laut.de-Kritik

Reggae für ein äußerst freundliches Möbelhaus.

Review von

Fangen wir das alles ehrlich an: Ich habe keinen Kontext und keine Vergangenheit mit der Musik von Gentleman, außer mir in der Mittelstufe ab und zu über seine Musikvideos auf Viva den Kopf gekratzt zu haben. Jedenfalls quittierten mir alle Kollegen die Nachfragen, warum diese Website diesen Mann historisch so hofierte, mit einem ausweichend schmachtendem "Hach, damals war das eben so". Zum Glück bin ich im Vergleich zur Redaktion gefühlte zwölfeinhalb Jahre alt und empfinde keine Not, dabei gewesen sein zu müssen. Was bringt also dieses Relikt aus einer Zeit, in der das Konzept Weltmusik noch wie eine genauso gute Idee klang, wie sich Fedoras tragend 'Gentleman' zu nennen?

Grob: 16 Tracks mit einer klaren Trennlinie. Ein paar klingen, wie er eben immer geklungen hat. Die andere Hälfte schmiegt sich schamlos am aktuellen Produktionsmainstream an. Damit komme ich wohl genau zur rechten Zeit seiner Diskographie, denn diese erste rein deutsche Gentleman-Platte biedert sich trotteligen Kindern wie mir spürbar an. Richtig gelingen wollen beide Strömungen nicht, aber trotzdem muss man dem Mann Respekt für seine Offenheit zollen.

Gegenläufig zur Prognose führender Marktforschungs-Teams gefällt mir aber der Teil des Albums besser, der nicht klingt, als könnte er musikalisch auf dem letzten Trettmann-Album landen. Auf den reinen Reggae- und schlichten Dancehall-Nummern hat der Mann definitiv seinen Charme. Einen etwas albernen, abgeschmackten Charme, aber nichtsdestotrotz: Dem Mann, der seinen Blumen jeden Morgen "Namaste" sagt und eigentlich nur gute Vibes will, kann man eben nicht allzu böse sein.

Mit solide verträumten Gitarren und einer überraschend modernen Produktion fläzt sich der Mann durch eine denkbar belanglose Themenpalette und leuchtet eigentlich nur dann auf, wenn er es von seinen Liebsten hat oder man ihm auf "Feierwahn" mal ein bisschen Dampf unterm Arsch macht. Sonst dümpelt "Blaue Stunde" vor sich hin; er lebt eben seinen corny Mittvierziger-Wohlstand aus und produziert ungenierten Gentrifizierungs-Core. Klingt das Feature mit Sido, in dem sie sich halbernst über das harte Leben monieren, schlecht? Nö. Aber seinen Problemen mit den Ratschlägen "mach mal Glotze aus", "putz doch mal die Bude" und "wir sollten alle etwas runterkommen" beizukommen, klappt besser für reiche Männer mit Namen wie Tillmann Otto oder Paul Würdig.

Wenn Gentleman aber nicht Musik für Toom-Werbespots macht, dann zeigt er, wie up to date er mit den sogenannten Jugendlichen ist. Luciano, Ezhel und Summer Cem liefern pflichtschuldige Gastbeiträge ab und zeigen dabei mit dem Protagonisten Chemie wie ein Bio-Laden. Musikalisch hat Gentleman ja alle Kredibilität der Welt, auf den Trend hin zum Dancehall und Afrobeat aufzuspringen. Warum klingt das alles dann dann so gekünstelt?

Ohne den Novum-Effekt fehlt Biss. Songs wie "Wo Auch Immer" und "Bruder" klingen angestrengt und haben mit dem Roots-Flavour, dem der Mann sonst gerecht wurde, wenig zu tun. Welche Geschichte will er zu diesem Sound erzählen? Dass er mit 17 das erste Mal in den Keller von Kitschkrieg gereist ist und bis heute hohes Ansehen da unten genießt?

Das etappenweise Produktions-Upgrade von den Jugglerz veredelt den Sound ohne Frage, aber nimmt ihm auch eine ganze Kante Identität. Während er auf seinen Standard-Nummern irgendwie corny, aber süß abliefert, fühlt er sich auf den Modernisierungs-Anläufen wie ein Gast auf der eigenen Platte an. Im großen und ganzen deckt das den Gesamteindruck: "Blaue Stunde" hat ein bisschen Kredibilität, eine Menge Kompetenz, aber die zündende Idee fehlt. Zwanzig Jahre in seine Karriere brauchen wir einfach keine kulturellen Übersetzer für Sounds mehr, die wir selbst von der Quelle beziehen könnten – vor allem, wenn viel inzwischen direkt aus dem deutschen Raum adaptiert wird.

Trackliste

  1. 1. Ahoi
  2. 2. Zwischen Den Stühlen
  3. 3. Garten
  4. 4. Time Out
  5. 5. Schöner Tag (feat. Sido & Jugglerz)
  6. 6. Devam (feat. Luciano & Ezhel)
  7. 7. Dunkelblaues Boot
  8. 8. Wo Auch Immer
  9. 9. Bruder (feat. Summer Cem)
  10. 10. So Nah
  11. 11. Staubsauger
  12. 12. Feierwahn
  13. 13. Bei Dir Sein
  14. 14. Wieder Gehen
  15. 15. Mehr Als Ich
  16. 16. Ich Komm Zurück

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