laut.de-Biographie
Gil Scott-Heron
Er gilt als "Godfather of Rap", viele halten ihn für den "schwarzen Bob Dylan". Gil Scott-Heron selbst bevorzugt die Bezeichnung "Bluesologist": Er sieht sich als eine Art Wissenschaftler, dem es um die Ursprünge des Blues geht.
Sein Schaffen jedoch reicht weit über den Blues hinaus. Scott-Heron kombiniert Funk, Jazz und Latin-Musik mit Spoken Word-Vorträgen und politischen, sozialkritischen Botschaften und prägt damit nicht nur die musikalischen Felder, die er selbst beackert, sondern tatsächlich in erster Linie Hip Hop.
"Alles, das wir tun, tun wir deinetwegen", erweist ihm Public Enemys Chuck D nach seinem Tod am 27. Mai 2011 die letzte Ehre. Neben zahllosen Kollegen spricht auch Eminem sein Beileid aus: "Er hat alles im Hip Hop beeinflusst" - und nicht nur da: Auch Schriftsteller, Bürgerrechtler und Musiker, vom Indierocker bis zum Rapper, beziehen sich auf Gil Scott-Heron.
Dessen Geschichte beginnt am 1. April in Chicago in Illinois: Dort kommt Gil als Sohn einer Opernsängerin und eines jamaikanischen Fußballspielers (des ersten Schwarzen übrigens, der in den 50er Jahren für Celtic Glasgow auflief), zur Welt. Die Ehe der Eltern geht allerdings bald in die Brüche.
Gil verbringt seine Kinderzeit bei der Großmutter mütterlicherseits, einer aktiven Bürgerrechtlerin, in Jackson in Tennessee. Dort kommt er zum einen mit Musik und Literatur in Kontakt, aber auch mit offenem Rassismus, der im Süden der USA besonders hässliche Blüten treibt. Als Gil zwölf Jahre alt ist, stirbt die Oma. Er zieht wieder zu seiner Mutter, die inzwischen in der Bronx lebt.
Trotz der nicht gerade bevorzugten Lebensumstände dort schließt Gil die Schule ab und beginnt ein Studium. Parallel dazu beginnt er zu schreiben und Musik zu machen. Er trifft Brian Jackson, mit dem er die Gruppe Black & Blues aus der Taufe hebt. Zwischen den beiden Musikern entspinnt sich eine langjährige Zusammenarbeit.
Zunächst verfolgt Scott-Heron aber eine schriftstellerische Karriere. Er nimmt sich eine Auszeit von seinen Studien, um Novellen zu schreiben. Obwohl er sein Grundstudium nicht ordentlich abschließt, erwirbt er 1972 einen Master in kreativem Schreiben. Eine Zeit lang unterrichtet er danach am Federal City College in Washington Literatur und kreatives Schreiben. Sein Romandebüt "The Vulture" hat er da schon lange veröffentlicht.
Dass Gil Scott-Heron dennoch weniger als Schriftsteller denn als Musiker in Erinnerung bleibt, verdankt er dem Black Arts Movement, insbesondere den Last Poets. Nach einem ihrer Auftritte beschließt er, selbst ähnliche Wege zu beschreiten. Sein erstes Album "Small Talk On 125th And Lenox" erscheint, wie sein erster Roman, 1970.
"Ein Vulkanausbruch an Intellektualität und Sozialkritik", so urteilt All Music - und umreißt damit ziemlich genau, worum es im Schaffen Gil Scott-Herons geht: Oberflächlichkeit hat in seiner Welt keinen Platz. Er befasst sich mit politischen und sozialen Zusammenhängen und nimmt kein Blatt vor den Mund: Er stellt er sich auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung, die für die Rechte von Schwarzen eintritt, positioniert sich klar gegen Rassismus, gegen die Apartheid in Südafrika, gegen Atomkraft, und später gegen die Politik Ronald Reagans.
Revolutionär, aufrührerisch, direkt, so Gil Scott-Herons Ausdrucksform - und Kollegen wie Kritiker verehren ihn dafür. In den 70ern und zu Beginn der 80er Jahre erscheint ein Album am anderen. Doch wie so oft, fordert der Erfolg einen hohen Preis. Scott-Herons Achillesferse: Alkohol und Drogen. Seine Diskografie endet nach "Moving Target" im Jahr 1982 abrupt. 1985 erscheint noch ein Best-Of-Album, danach entlässt ihn sein Label aus seinem Plattenvertrag.
Gil Scott-Heron tritt zwar weiterhin auf, veröffentlicht auch noch ein paar wenige Samplerbeiträge. Künstlerisch wird es jedoch still um ihn. Nicht so, leider, in anderen Zusammenhängen: 2001 verurteilt ein Gericht Gil Scott-Heron zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen Drogenbesitzes.
Zwei Jahre später kommt er auf Bewährung frei. Die BBC porträtiert ihn in einer Dokumentation, die nach seinem bekanntesten Hit den Titel trägt: "Gil Scott-Heron - The Revolution Will Not Be Televised". Sehr wohl "televised" wurde aber Scott-Herons Besitz einer Crackpfeife: ein klarer Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen, weswegen er wieder hinter Gitter wandert.
Die Tragik setzt sich fort: 2006 ergeht das nächste Urteil. Diesmal fährt Gil Scott-Heron für zwei bis vier Jahre ein. Erste Gerüchte, er sei HIV-positiv, machen die Runde. Erst zwei Jahre später bestätigt sie der gestrauchelte Musiker in einem Interview.
Nach seiner Haftentlassung 2007 findet er endlich zurück in die Spur. Er beginnt zusammen mit Produzent und Labelbetreiber Richard Russell mit der Arbeit an einem neuen Album. Das Werk mit dem einigermaßen untertreiberischen Titel "I'm New Here" erscheint 2010 und erntet, wenngleich noch nicht einmal eine halbe Stunde lang, fulminante Kritiken. Die Remixversion, die Jamie XX im Jahr darauf nachreicht, kommt ebenfalls gut weg.
Die Erfolgskurve weist wieder steil nach oben, jedoch zu spät: Drei Monate nach der Veröffentlichung von "We're New Here" wird Gil Scott-Heron mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Am 27. Mai 2011 stirbt er im Alter von 62 Jahren, die genaue Todesursache bleibt ungenannt.
Im Jahr darauf erhält Gil Scott-Heron posthum den Grammy für sein Lebenswerk. 2014 erscheint mit "Nothing New" ein letztes Album mit übrig gebliebenen Aufnahmen aus den "I'm New Here"-Sessions. Sein Schaffen, literarisch wie musikalisch, bleibt höchst lebendig: Gil Scott-Herons Songs leben weiter, gesamplet von Kollegen von Dr. Dre bis Mos Def, von Common bis Aesop Rock, von MF Doom bis Kanye West.
In seiner Rolle als "Godfather of Rap" fühlte sich Gil Scott-Heron übrigens nie hundertprozentig wohl: "Die müssten alle mal ein bisschen was über Musik lernen", geht er wenig gnädig mit dem seiner Meinung nach größten Teil der Hip Hop-Zunft ins Gericht. "Worte über irgendwelche Musik zu legen und die selben Worte in die Musik überzublenden, dazwischen besteht ein riesiger Unterschied. Viel Humor existiert da auch nicht. Sie benutzen massig Slang und Umgangssprache, geben aber nichts von ihrem Inneren preis. Statt dessen kriegst du nur ein Haufen Posen."
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