laut.de-Kritik

Von Dillinger Escape Plan zu Synthpop in Mike Patton-Manier.

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"Der könnte alles singen" – wie oft hat man diese Phrase schon gehört? Greg Puciato scheint sie sich zum Vorbild für sein Solodebüt genommen haben. Die Spannweite von "Child Soldier: Crestor Of God" reicht von kitschigem Synthpop und Deftones-Alternative bis hin zum Stimmbänder zerfetzenden Gekreisch, für das man ihn bei The Dillinger Escape Plan lieben gelernt hat. Und er macht dabei stets eine gute Figur – als Sänger, aber auch als Instrumentalist übernahm er doch alle Aufgaben außer dem Schlagzeugspiel.

Weder mit der Musik seines früheren Brötchengebers noch mit der von Interimsprojekt The Black Queen hat das Album besonders viel zu tun. Puciato zitiert zwar Elemente von beiden, nutzt diese aber nur punktuell und hält bewusst alle Grenzen offen. "Mit dieser Platte erkläre ich mir die ultimative Freiheit. Mit The Black Queen wollte ich etwas ganz anderes machen als mit The Dillinger Escape Plan und allen zeigen, dass ich mehr als nur eine Seite habe. Letztendlich wurde mir klar, dass ich beides bin – und all diese anderen Dinge auch."

Puciato verzichtet auf allzu vertrackte Rhythmen und organisiert chaotische Songstrukturen, wie sie ihm ex-Kollege Ben Weinman 15 Jahre lang in immer noch unerreichter Form zuwarf. Er gestaltet die Stücke zwar experimentell, aber leicht zugänglich. Umgekehrt ist er weit davon entfernt, wie bei The Black Queen hauptsächlich elektronisch zu arbeiten und Metal gänzlich den Rücken zu kehren. Die Riffs krachen sogar ziemlich deftig – und fieser als beim mit Max Cavalera, Ben Koller und Troy Sanders betriebenen Nebenprojekt Killer Be Killed. In "Roach Hiss" lauern brachiale Sludge-Walzen, Puciatos Schreie brennen sich schmerzhaft ins Ohr. "Do You Need Me To Remind You" beginnt als dräuender Doom/Post Metal-Brocken, biegt im Chorus gen Mastodon ab und mündet in einen Dark Ambient Part, der hervorragend als Atmo-Piece auf ein Black Metal Album passen würde.

Wegen des Überraschungsfaktors fast noch mehr Spaß machen allerdings die unmetallischen Momente der Platte. So startet Puciato betont zurückhaltend in Singer/Songwriter-Manier, wohl auch um klarzumachen, dass hier niemand Dillinger 2.0 erwarten sollte. "Heaven Of Stone" braucht nur Akustikgitarre und sanfte Stimme. Nach anderthalb Minuten bricht der Beat von "Creator Of God" die Stille und Puciato marschiert mit unheilvollem Industrial/Noise gen Nine Inch Nails.

Nachdem das an Dead Cross erinnernden "Fire For Water" und der Horrortrip Ohrwurm "Deep Set" noch ein bisschen tiefer in die Finsternis reißt, scheint bei "Temporary Object" plötzlich die Sonne. Der modern produzierten Electropop-Song würde auch zum Soloprojekt von TesseracTs Daniel Tompkins passen. Wie später auch in "A Pair Of Questions" erkundet Puciato hier geschickt Klischees, paart 80er-Drumsounds und 90er-Synths mit himmlischen Gesangsmelodien und gefühligen Gitarrensoli. Das funktioniert im Ergebnis auch deshalb so gut, weil betont glattgebügelte Popsongs ohne doppelten Boden zu den letzten Dingen gehören, die man auf dem Soloalbum des ehemaligen Dillinger Escape Plan Fronters erwartet.

Und weil Puciato ungeniert die Kitschklaviatur durchspielt, dabei aber – übrigens ganz ähnlich zu The Night Flight Orchestra, nur mit mehr Popfaktor –, trotzdem Ernsthaftigkeit bewahrt. Softporno-Seufzer hin oder her. Für weitere Farbtupfer sorgen unter anderem "Fireflies" mit zwischen A-ha, Depeche Mode und M83 pendelndem Dreampop, die Slowdive-Vibes von "You Know I Do", die Skatepunk Nummer "Down When I'm Not" und das Kleinod "Through The Walls". Letzteres klingt, als wäre Trent Reznor bei Coldplay eingestiegen.

Über fünfzehn Stücke hinweg rollt Greg Puciato auf seinem Solodebüt ein immenses Repertoire aus, in durchgehend hoher Qualität. Allen hört man in jeder Faser die Leidenschaft dafür an, Grenzen auszuloten und Neues auszuprobieren. Gesanglich geht "Child Soldier: Crestor Of God" mindestens im Heavy-Bereich als Gradmesser für stilübergreifende Vocal-Kunst durch und zementiert Puciatos Status als einer der besten seines Fachs. Spätestens nach diesem Werk darf man nihn guten Gewissens in einer Reihe mit Leuten wie Mike Patton nennen.

Trackliste

  1. 1. Heaven Of Stone
  2. 2. Creator Of God
  3. 3. Fire For Water
  4. 4. Deep Set
  5. 5. Temporary Object
  6. 6. Fireflies
  7. 7. Do You Need Me To Remind You
  8. 8. Roach Hiss
  9. 9. Down When I'm Not
  10. 10. You Know I Do
  11. 11. Through The Walls
  12. 12. A Pair Of Questions
  13. 13. Evacuation
  14. 14. Heartfree
  15. 15. September City

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