laut.de-Kritik
Alte Schätze ausgegraben.
Review von Philipp KauseSie datieren in die ersten Jahre von Rock- und Popmusik zurück: Long Time Ago, zwischen 1951 und '64 entstanden die Songs auf "Walking To New Orleans - Remembering Fats Domino And Chuck Berry". Doch vergessen gehören diese alten Nummern keineswegs.
Das findet zum Glück auch George Benson und nahm die Titel komplett neu auf. Das Publikum, das sie erstmals hörte, hatte noch keine Walkman-/MP3-Player, Ghettoblaster und andere tragbaren Geräte. Diese Musik gab es nur ortsgebunden, etwa öffentlich in Kneipen, wo Jukeboxen aufgestellt waren. Gegen Münzeinwurf startete eine ausgewählte Single. Die öffentliche Wirkung der relativ wenigen verfügbaren Titel war groß. Ob 'Top' oder 'Flop' kristallisierte sich rasch heraus, und Benson wählte nicht die populärsten Top-Titel aus.
Von den meisten Songs gibt es bislang nur angestaubte, verkratzte Tonträger oder Mono-Überspielungen auf CD. Lediglich bei "I Hear You Knockin'" verhält es sich anders, weil Dave Edmunds' Rockpile und Status Quo (in Medley-Format) den Song coverten. George Benson hat einiges an Arbeit vor sich – nur 1:1 covern, das geht hier nicht. Dazu sind die Originale schon technisch gesehen aus einer zu lange vergangenen Ära.
So putzt er "Ain't That A Shame" vortrefflich heraus. Der Hit von Fats Domino aus dem April 1955 klingt ursprünglich sehr nach Understatement - wie eine nebenbei hingeschmissene Nummer. Dabei handelt der Songtext von Tränen, die wie Regen strömen, angesichts einer frischen Trennung. Erst hier wird einem der Inhalt bewusst. Der Anti-Held des Songs sucht die Schuld für das Beziehungs-Aus bei der Ex-Partnerin. Benson belässt es zwar einerseits bei der hochtönig fiependen Piano-Tonfolge des Originals, baut den Song aber zu einem Blues-Rock-Stück von heute aus. Das Gitarrensolo im Mittelteil entspricht den Standards, wie Eric Gale oder Beth Hart sie heute setzen, wenn sie mit Blues eigentlich 'Rock auf Bluesakkorden' meinen. Das Tenorsaxophon bei Benson reichert das "Ain't That A Shame" mit einem zweiten Solo an und klingt bahnbrechend.
Zu den weiteren Songs aus dem Repertoire des Fats Domino gehört "Walking To New Orleans". Das Klavier-Stakkato markiert sofort die Domino-Handschrift. Wirklich witzig ist, dass George Benson, bekannt durch seine relativ klare, helle Stimme, hier das röhrende, leicht näselnde Timbre von Domino perfekt nachahmt. Normalerweise würde man bei einer Coverversion nicht gerade sagen, dass sie gut ist, wenn sie wie das Original klingt. In diesem Fall scheint es aber fast unmöglich, wie der Originalsänger zu klingen. Daher fasziniert die Aufnahme. Gefühlvoll erzeugt die Gitarrensolo-Passage eine Stimmung, die anders als im Original den langen Weg nach New Orleans, das unablässige "Walking, walking, walking" veranschaulicht. Nach und nach setzen weibliche Background Vocals und dann auch wieder George Bensons Gesang ein, wiederholen ein ums andere Mal das Wort 'walking', während das Klavier schleichend die Führung gegenüber der Gitarre einnimmt. Das Tasteninstrument vertont die Schritte des Laufens.
Während bei Fats Domino nie so recht klar war, ob er dem (New Orleans-)Jazz, dem Rhythm And Blues oder dem Rock'n'Roll zuzuordnen ist, tippt bei Chuck Berry sofort jeder auf das dritte Genre. Ungestümer Rock'n'Roll findet sich vor allem in "You Can't Catch Me" (von 1956) und in "Memphis, Tennessee". Die Beatles verehrten Chuck Berry, und Elvis ebenfalls, der genau mit letzterem Song die eigentliche Referenz-Version des Titels hinterließ (1960). Doch John Cale von Velvet Underground setzte noch einen drauf und verpasste dem Song einen dröhnenden Basslauf, auf "Illegal" (1977).
"Long distance information, in Memphis, Tennessee" handelt ganz schlicht von einer Zeit vor dem Handy. Auch in Deutschland unterschied die Telekom noch bis Mitte der 90er-Jahre das Ortstelefonat und das bundesweite Gespräch. Von Konstanz nach Kiel telefonierte man ein 'Ferngespräch', einen 'Long Distance Call', aber auch von Köln nach Bonn war man bereits im Ferntarif unterwegs. Wenn sich in den USA etwa jemand aus New Orleans auf einer Party in eine Frau namens Marie verliebte und diese Dame im Süden der Stadt Memphis an der Mississippi Bridge wohnte, wie in diesem Song, dann wurde es für einen Jüngling wie Elvis teuer und umständlich: Er musste für eine Verabredung erst einmal den Operator Service anrufen, dann stöpselte eine Mitarbeiterin die Kabel zwischen seiner und der Leitung der Herzensdame aneinander. Für das Gespräch investierte er dann schon mal so viel wie für einen Restaurantbesuch. Die Sache war kompliziert und reicht daher inhaltlich für mehrere Strophen. George Benson bringt die Stimmung und den Sachverhalt mit gutem Gespür auf den Punkt: Das Leben in der Moderne ist mühsam, und das ist ja grundsätzlich das Überthema im Blues.
Mittelschneller Blues erklingt in "Rockin' Chair" (Original Fats Domino, 1951), und ein eher unbekannter Blues-Schleicher mit edler Aufmachung beendet die Platte: "How You've Changed", Original von 1958 (LP: "One Dozen Berrys"). Cello, weitere Streicher mit Tremolo-Figuren, ein atemberaubend gespieltes Klavier, Sprechgesang, funky Background-Sängerinnen. Ein sieben Sekunden langer Schlussakkord beendet die Platte. Sie hätte gerne noch weiter gehen dürfen. Schon diese punktuelle Auswahl, ein paar Stichproben aus dem Fats Domino-Archiv, ein paar aus dem Chuck Berry-Regal, zeigen: Diese uralte Musik beherbergt noch ganz viele Songs, die sich in die heutige Zeit übersetzen ließen und zu schade sind, um zu verstauben. Es ist zu begrüßen, dass Benson sich selbst den Wunsch erfüllte, an solche Klassiker, mitunter aber auch an Raritäten wie "Blue Monday" und das vergriffene "Nadine (Is It You)" (einen EP-Track von 1964) heranzutreten. Wer die ganze historische Entstehungskette begreifen will, die eine Band wie Greta Van Fleet möglich macht, fängt idealerweise mit einem Song wie "Memphis, Tennessee" an.
1 Kommentar
Okay, hier ein Kommentar. Was dieser Satz soll, verstehe ich nicht:
"Das Gitarrensolo im Mittelteil entspricht den Standards, wie Eric Gale oder Beth Hart sie heute setzen, wenn sie mit Blues eigentlich 'Rock auf Bluesakkorden' meinen."
Nun: Eric Gale ist 1994 gestorben, er war eher ein Jazz- und Rhythm and Blues-Gitarrist und schon gar keiner, der Blues als Rock verstanden hat. Und Beth Hart - die singt vor allem mal, nicht selten mit Joe Bonamassa, und der meint vielleicht sogar `Rock auf Bluesakkorden´ wenn er Blues spielt ... oder so ... sorry, das ist einfach purer Blödsinn.
Gunther Matejka