laut.de-Kritik
Chronische Liebespopanekdoten aus der Konsole.
Review von Jasmin LützOh je, als ich das erste Mal das Cover von "The Past Presents The Future" sah, wurde mir ganz flau im Magen. Auf Zähne reagiere ich ja prinzipiell allergisch, aber in letzter Zeit - nach einigen blutigen Verlusten der Weißheit - noch intensiver. Und soll das Pinke da etwa eine Zange sein? Was hat sich Marc Bianchi, das Hirn von Her Space Holiday, dabei wohl nur gedacht? Sogar die ersten elektronischen Vibrationen auf "Missed Medicine" verursacht eine weitere Gänsehaut und ich höre entfernt das leise Dröhnen eines bösen, durchdringenden Bohrers.
Aber das ist doch nur eine harmlose Beatmaschine, flüstert mir eine innere Stimme zu. In dem Song disst sich im übrigen der Mann zur Abwechslung mal selbst. Man sollte eben doch nicht immer alles so negativ sehen. Marc ist nun mal ein Besessener Frickler, der den lieben langen Tag nichts anderes tut, als zarte Drum'n'Bass-Sequenzen mit Streichern ("Forever And A Day") oder Akustikgitarre kombiniert. Mit einem oft sarkastischen Humor trägt der Texaner/Kalifornier seine Songs schon seit 1996 in die Welt hinaus. Egal ob die Plattenfirma ihn verlässt oder die geliebte Freundin. Beim Zahnarzt war er mit Sicherheit auch schon mal, soll hier aber nicht unbedingt die Inspiration gewesen sein. Traumatische Erlebnisse aber schon.
Auf jeden Fall beruhigen die weiteren Songs wie "The Weight Of The World" den verstörten Patientenkörper mit melodischen Orchesterarrangements, welche Schädigung ihm auch immer wiederfahren ist. So lehnt man sich gerne zurück und lauscht den verträumten Klangvariationen. Und ganz schnell hat man die zahnärztliche Praxis hinter sich gelassen und taucht friedlich, in die düstere Traumpopwelt von HSH ein.
Elektropop schreibt er auf "The Past Presents The Future" ganz groß. Die existenziellen Fragen des Lebens beschäftigen Bianchi dabei ganz besonders. Liebeskummer, Verzweiflung und immer wieder die Suche nach "The Good People Of Everywhere", verpackt er in elektronische, schwermütige Melancholie. Daran geht der Hörer gerne mal zu Grunde und genießt das vereinsamte Songwriting zugleich. Eine politische Thematik verarbeitet er in "A Match Made In Texas", was sich vor allem gegen die amerikanische Engstirnigkeit richtet. In Texas sind diese Liebeskummergeschichten allerdings nicht entstanden. Der Tüftler ist für diese zehn Songs zurück nach Kalifornien geflogen und hat sich in einer kleinen, einsamen Hütte verbarrikadiert. Sonne und Meer waren dabei wohl nur Nebensache, wenn überhaupt.
Was wären wir ollen Depri-Tassen ohne Künstler, wie Sigur Rós, Will Oldham oder Bright Eyes? Sehr gut kann man sich Marc Bianchi auch ohne das elektronische Allerlei um ihn herum vorstellen. Dies beweist vor allem der letzte Song "The Past Presents The Future". Mit seiner Stimme und Akustikgitarre allein fließen die Gefühle in sich zusammen. Die Damenwelt würde ihm zu Füßen liegen, wenn er seine gescheiterten Beziehungen, wie in "You And Me", rein akustisch zum Besten geben würde. So wie Connor Oberst bei seinen Konzerten die Mädchen in der vordersten Reihe nicht mehr zählen kann. Aber will er das?! Wohl kaum, bei soviel Glück könnte der chronische Pechvogel doch nicht mehr so schöne Songs schreiben, oder?!
2 Kommentare
wasn das für musik?
Elektropop, sehr schöner sogar ... kenns aber zu wenig. Würd' mich aber überraschen, wenn dir das gefiele (wobei ... bei deinem Musikgeschmack überrascht mich ehrlich gesagt auch nicht mehr viel )