laut.de-Kritik

Gigantisch. Oder, um mit der Band zu sprechen: es reißt mich quasi auseinander.

Review von

Auf so eine Band haben wir lange gewartet. Ist wahr und doch gelogen, denn schließlich kann man gar nicht auf etwas warten, von dem man nicht ahnt, dass es existiert bzw. dass es überhaupt funktionieren würde. Eine deutsche Band ohne weinerliche Melancholie, ohne Presslufthammer-Riffs und ohne lustige Texte, dafür mit pfeilschnellen Gitarren-Akkorden über drückend-feurigen Basslinien, einem dramatisch trockenen Schlagzeug und einem ständig am Rand der Ekstase sprechschreienden Sänger, das sind die Fotos. Das alles und noch viel mehr.

Selbst nach mehrmaligem Genuss des gleichnamigen Debütalbums ist es schlichtweg nicht zu fassen, dass die Mitglieder dieser Band nicht Paul, Andy, John oder Pete heißen, sondern Tom, Beppo, Frieder und Deniz. Blitzschlagartig krachte die Single "Komm Zurück" vor wenigen Monaten in unvorbereitete Redaktionen des Landes ein, die gerade noch damit beschäftigt schienen, die Band Madsen in den Himmel zu schreiben. Wo bei den gerne pathetisch zu Werke gehenden Punkrockern aus dem Wendland entgegen der eigenen Wahrnehmung doch eine gewisse Logik erkennbar ist, nämlich die der kompositorischen Gleichförmigkeit, ist bei den Fotos nur eines gesetzt: Unberechenbarkeit.

Die Band ist tight, der Rhythmus schmerzt beinahe in seiner Gnadenlosigkeit und die Chemie scheint derart intakt, als hieße der Motivationscouch Jürgen Klinsmann. Man achte nur auf das Cover: eine Momentaufnahme unbändigen Siegeswillens. Ein Sommermärchen, aber eines, das diesen auch überdauert. Natürlich hat die Post-Punk-Bewegung deutliche Spuren beim Quartett aus dem weitläufigen Dreieck Hamburg-Wuppertal-Köln hinterlassen, so grüßt etwa an vielen Stellen die Gang Of Four ("Du Löst Dich Auf"). Doch das hatten wir auch alles schon bei Franz Ferdinand und Maximo Park, und ähnlich der genannten Neo-Heroen brauen auch die Fotos aus den bekannten Zutaten ihr ganz neues Disco-Weizen. Zeit zum Anstoßen bleibt indes kaum.

Sänger, Gitarrist und Songwriter Tom verwendet die gewöhnlichsten Worte aus der Alltagssprache, baut diese aber verblüffend neuartig um die wahrhaft glühenden Rhythmuskonstrukte der Kollegen, um sie anschließend als ewig währende Wahrheiten hinaus zu keifen: "Meine Freunde fragen nur noch selten wie es mir geht / und hinter meinem Rücken fragen sie woran es liegt / es ist zu spät, sagen sie, doch er kann sie nicht vergessen / kann nicht schlafen, kann nicht arbeiten, nicht essen".

Viel zu selten meistert eine deutschsprachige Band den schmalen Grat zwischen intimer Liebesprosa und jungenhaftem Lebenshunger graziöser. An dieser Stelle muss man auch mal dem Paula-Musiker Berend Intelmann virtuell auf die Schultern klopfen, der sich als Produzent nicht zu soundtechnischen Sentimentalitäten hinreißen ließ, sondern dem Material genau die nötige Portion Dreck bewahrte, die uns nun in Form des rohen Funkcharakters auf Albumlänge in die Hüften schießt.

Zwar ist das Album nicht voller "Komm Zurück"-Überhits, aber es wird einem auch so schwindelig genug. Etwa wenn Basser Frieder in "So Fremd" einen derart runden Basslauf abliefert, als sei er bei Groove-Zauberer Flea in die Lehre gegangen oder wenn Tom im gleichnamigen Song den mitreißendsten Refrain der Platte abliefert: "Sie sind so müde / sie fühlen nichts mehr / außer der Lehre / die fühlen sie sehr."

Ruhige Momente leisten sich die Fotos in "Viele", einem zu Herzen gehenden Stück über emotionale Nähe und zeitliche Distanz, sowie in dem völlig aus der Reihe fallenden, dabei aber nicht minder großartigen Abschlusssong "Katharina". Funk und Ecken adé, hier kommt plötzlich Gitarrist Deniz' Feedback-Pedal zu Ehren, was nicht heißt, das im Mittelteil des softesten Stück der Platte willenlos gefiedelt wird. Vielmehr treffen wir auf das gefühlvollste Soli, das je von einem John Frusciante-Fan erschaffen wurde. Ist doch so, oder Deniz?

Ihr seht, mir bleibt hier einfach die Luft weg, es reißt mich quasi auseinander, um mit der Band zu sprechen. Und wer jetzt sagt, das klingt dann insgesamt aber doch alles ziemlich ähnlich, der soll meinetwegen Frank Zappa hören. Für dieses Album gibts nur ein Wort: Gigantisch. Dabei fand die fantastische Single ähnlichen Namens in diesem Besinnungsaufsatz noch nicht einmal Erwähnung.

Trackliste

  1. 1. Komm Zurück
  2. 2. So Fremd
  3. 3. Ich Bin Für Dich Da
  4. 4. Es Reisst Uns Auseinander
  5. 5. Viele
  6. 6. Giganten
  7. 7. Du Löst Dich Auf
  8. 8. Wiederhole Deinen Rhythmus
  9. 9. Glücklich Eigentlich
  10. 10. Katharina

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Fotos – Fotos €16,98 €3,00 €19,98

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Fotos

Weshalb gibt sich eine Rockband den Namen Fotos? Bei der Combo dieses Namens ist man nicht auf den Kopf gefallen und ahnt bereits im Vorfeld, dass irgendein …

6 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Klasse Rezension! Hab erst zufällig vor ein paar Tagen von Fotos gehört. Das Album ist schon klasse, ich weiß aber nicht wieso, aber hier und da erinnert mich das an "Die Goldenen Zitronen". Wieso? Ich habe keine Ahnung. :)

  • Vor 16 Jahren

    Wär prima, wenn die nicht so dämliche Texte schreiben würden. Ich mag das Album trotzdem, aber stellenweise frag ich mich echt, was für eine Bedeutung diese ganzen leeren Phrasen eigentlich haben sollen.

    Katharina ist ganz große Klasse.

  • Vor 15 Jahren

    Klasse Album.Tolle Texte auch.Für mich ganz klar eine der besten deutschen Bands.Auf dieser Platte gefällt mir am meisten Katharina.Ist zwar ein Song der eher in die Richtung "ich weiß nicht wer ich bin"geht,aber trotzdem weltklasse,da kommen ihre Kollegen von Tomte&/oder Kettcar lyrisch so wie von der Melodie her,nicht ran,nichtmal bei weitem.

  • Vor 15 Jahren

    @LF (« Wär prima, wenn die nicht so dämliche Texte schreiben würden. Ich mag das Album trotzdem, aber stellenweise frag ich mich echt, was für eine Bedeutung diese ganzen leeren Phrasen eigentlich haben sollen.

    Katharina ist ganz große Klasse. »):

    Ich versteh nicht ganz,was ist denn an ihren Texten dämlich bzw schlecht?

  • Vor 15 Jahren

    also nach dem song zu urteilen, den sie neulich bei raab präsentiert haben, verstehe ich jeden, der keine große lust mehr hat, auf songtexte zu achten.

    loe

  • Vor 15 Jahren

    nebenbei, dieser bundesvision song contest beitrag "du fehlst mir" ist doch ein klarer stil-rip-off !
    das war mir an dem abend auch schon aufgefallen

    mensch, die gitarre und der uptempo-beat... an welches lied erinnert mich das? ich komm grad nicht drauf, aber es ist absolut bekannt.