuert, aber so unter dem Strich ist es doch bei dem Grundgedanken geblieben.

Wir hatten ja bereits im Vorfeld wegen des Songs "Rauschen" Kontakt. Ich war direkt bei Krautrock und du bei Spacemen 3.

Ja, das kam so aus den ersten Reaktion heraus und im Feedback wurde oft Spacemen 3 genannt. Nee, ich gebe dir mit Krautrock schon recht. Wobei dieses Album damals wohl keinen Erfolg gehabt hätte, weil wir ja auf Deutsch singen und wir dann mit diesen Schlägertypen in einem Boot gesessen wären. Die Krautrocker damals wollten sich davon ja abgrenzen und eben keine deutschen Texte verwenden. Das hat sich erst mit NDW oder Kraftwerk geändert.

Wobei es ja auch so Bands wie Witthüsser & Westrupp gab. Da hat mich "Nachtschattenglühen" dran erinnert.

Ach, die kenne ich gar nicht. Lass mal schauen. Ah, ist aber eher die psychedelische Liedermacher-Seite. Bei so produzierten Krautrock-Sachen wie Can, Neu! oder Cluster findest du kaum deutschsprachigen Gesang. Eher vielleicht noch bei Harmonia, die dann so mantra-mäßig ein Wort wiederholen.

Das ist ja auch eine Musikrichtung, die im Ausland viel mehr geschätzt wird. Euer Song "Silberne Maschine" ist ja ein zehnminütiges ...

ELF!

Äh, was ...?

Er war sogar mal bei zwölf Minuten! (lacht) Die Reaktionen darauf waren auch höchst unterschiedlich. Ein paar fanden das absolut geil, dass ich mit unserer Indie-Musik so weit in diese Richtung gehe, und die anderen haben dann verwirrt reagiert, eher so "Hä? Sorry, damit kann ich gar nichts anfangen."

Was übrigens wirklich witzig ist: Ein befreundeter Krautrock-Jazzer hat ausgerechnet diesen langen Song auf einen dreiminütigen Remix komprimiert. Grundsätzlich hilft es, wenn man schon mal in seinem Leben einen Joint geraucht hat und sich auf einen Trip einlassen möchte. Gerade bei "Nachtschattenglühen" und dem eigenwilligen Humor hilft es, wenn du schon mal auf diesem Verspultheiltslevel warst. So ohne Flash könnte man das für bare Münze nehmen und dann wirkt es wahrscheinlich eher verstörend.

Ist dir das überhaupt sehr wichtig, dass man den Text verstehen muss?

Ich habe eh so eine Hassliebe zum Texten entwickelt und immer sehr überlegt, wie ich etwas verbalisiere. Ich gebe auch zu, dass ich da eine lange Zeit einfach einen Minderwertigkeitskomplex hatte. Ich habe mich nie als ausreichend guten Texter empfunden oder was auch immer man darunter versteht. In meinen Teenagerjahren bin ich mit so Diskurs-Kram wie den Hamburger Bands groß geworden. Tocotronic haben auch eher plakativ angefangen und sind dann immer komplexer geworden. Ich habe das Gefühl, dass meine Pop-Texte nie an dieses Level, was auch vom Feuilleton geschätzt wird, heran reichen und das hat mich vielleicht anfangs gehemmt. Ich habe mir früher immer extrem das Gehirn zermartert, ob und wie meine Texte Sinn ergeben. Die Entwicklung kam dann, als ich mich gar nicht mehr verglichen habe und einfach mein eigenes Ding durchgezogen habe. Ich habe zwar noch nie so viel Zeit in die Lyrics gesteckt wie auf diesem Album, aber gleichzeitig hatte ich auch nie so viel Spaß daran.

Du bist eh jemand, der extrem viel liest. In der Promo-Mail steht ja auch, dass Thomas Pynchon als Inspiration diente. Der gilt als der große Unbekannte des Literatur-Betriebs. Würdest du dir auch so ein Abtauchen in die Anonymität wünschen? Dass praktisch nur noch dein Werk für sich steht und nicht das Gesicht?

Ey, wie geil wäre das? Einfach alle paar Jahre dieser Output, von dem man auch noch gut leben könnte, und die Menschheit kann sich allein selbst ihr Bild machen. Deswegen arbeite ich ja auch fast lieber im Produzenten-Bereich, weil ich dort als graue Eminenz im Hintergrund agieren kann. Das macht mir ja eh am meisten Spaß, dieses Experimentieren, Ausprobieren und Erschaffen.

Ich wünschte, ich hätte derzeit mal mehr Ruhe oder die Fähigkeit, konzentriert ein Buch zu lesen. Da greife ich gerne auf deine Expertise zurück.

Ich lese gerade viel von H.G. Wells. "Die Zeitmaschine" habe ich einfach so in einem Rutsch durchgelesen. Hast du eigentlich "Krieg der Welten" gehört? Das ist von 1895 und könnte genauso gut von jetzt sein. Eigentlich ist unser Album ja auch so eine Science-Fiction-Variante deutscher Pop-Musik. In einer anderen Dimension wäre das Musik, die sehr viele Leute gerne hören würden. Aber in unserer Realität hier hören sie eben Musik von Mark Forster.

Dietmar Dath hat auch gerade ein Buch über Science Fiction geschrieben und zitiert in einem Interview eine Passage daraus. Da geht es um einen Jungen, der seine Umwelt beobachtet und feststellt, dass viele Menschen nur deswegen so viel über ihr Innenleben plaudern, weil sie in Wirklichkeit gar keines haben. Da musste ich direkt an deutsche Popmusik denken, die unfassbar verkrampft versucht, ein Gefühl von Emotionalität zu generieren. Da wird unfassbar viel über Gefühligkeit gesungen und gleichzeitig denkt man, dass dort Androiden am Werk sind. Viele meiner Kollegen und Freunde wollen deswegen auch gar nicht mehr drüber singen, weil dieses Thema so vom Kommerz und Typen wie Mark Forster vereinnahmt wurde.

Absolut. Wie eindimensional und leer muss man innerlich sein, dass einen solche Texte und Phrasen wirklich direkt ansprechen.

Jaaa! Wahrscheinlich sind die Rezipienten solcher Musik genau so leer wie dieser Android. Naja, aber eigentlich sollte dieser Typ erst gar keine weitere Plattform bekommen.

"Es war alles von Anfang an zum Scheitern verurteilt"

Wo du schon das Produzieren erwähnst: Du hilfst ja nun selbst jungen Indie-Bands wie Golf und Nolans aus deinem Umfeld?

Ja, aber ist auch gar nicht mehr so einfach derzeit. Die produzieren sich meistens schon selbst und auch das Interesse, wie so ein Album denn richtig professionell abgemischt klänge, nimmt stark ab. Nimm Haiyti und Capital Bra: Die klingen trotz teuerer oder besserer Produzenten letztendlich immer noch gleich, weil es doch auf die Gewohnheiten des Zeitgeistes produziert wird. Ich biete da als Produzent ja nicht nur den einfachen Mix an, sondern dass man auch mal neue Wege ausprobiert. Sei es, dass man als Band mal ganz reduziert klingt, oder dass man wie bei Golf mit Klangteppichen arbeitet. Ich versuche wirklich mit jedem Künstler zusammen eine neue Philosophie oder Arbeitsweise zu erarbeiten und eventuell auch was aus dem Unterbewusstsein zu kitzeln, was schon da war, aber so nun heraus kommt.

Das Ergebnis soll nicht nur schnell konstruierte Arbeit mit drei Standard-Loops oder ein paar Plug-Ins sein, sondern eher so ein spielerischer und künstlerischer Prozess, den man gemeinsam annimmt und der vor allem auch Spaß bereitet. Das finde ich sehr spannend. Wenn zum Beispiel jemand ankommt und sagt: Ey, ich möchte gerne so wie Radiohead klingen, kann ich dem nicht weiter helfen. Die Band steht komplett für sich und ist einzigartig in ihrem Sound. Wenn du so klingen möchtet, wirst du immer wie irgendeine Cover-Band enden. Deswegen lehne ich mittlerweile solche "Mach, dass es klingt wie ..."-Aufträge ab. Du wirst doch eh nie wie das Original klingen und wenn du zum Beispiel nicht besonders gut singen kannst, dann sollte das Album auch nicht so arrangiert sein, als ob du ein toller Sänger wärst. Ganz ehrlich: Ich habe gar nicht die Möglichkeiten, eine Band so hochproduziert wie Linkin Park klingen zu lassen. Dann lass uns doch lieber heraus finden, wie du und ich aus unseren Mitteln das Bestmögliche herauskitzeln können.

Wo wir dann schon bei deinem Spielzeug sind. Gerade auf "Silberne Maschine" arbeitest du ja viel mit einem modularen Synthesizer.

Tom dreht die Kamera und zeigt auf ein Gerät, das wie eine überdimensionale Registrierkasse aussieht: Jap, dieses Teil hier. Damit ist auch "Silberne Maschine" entstanden.

Sag mal, ich habe ja ehrlich gesagt keine Ahnung von dieser Technik und frage mal dumm: Kommt da Modular von einzelnen Modulen oder weil du damit den Sound modulierst?

Da geht es um die Modulation, die innerhalb der Module stattfindet. Also, glaube ich. Nee, Moment mal, das heißt ja schon Module. Also hat es etwas damit zu tun, dass es aus Modulen zusammen gebaut wurde. Aber man moduliert auch mit dem Modul! (lacht)

Ich habe schon tonnenweise Sachen gekauft und wieder verkauft. Naja, auch weil ich zwischendurch pleite war und ich ein paar Module gewinnbringend verkaufen konnte. So vor zwei Jahren bin ich auf eine Firma gestoßen, die diese Serge-Module verkauft. Die stammen noch aus einer wirklich frühen Zeit und haben einen ganz eigenen Sound, den du zum Beispiel auf "Rauschen" ganz stark hörst. So eine röhrende, verzerrte und dröhnende Klangwelt. Das war letztendlich der Startschuss für das ganze Album. Dazu kam noch diese analoge Farfisa-Orgel hier neben mir und das Space-Echo-Pedal.

Das klingt spannend. Muss man da eigentlich größeres Know-How mitbringen oder kann man da einfach loslegen?

Naja, so ein bisschen Theorie schadet da nicht, aber gerade die Serge-Sachen sind so konstruiert, dass du da jedes Kabel in jede Buchse stecken kannst. Die sind aber auch noch einmal farblich unterteilt, so dass du schon einen Überblick behältst. Wenn du einmal darüber hinaus bist, in Akkorden oder Tonleitern zu denken, und krautrockig ran gehst, kommen da ganz eigene Töne bei raus, um die du dann letztendlich was drum herum baust. Richtig schwierig sind ja so Aphex Twin-Arrangements mit hochkomplizierten, mikrotonalen Strukturen. Genau an so etwas bin ich zwischen dem "Porzellan" und dem "Kids"-Album gescheitert. Da habe ich dann für mich erkannt, dass ich vielleicht doch eher ein Indie-Musiker und kein besonders guter IDM-Musiker bin.

Olaf Opal war jetzt auch wieder am Album beteiligt.

Jep, das war wieder total unkompliziert. Der ist hier in meine Bude gestiefelt, ich habe uns was gekocht und er hat am PC die Tracks abgemischt und bearbeitet. Das ist eh immer so absurd, wenn manche Musiker so protzige Fotos von einem Mischpult aus einem Studio zeigen und in Wirklichkeit findet das alles nur noch auf einem kleinen Rechner statt.

Du hast viele analoge Geräte erwähnt. Ich habe gehört, dass du auch erst mal auf Kassette aufnimmst?

Unterschiedlich. Ich habe vor zwei Jahren angefangen, mit Kassette rumzudaddeln, auch durch die Düsseldorf Düsterboys, die diese Technik verwenden. Ich habe ja selber mit Vierspur angefangen, aber damals wollte man das schnell entsorgen und so einen Britpop-Sound wie Oasis oder Blur haben. Da hat man sich dann Pre-Amp und Pro-Tools besorgt. Seit einigen Jahren geht dieser Trend wieder in eine andere Richtung, wo man nicht mehr so fett, sondern etwas verrückter und organischer klingen möchte. Ich habe versucht, mit diesen Kassetten einen satten, verzerrten Sound hinzubekommen. Da dürfen auch gerne Fehler wie Aussetzer oder Patina passieren. Für mich geht es darum, dass ein Song auch so einen Flash auslöst.

Damit erschaffst du dir auf jeden Fall eine eigene Nische oder wirst dort wegen den Hörgewohnheiten landen. Vor 15 Jahren wollte euch das Majorlabel ja als deutsche Antwort auf englische Bands verkaufen.

Das ist so das alte Grundproblem als Künstler. Du willst ja Musik veröffentlichen, weil du ganz einfach Musik liebst und die Industrie will einfach nur schnell mit dir Geld verdienen. Und so entsteht eigentlich schon ein großes Ur-Konfliktpotential.

Schau dir mal an, wo diese ganzen Retro-Bands von damals jetzt stehen: Maximo Park und die anderen haben diesen Stiefel weiter gespielt und buchen nun eher kleine Venues. Eigentlich dann doch wieder gut, dass ihr euch für den schwierigeren Weg entschieden habt, oder?

Das war ja alles schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Wir waren nie eine Antwort auf Franz Ferdinand, Maximo Park und Bloc Party, wie man uns verkauft hat. Ich war zum Beispiel viel mehr von Joy Division oder 80er-Bands wie Orange Juice, Prefab Sprout und Josef K beeinflusst. Aus solchen Sachen ist dann unser Album entstanden. Wenn dir mit Anfang 20 ein Major mit einem fetten Vertrag vor der Nase herum wedelt ist das natürlich schon toll, aber eigentlich wollte ich schon immer lieber zu einem Indie. Das hat aber nicht funktioniert und kurze Zeit später ist das Label pleite gegangen.

Bei dem Majorlabel war es dann so, dass plötzlich alles umstrukturiert wurde und unsere Vertrauenspersonen durch andere Typen ausgetauscht wurden. Die wollten dann einen ganz anderen Weg gehen als ich. Wir haben dann zugestimmt, dass wir noch zum Bundesvision Song Contest gehen. Ich wollte da überhaupt nicht hin, aber sonst wären wir nie da raus gekommen und hätten "Porzellan" nicht aufnehmen können.

Das hört sich nach einer großen inneren Zerrissenheit an.

Das war eine furchtbare Zeit für mich. Ich meine, das ist eine ganz andere Welt mit Mainstream-Künstlern wie Peter Fox, wohingegen ich ja aus einer Indie- und Punkkultur komme. Und dann kam der mit seinen zwanzig Tänzern und Trompeten und führte da eine stadioneske Musical-Show auf. Ich will das gar nicht in den Schmutz ziehen, weil sein Album auch gut geschrieben war, aber in diesem Zirkus habe ich mich total deplatziert gefühlt.

Ich stelle mir vor, wie man da mit seiner Indie-Musik steht und gegen Peter Fox und lauter Mainstream-Fans von anderen Bands in der Halle antreten muss. Wie tot fühlt man sich da?

Es war absurd, weil Peter Fox zu dem Zeitpunkt einfach unfassbar groß war, als Solokünstler und mit Seeed. Wir waren der kleine Underdog und er der FC Bayern München. Eine perfekt funktionierende Maschine mit Power und Geld dahinter gegen uns, eine normale Amateur-Truppe, die einfach nur Fußball spielen will. Klar haben wir auch etwas verdient, aber gegen so eine Entertainment-Sache kannst du nur verlieren und dumm aussehen.

Stefan Raab hat euch doch bestimmt eh gehasst, weil bei euch die Zuschauer wegskippen oder eben keine neuen generiert wurden.

Nee, überhaupt nicht! Der war total cool. Der kam nach der Veranstaltung auf uns zu und hat gesagt, wie sehr er unseren Song mag und wie ihm das schlechte Abschneiden leid täte. Er hätte gedacht, dass da mehr geht. Ich glaube, am Schluss fand der diese Veranstaltung selber nervig, weil das nichts mehr mit der Grundidee zu tun hatte. Man kann ja über Raab denken was man möchte, aber zu uns war er sehr fair und korrekt. Der ist ja selber leidenschaftlicher Musiker und wollte einfach eine Plattform für Nachwuchskünstler anbieten. Am Ende war es nur noch ein Wettbewerb, bei dem die Musikindustrie ihre etablierten Künstler bewerben konnte.

Weißt du, an was mich eure Erfahrungen in der Musikindustrie erinnern? An Voltaire. Gerade läuft ja auf Netflix die Doku "Wie ein Fremder" über ihn. Das passt alles so erschreckend zu dem was du mir erzählst.

Ja, wir sind fast zeitgleich gestartet. Wir haben uns zwar persönlich nicht kennen gelernt, aber ich habe das aus dem Umfeld mitbekommen, wie denen ständig von Universal reingeredet wurde. Das war bei uns auch so. Wir hatten das Album schon fast fertig und dann kommen die Manager von der Plattenfirma und sagen uns, dass sie noch drüber gehen, weil mit einem anderen Produzenten eventuell noch ein Hit raus springt.

Gerade für junge Bands muss das heute total schwierig sein. Du brauchst ja letztendlich doch Geld, um dich über Wasser zu halten, und musst auch schon früh mit dieser Industrie kooperieren.

Naja, gerade so junge Künstler wie Messer oder Max Rieger von Die Nerven machen das ziemlich gut und smart. Die treffen bereits mit Anfang 20 die richtigen Entscheidungen und weichen nicht einen Zentimeter von den Ideen ab, die sie für ihre Musik haben. So gefestigt war ich damals noch nicht. Ist ja auch nicht so, dass ich kommerzielle Musik total verabscheue. Eigentlich bin ich sogar eher der Pop-Typ als der Punk, der im Jugendzentrum spielt. Andererseits bedeutet Indie-Musik eben auch, gegen rassistische und sexistische Tendenzen anzugehen.

Du hast im Promo-Text zum neuen Album auch Ariel Pink erwähnt. Der war scheinbar nicht direkt bei dem Sturm auf das weiße Haus beteiligt, sondern nur kurz bei der Demo, aber fällt ja schon länger mit kruden Ansichten auf.

Ariel Pink war ja mit John Maus vor Ort, der danach immerhin nicht noch mal auf Twitter bekräftigen musste, wie sehr er den Präsidenten feiert und unterstützt. Gut, mit dem Wissen hätte ich dann doch einen anderen Artist als Vergleich heran gezogen, aber trotzdem mag ich seine Musik immer noch sehr. Aber gerade spielt da eh alles verrückt. Da machen Leute wie Van Morrison plötzlich ein Album, wo sie die Existenz von Corona leugnen.

Dann lies dir besser mal nicht die Tweets von Ian Brown von den Stone Roses durch. Der ist total in so eine rechte Verschwörungs- und Truther-Ecke abgerutscht.

Oh nein. Den mochte immer total gerne.

Dazu passend Noel Gallagher, der Masken als Blödsinn empfindet. Das tut mir als Fan in der Seele weh. Du hattest ja schon in diesem Interview angesprochen, wie sehr dich Oasis damals beeindruckt haben.

Ja, aber ich bin gar nicht mehr so ein großer Oasis-Fan und habe auch das Buch vom Spacemen 3-Bassisten gelesen. Ach warte, das hole ich direkt mal. Das ist ja auch so ein Typ, der ständig abgezockt wurde, nach eigenen Aussagen auch von seinen Bandmitgliedern. Um sich über Wasser zu halten, hat er mehrere beschissene Jobs angenommen, unter anderem auch als Bühnenarbeiter bei diesem riesigen Auftritt von Oasis in Knebworth. Er verlegt da als einfacher Arbeiter irgendwelche Kabel und sieht aus größerer Entfernung, wie die Mitglieder von Oasis jeweils mit einem Golf im Backstage rumfahren, die sie sich einfach mal so aus Spaß gekauft haben. Während er sich da einen in der sengenden Mittagssonne abschuftet. Da warst du selber in zwei großen englischen Bands und siehst deine ehemaligen Leute aus der Szene bei so einer banalen Sache. Noel Gallagher wird im Buch als Typ beschrieben, der Autoren und Buch-Liebhaber als Studenten und Idioten beschreibt. Sehr schwierig. Mit so einer Aussage bist du auch nicht mehr weit von rechten Wutbürgern entfernt.

Ach, Noel. Literatur, Feuilleton und Bücherliebhaber sind aus seiner Working-Class-Perspektive wahrscheinlich eher ein Ding der Upper Class und der intellektuellen Elite.

Und jetzt wohnt er in einem Schloss und behängt sich mit Schmuck. Machen Rapper ja auch so, wenn sie sich total vereinnahmen lassen und zu Unternehmern mutieren. Als Kid war Oasis natürlich das Größte für mich, unabhängig und überlebensgroß. Heute weiß ich: Die haben auch nur nach den Regeln der Plattenfirmen gespielt und Leute mit mehr Risikobereitschaft sind hinten rüber gefallen.

Aber hättest du nicht auch gerne diesen Weg eingeschlagen? Also war das denn nie eine Option?

Gerade zu Beginn der "Karriere" waren wir häufig in Europa unterwegs und haben uns mit erfolgreichen Musikern unterhalten. Als ich da erfahren habe, wie es wirklich in dem Business läuft, bekam ich Beklemmungen und ehrlich gesagt auch so ein inneres Kotzen. Das war absolut nicht das, was mir vorschwebte.

Ja gut, aber diese Typen sind nun trotz Corona-Krise ziemlich safe und haben nicht die Ängste, die wir Selbstständigen haben.

Ich weiß jedes Jahr nicht genau, was auf mich zukommt. Ich habe ganz ehrlich aktuell wieder viel auf eBay verkauft. Ich repariere ein paar Sachen, die nicht mehr funktionieren und verkaufe sie dann weiter. Ich nehme einfach viel an, was mir angeboten wird und halte mich über Wasser. Es ist auch lustig, wenn mich Leute ansprechen und glauben, dass wir doch bestimmt viel Geld durch Corona und die Konzert-Ausfälle verloren hätten. Ganz ehrlich, ich weiß gar nicht, wann ich überhaupt das letzte Mal mal wirklich Geld mit einem Konzert verdient habe. Das ist alles wahnsinnig viel Arbeit und am Schluss kommst du bei Null raus.

Auch ein Karrierist landet irgendwann in der Midlife-Crisis und hinterfragt sich selber. Hat es sich wirklich gelohnt, dass ich meine besten Jahre für die Arbeit verschwendet habe und auch am Wochenende nur an meiner Karriere gearbeitet habe? Allerdings habe ich nun auch nicht das Gefühl, dass die Politik wirklich etwas für mich oder uns Künstler tut, sondern überraschend unbürokratisch und schnell der Industrie hilft. Das zeigt leider genau, welchen Stellenwert Kultur in unserer Gesellschaft einnimmt.

Wobei das nicht nur Politiker betrifft, sondern allgemein unsere Gesellschaft in Deutschland. Ich hatte eigentlich nie wirklich das Gefühl, dass hier Kultur richtig wertgeschätzt wird.

Ja, führe einfach mal ein Gespräch mit einem Durchschnittsbürger und erzähle dem, dass du mit Musik dein Leben verdienst oder als Musikjournalist arbeitest. Dann bekommst du ein mitleidiges Lächeln, so nach dem Motto: "Aha! Soso! Hmm, und davon kannst du leben und dir ein Haus kaufen?" Die Ironie daran ist ja, dass das diese betreffende Person, die als solider Angestellter irgendwo arbeitet, am Schluss genau so wenig kann und sich mit einer Hypothek verschuldet, um seine großen Träume zu verwirklichen. Downsizing ist für mich absolut richtig. Ich verkaufe den Kram, den ich eh nur angesammelt habe und besitze nun viel mehr Raum, auch mental.

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