laut.de-Kritik
Die eigenen Dämonen in Honig ertränken.
Review von Mirco LeierVielleicht liegt es an der brütenden Hitze, vielleicht an der geringen Bevölkerungsdichte oder vielleicht an der Tatsache, dass einem gefühlt alles, das durch den heimischen Garten kreucht an die Gurgel will. Irgendeinen Grund wird es schon geben, wieso gerade Australien sich in den letzten Jahren zu einem der interessanten Orte auf dem Globus gemausert hat, was die exzentrische Selbstverwirklichung musikalischer Outsider angeht.
Kirin J Calinan, Alex Cameron, Tkay Maidza und King Gizzard sind nur einige Beispiele für Künstler*innen, die sich musikalisch in allererster Linie über ihre Abneigung von Genredefinitionen und den damit einhergehenden Limitierungen definieren. Musikalische Chamäleons, die sich nicht nur von Album zu Album musikalisch weiterentwickeln, sondern auch innerhalb ihrer Langspieler freudig zwischen Sounds und Ästhetiken hin- und herspringen. In diese Riege der Ausnahmetalente gesellt sich nun mit Genesis Owusu der nächste vielbegabte Durchstarter.
Debüt-Alben sind, besonders im Mainstream, immer so eine Sache. Man will ja grundsätzlich nicht schon von vorneherein seine potentielle Hörerschaft mit zu abstrakten Experimenten verschrecken, aber dennoch eine möglichst breite Palette dessen anbieten, das einen als Künstler*in ausmacht. Man will im besten Falle aus der Reihe tanzen, ohne zu sehr vor den Kopf zu stoßen, und unterhalten, ohne zu langweilen. Dieser Drahtseilakt gelingt den wenigsten auf Anhieb, doch Genesis Owusu ist einer dieser wenigen.
Die Mühelosigkeit, mit der er auf "Smiling With No Teeth" Sounds aus aller Welt zu etwas Kohärentem zusammenbringt, beeindruckt. Der als Konzeptalbum über Rassismus und mentale Gesundheit konzipierte Langspieler vereint Brockhampton, Death Grips, Lou Reed, Prince, Yves Tumor, Thundercat, Bruce Springsteen und viele mehr in einer Tracklist, ohne auch nur eine Sekunde seine eigene Identität zu verlieren.
So tritt Owusu beispielsweise mit "On The Move!" einem Death Grips-esken Punk-Rager mit ordentlich Schmackes die Tür ein, nur um wenig später für "Centrefold" verträumtem Neo-Soul Platz zu machen. Spätestens wenn er auf "Drown" an der Seite von Kirin J Callinan 80er Synth-Pop rezipiert, sollte wirklich jede*r verstanden haben, dass man am besten gar nicht erst versuchen sollte, dieses Album in eine Schublade zu stecken.
Das bestätigt sich im weiteren Verlauf auf fast schon irrwitzige Art und Weise. Es folgen Uptempo Funk-Banger ("Don't Need You"), butterweicher Pop-Rap ("Gold Chains"), Spoken Word-Poesie ("Smiling With No Teeth"), Industrial-Hip Hop ("I Don't See Colour"), Folk ("A Song About Fishing") und Gospel-Balladistik ("No Looking Back"). In einer Vielzahl von Fällen würde ein solch wildes Potpourri zu einem fast unhörbaren, identitätslosen tonalen Chaos führen, nicht aber bei Owusu.
Das ist zum einen seinem schieren Talent als Songwriter und Performer geschuldet, aber auch einer gewissen Bescheidenheit. Jedes noch so verrückte Experiment gelingt, weil Owusu nicht seiner eigenen Ambition zum Opfer fällt. Vielmehr konzentriert er sich auf seine Stärken - Schreiben, Rappen, Singen - und holt das meiste aus ihnen heraus.
Seine Versatilität als Rapper beweisen unter anderem "The Other Black Dog" und "Gold Chains". Mit Leichtigkeit wechselt Owusu darauf zwischen Tempos, Flows und Stimmungen, kanalisiert im einen Moment noch Andre 3000 und im nächsten gleich mehrere Mitglieder von Brockhampton auf einmal.
"Waitin' On Ya", "Don't Need You" oder die wunderschöne Ballade "No Looking Back" geben wiederum seinem ebenso wandelbaren Gesang ausreichend Raum. Im einen Moment verkündet er mit dem Swagger eines Prince selbstsicher das Ende einer toxischen Beziehung, im nächsten besingt er mit warmem Gospel und einer bittersüßen Melancholie den Kampf und den vorübergehenden Sieg gegen seine inneren Dämonen. Eine Ambivalenz, die einen mehr als einmal dazu zwingt, sich zu versichern, dass über die Länge des Albums wirklich ein und dieselbe Person hinter dem Mikrofon steht.
Das Motiv des "Black Dog", des schwarzen Hundes, das besonders in der britischen Folklore stellvertretend für Tod und Unheil steht, greift Owusu vermehrt auf, um seinem persönlichen Kampf gegen Rassismus und Depressionen eine Form zu geben, und nicht zuletzt auch, um sich selbst zu beschreiben. "The dog with the blackest of bones / It rides on the back of my clothes", heißt es auf "The Other Black Dog".
Die prägnantesten Momente der Katharsis heißen "Whip Cracker" und "I Don't See Colour". Sie widmen ihre gesamte Laufzeit dem Rassismus, dem sich Genesis Owusu tagein tagaus ausgesetzt sieht. "The burning of a bush told me that I was great / But the burning of a cross taught me to play it safe, cause somehow my actions represent a whole race", rappt Owusu da sichtlich angepisst. Eine Stimmung der zunehmend entsprechende Taten folgen: "You ain't getting saved, I'm on my Malcolm X", heißt es weiter.
Pointiert, clever und vor allem wütend spuckt Owusu seinem Gegenüber den Teer ins Gesicht, den er über die Laufzeit seines Debüts hochwürgt. Fast jeder Song beinhaltet Referenzen auf den alltäglichen Struggle, oft maskiert hinter einer destruktiven Selbstironie ("I'm being eaten on the inside, at least I look like a snack") oder geistreichen Metaphern ("Your alarm can't disturb you in an eternal slumber, baby"). Das macht die wenigen Momente des Aufatmens dafür umso euphorischer. ("Wait, could this be true? I don't need you!")
"Smiling With No Teeth" ist thematisch ein düsteres und sehr persönliches Album, ertrinkt aber nie in seiner Trauer oder seiner Wut, denn der lyrischen Tristesse steht ein instrumentales Feuerwerk gegenüber, das selbst die niederschlagenden Zeilen leicht verdaulich aufbereitet. (Bestes Beispiel: "Gold Chains"). Mit den Worten "Slathering honey on our demons for the palate of the apathetic" bringt es Owusu auf dem Titeltrack selbst sehr schön auf den Punkt.
Dass man sich nach diesem Honig gar nicht genug die Finger lecken kann, ist auch der Band geschuldet, die den Newcomer über knapp eine Stunde hinweg begleitet. Bestehend aus Andrew Kippel, dem bereits mehrfach erwähnten Kirin J Calinan, Michael DiFrancesco (Touch Sensitive) und Julian Sudek (World Champion) legt die Black Dog Band das organische Fundament für Owusus Seelenstriptease und bringt die Grooves, die in der einen Minute in den Moshpit einladen, und in der nächsten die Schuhsohlen dazu bringen, sich von alleine zu bewegen. Die Devise: Punk, Funk, Soul, Pop: alles darf, nichts muss.
Genesis Owusu beschreibt auf seinem Debüt eine Reise zu sich selbst. Eine notwendige Abarbeitung all dessen, das ihn im Leben zurückhält, an deren Ende er wieder lachen kann, auch wenn ihn der Weg dahin seine Zähne gekostet hat. Es ist kein schmerzhaftes Grinsen, eher ein trotziges, wenn nicht sogar zufriedenes. Oder, um es einmal mehr in seinen eigenen Worten zu sagen: "Everybody wants the summer without holding the rain / Everybody wants the feeling without touching the pain."
1 Kommentar
Sehr gutes Album, von einem Künstler, der mir vorher nicht bekannt war. Erinnert mich in vielen Momenten an Slow Jams von Outkast oder auch an das Sir Luscious Leftfoot Projekt.
Schöne Rezension, die das Album treffend beschreibt.