laut.de-Kritik
Musik, die Mut macht und die Fantasie anregt.
Review von Philipp KauseDie Elektronik-Sounds von Fuyija & Miyagi regen eher das Gehirn als das Tanzbein an. Frontmann David Best interessiert sich offenbar für Psychologie, vielleicht auch Chemie. Seine Texte auf "Slight Variations" bevorzugen die akribische Durchleuchtung des Alltags, wenn er uns zuschauen lässt, wie sich Kohlenhydrate im Blut nach einer durchfeierten Samstagnacht abbauen ("Feeling The Effects (Of Saturday Night)"), wenn er Schweiß beim Tropfen beschreibt ("Sweat") oder feststellt, man müsse nicht Psychologie studieren, um Körpersprache zu entschlüsseln ("New Body Language").
Die Band aus dem britischen Brighton erzählt von Traum und Fantasie, und dieses Album dient dazu, die Fantasie zu triggern und Mut zu machen. Lebhaft und heiter blubbert dieser Electropop mit mal Acid-house'igen, mal Disco-poppigeren Akzenten, gerne fröhlich-verspult und in "FAQ" mit triphoppigem Offbeat.
Und obwohl etliches an digitaler Technologie zum Einsatz kommt, singt David Best vom "Digital Hangover". Den hatte man noch nicht, als Krautrock aufkam und Songs ewig dauern durften, und gerade "Olympian Heights" dreht ein ziellos-krautiges Riff in Endlosschleife. Anfang der '70er verfügte man über mehr Zeit (statt über Smartwatches). Jenes Lebensgefühl damaliger, Weg weisender Stile (neben Kraut noch Psychedelic-Pop, Fusion-Jazz und Afro-Funk) fließt als open-mind-feeling ein.
Während die Band selbst sagt, "New Body Language" etwa sei direkt vom westafrikanischen Funk beeinflusst, nimmt man das nur ungefähr und verschwommen wahr, Rhythmus-analytisch kaum nachweisbar. Dafür hat das verträumte Sich-Treiben-Lassen mit heutigen Nostalgie- und Fernweh-Bands wie den Allah-Las manches gemein. Denn es teilt die Sehnsucht nach einer warmen, un-hektischen, dennoch treibenden, gleichmäßigen Musik, die Horizonte öffnet und sich selbstbewusst die Zeit nimmt, die sie braucht - statt auf hysterische Hooks oder Regeln aus TikTok und Popakademie-Kursen zu vertrauen.
Zugleich liegen allen Tracks organisches Schlagzeug und eine echte Bassgitarre zugrunde. Die einleitenden Bassläufe in "Flux" und die Dramaturgie des Stücks liefern ein ähnliches Feeling wie Human Leagues "Being Boiled". Eine Funk Guitar frei nach Nile Rodgers setzt ein markantes, sympathisches Riff. Dessen Groove hält alles im Fluss, "in a constant state of flux!". Den Gesang kann man am ehesten in der romantischen Ecke eines Bryan Ferry verorten, jedoch mit einem gefühlten Drittel von dessen Stimmvolumen. Das mag man als untalentiert abtun oder - so wirkt es auf mich - dezent und natürlich finden. Das Titellied "Slight Variations" bearbeitet seine Stimme und weiblichen Spoken Word-Background mit Hall, Reverbs und Percussion-Kaskaden.
Manch WARP'iger Sound erklingt immer wieder mal in Ansätzen und ließe Experimentelles erwarten. Doch Fujiya & Miyagi spinnen das Space'ige nicht zuende und bescheiden sich in klaren Liedstrukturen. Allenfalls ein zeitloses Zitat klingt an, aus dem Katalog jenes Londoner Labels, das für Best immer Vorbild war: Das LFO-"Theme" schleicht sich in den Instrumental-Track "Oops". Und Klangverwandtschaft besteht auch zum aktuellen WARP-Act LoneLady. Das andere Instrumental, das sehr schnelle, schneidende, knatternde und pumpende "Non-Essential Worker" heizt ebenfalls gut ohne Worte ein. Schillernd, klanglich glitzernd malt es eine Atmosphäre, die man beim Blick aufs schwarz-weiße Karo-Cover nicht erwartet. Die Engländer legen ein stringentes und freundliches Electronica-Album hin, das sich extrem angenehm vom oft flächigen und dystopisch-düsteren Genre-Sound dieser Tage abhebt.
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