9. Februar 2018

"Es war Zeit für etwas Neues"

Interview geführt von

Alles neu bei Franz Ferdinand: Nach dem Weggang von Gitarrist und Gründungsmitglied Nick McCarthy gab es für Sänger Alex Kapranos nur einen Weg: den nach vorne.

Neue Besetzung, neues Album, neuer Sound: 2018 soll eine neue Ära für Franz Ferdinand einläuten. Und die soll vor allem eines sein: tanzbar. Dafür arbeiteten die Schotten mit dem französischen Produzenten Philippe Zdar (Cassius) zusammen. "Always Ascending" heißt das Ergebnis. Um einen besonderen Vibe zu erlangen, beschloss die Band, während des Schreibe- und Aufnahmeprozesses zusammen zu leben. Wir trafen Sänger und Gitarrist Alex Kapranos und Neuzugung Julian Corrie (Gitarre, Synthesizer) zum Gespräch in Berlin.

Mit welcher Gemütsverfassung seid ihr in die Aufnahmesessions gegangen?

Alex Kapranos: Wir wollten etwas Neues machen, etwas Raues, etwas zum Tanzen.

Julian Corrie: Als ich zum Schreiben eingeladen wurde, waren etwa ein Viertel der Songs bereits fertig geschrieben. Für mich war es sehr aufregend, diese Einladung zu bekommen. Ich hatte keinerlei Erwartungen. Wir wollten einfach mal zusammenkommen, um zu sehen, wie das wird. Je länger wir zusammen spielten, desto klarer wurde uns, wohin die Reise hingehen würde.

Ihr habt das Album in Schottland geschrieben und in Paris aufgenommen. Dort habt ihr dann alle in einem Haus gewohnt – oder war das bereits beim Schreiben der Fall?

Alex: Sowohl als auch. Ich habe südlich von Glasgow ein Studio. Dort haben wir alle gemeinsam gelebt, als wir das Album geschrieben haben. Wir begannen zu dritt, dann kam Sam Porter und hing mit uns ab. Im August 2016 kam dann Julian dazu. Wir lebten also alle zusammen und sind dann nach Paris geflogen. Dort teilten Julian und ich uns eine Wohnung, der Rest war in einer anderen. In London wohnten dann Julian und Paul zusammen, schön durcheinander also. Jetzt leben wir alle in einem Bus zusammen – wir müssen uns also wirklich mögen. Das ist sehr wichtig.

Ganz am Anfang sind Julian und ich erst mal essen gegangen und haben bei ein paar Drinks über Musik und alles Mögliche geredet. Wir mussten ja erstmal sehen, ob wir uns verstehen. Das ist wesentlich, man muss sicher sein, dass es menschlich passt.

Julian: Wir hatten ganz ähnliche Ideen von neuer Musik. Wir wollten Popsongs schreiben, die sehr direkt sind, Spaß machen, aber auch ein seltsames Element in sich tragen.

Der Schreibprozess ist sicher schon sehr intensiv. Wie war es für euch dann, sich weiterhin andauernd zu sehen?

Alex: Der Hund von Bob (Hardy, Bassist, Anm. d. Red.) hat uns gerettet. Dank ihm sind wir mental gesund geblieben. Wenn du einen Hund dabei hast, will der ja ab und an mal raus. Und das bedeutet, dass du deine Umgebung mal verlassen musst. Beim Aufnehmen verlierst du leicht die zeitliche Perspektive, es kann auch mal klaustrophobisch werden. Aber mit einem Hund hast du körperliche Bewegung und frische Luft. Das hat uns definitiv gut getan.

Hunde machen ja generell alles besser.

Alex: Ganz genau!

Julian: Absolut.

Alex: Außer du bist eine Katze, dann wird alles schlimmer.

Julian: Als Person, die neu zur Band kam, war ich wirklich überrascht, wie unkompliziert alles ablief.

Alex: Wir anderen wissen nach fünfzehn Jahren ganz genau, worauf man aufpassen muss, um Dinge nicht zu ruinieren.

"Dino, du bist ein verdammter Rockstar, komm' zu uns!"

Woher kennt ihr beide euch und wie kam es zum Treffen mit eurem anderen neuen Mitglied Dino?

Alex: Ich kannte Julians Musik, hatte ihn aber nie getroffen. Er wurde mir von Freunden der Bands Mogwai und The Delgados empfohlen. Ich war gerade in Galway und erzählte ihnen, dass wir einen neuen Musiker brauchen und sie meinten nur: "Frag Julian". Dino kenne ich schon lange, er ist so alt wie ich und wir haben früher in Glasgow zusammen gespielt. Ein alter Freund also. Ich habe ihn auf einer Party gesehen, wo er "Purple Rain" spielte. Ich ging zu ihm und meinte: "Scheiße, Dino, du bist ein verdammter Rockstar, komm' zu uns."

Julian, du warst ja auch schon vor deiner Zeit bei Franz Ferdinand sozusagen ein 'accomplished musican'. Deswegen meine Frage an Alex: Was hat er musikalisch bei euch auf den Tisch gelegt?

Alex: Na, accomplished musicianship! Wir wussten alle, dass er ein toller Musiker ist, aber das heißt ja nicht, dass es deswegen auch funktioniert. Man muss es einfach probieren. Ich wusste auch, dass er elektronische Musik mag und das fühlte sich vielversprechend, neu und aufregend an. Fast schon überwältigend.

Julian: Es hat einfach sofort funktioniert. Uns war schnell klar: Wow, das klingt nach einer Band.

Wie lange habt ihr geschrieben?

Alex: Wir haben Ende 2015 angefangen, 2016 kam Julian hinzu. Bis März 2017 ging es weiter, dann sind wir ins Studio gegangen. Den Song "Huck And Jim" haben wir noch ganz kurz davor geschrieben.

Alex, hattest du bereits Stücke und Fragmente in petto oder ging es mit einer ganz leeren Seite los?

Alex: Dieses Mal mit einer ganz leeren Seite. Nichts aus der letzten Franz-Ferdinand-Ära kam auf diese Platte. Es gab eine Diskussion, ob wir nicht einen bereits älteren Song aufnehmen wollen. "Skullet And Blue" ist der größte Hit, der es nie auf eine unserer Platten geschafft hat, einfach weil wir ihn nie richtig hinbekommen haben. Wir haben dann aber gesagt: "Das klingt nach einer anderen Dekade, nach einer anderen Band". Es ist also alles ganz neu.

Als Produzenten habt ihr Philippe Zdar ausgewählt und mit ihm in Paris gearbeitet.

Alex: Philippe ist sehr enthusiastisch und besuchte mich in meinem Studio in Schottland. Jeder hat doch einen Freund, mit dem die Nacht zur Katastrophe wird, weil man sich gegenseitig ermutigt, Dinge zu tun, die man alleine nicht tun würde. Einen extrasüßen Drink bestellen, mehr zu rauchen und so. Er ist einer dieser verrückten Typen. So jemanden im Studio zu haben, ist großartig. Philippe hat uns ermutigt, Dinge weiter zu treiben, als wir es eigentlich getan hätten. Das ahnten wir aber nicht, als wir ihn gefragt haben, ob er mit uns arbeiten möchte. Wir mochten einfach die Alben, die er gemacht hat – die sind rau, menschlich und bringen einen zum Tanzen. Außerdem will er immer Musik nach vorne bringen, er schaut nie zurück und bleibt nie stehen. Weil wir einen neuen Sound wollten, eine neue Dekade für die Band einleiten wollten, war er genau der Richtige.

Julian: Es geht ihm sehr um den zwischenmenschlichen Aspekt. Er fördert Enthusiasmus in Beziehungen. Manche Produzenten sind sehr computer- und detailorientiert, darum kümmert er sich natürlich auch. Für ihn geht es aber ums große Ganze, um die großen Gesten, den großen Vibe. Er schaut, dass jeder glücklich ist und dass der Vibe stimmt. Vielleicht hat ein Take dann mal ein oder zwei kleine Fehler drin, aber das macht nichts, wenn der Vibe stimmt.

Alex: Der Sinn von Musik ist, dass man eine emotionale Antwort hervorruft. Musik lässt dich etwas fühlen. Alles andere, die Details, das ganze technische Zeug, die Auftritte, das führt genau zu einer Frage: Was fühlst du? Ich höre mir Musik nicht an, um darüber nachzudenken, sondern um sie zu fühlen.

"Es gibt kein Sequencing und keine Clicks"

Was war Philippes Rolle? Für manche Bands ist ein Produzent ja ein integraler Bestandteil der Band, für andere in erster Linie ein Typ, der Knöpfe drückt.

Alex: Natürlich hat er auch auf Knöpfe gedrückt, aber Philippe ist der Typ, der dich ermutigt. Für mich gibt es vor allem brüderlich und gegnerisch eingestellte Produzenten. Ich habe mit beiden Arten gearbeitet. Tore Johansson, der unser erstes Album produzierte, ist definitiv aus der Abteilung gegnerischer Produzent. Er war der Feind der Band.

(Gelächter)

Alex: Na, ist doch wahr! Gegnerische Produzenten wollen mit ihrem Verhalten etwas aus dir herauskitzeln. Leute wie Philippe entwickeln dagegen ein enges Verhältnis zu dir, es entsteht eine Freundschaft und so kommt es auch zu einem guten Album. Beide Zugänge sind absolut gerechtfertigt.

Julian: Wegen seinem Hintergrund als DJ und Dance-Music-Produzent hatte er viele Ideen zum Klang der Platte. Er hat sie gemixt und texturelle Elemente hinzugefügt. In Paris sind viele Synthesizer-Overdubs entstanden, weil er da ein großartiges Studio hat. Du hörst auf der Platte übrigens kein Sequencing und keine Clicks, alles ist frei gespielt. Was du hörst, ist der Klang einer Live-Band mit Synth-Elementen.

Alles Hardware-Synths nehme ich an.

Alex: Ja, keine Software-Synths! Aber auch die arpeggierten Teile hat dieser Typ hier eingespielt, es ist nichts programmiert, auch nicht das Rhythmische. Alle synthetischen Drumsounds kommen von Paul.

Ihr hattet also durchaus den Live-Aspekt im Kopf?

Alex: Absolut.

Julian: Manche Bands gehen ins Studio, experimentieren und wenn sie wieder rauskommen, denken sie: "Okay, und wie sollen wir das jetzt live spielen?". Das wussten wir bereits davor. Wir haben in Schottland alles durchdacht und erarbeitet – in London und Paris ging es dann recht schnell.

Alex: Philippe würde mir recht geben, wenn ich sage: Das Wichtigste an einer Produktion ist, was man davor und danach macht. Wie man sich vorbereitet und lernt, es zu spielen, wie man mixt und die Post-Produktion macht. Das Aufnehmen sollte schnell gehen. Die eigentlichen Aufnahmen dauerten bei uns nicht länger als sechs Tage.

Alex, du hast gesagt, dass du Franz Ferdinand neu definieren wolltest. Fiel es dir schwer, dich von der eigenen Vergangenheit ein Stück weit freizumachen?

Alex: Ein paar Dinge haben es mir sogar sehr einfach gemacht. Eines davon war unsere letzte Platte. Es war wie eine Zusammenfassung von allem, was wir davor gemacht haben. Das "FFS"-Projekt mit den Sparks war auch sehr hilfreich, weil wir die Regeln änderten. Ich spielte nicht Gitarre, sondern sang nur und wir haben auch ganz anders live gespielt als sonst. Und dann verließ Nick die Band, Julian und Dino kamen, es war einfach neu. Daher wäre es auch lächerlich gewesen zu versuchen, sich zu wiederholen. Als wären wir eine Coverband.

Der einzige Weg weiterzumachen war also die Veränderung.

Julian: Und sie mit offenen Armen anzunehmen.

Alex: Ich hätte mich vor Langeweile umgebracht, wenn ich immer versuchen müsste, das zu wiederholen, was ich schon gemacht habe. Ich habe Franz Ferdinand nicht gegründet, um die Musik zu machen, die ich zuvor in anderen Bands gemacht hatte. Es war einfach Zeit für etwas Neues.

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