26. Januar 2011

"Wir tragen eine Maske"

Interview geführt von

Fast wären wir zu spät zum Interview mit Hot Chip angedackelt. Kurz vor knapp hetzen wir nach ewigem Anstehen in der Eingangsschlange zum FM4 Frequency schweißgebadet in den Pressebereich.So viel Eile wäre gar nicht nötig gewesen: Alexis Taylor und Joe Goddard trudeln mit sympathischer Fünf-Minuten-Verspätung ein. Adrett gekleidet wie eh und je begrüßen uns die beiden. Joes herzliches Lachen und Alexis' angenehm trockener Humor vertreiben meine Nervosität. Unter Beschallung der wenige Meter entfernt auf der Hauptbühne spielenden Shout Out Louds sprechen wir in zehn statt der angesetzten zwanzig Minuten über die Skepsis gegenüber der eigenen Musik, den Nerdstyle und das Nicht-Popstar-Dasein.

In anderthalb Stunden tretet ihr auf der Green Stage auf. Spielt ihr das erste Mal in Österreich?

Alexis: Wir haben bisher kaum hier gespielt. Es ist eines der ersten Male, dass wir in Österreich ein Konzert geben. Vor Jahren waren wir hier als Support von Faithless unterwegs. Zu der Zeit haben wir kaum woanders als in England Gigs gegeben, und seitdem sind wir nicht wirklich oft hierher zurückgekehrt.

Seid ihr immer noch nervös und habt Lampenfieber, bevor ihr auf die Bühne geht? Oder ist das Ganze zur Routine für euch geworden?

Alexis: Wir sind aufgeregt.

Joe: Definitiv immer aufgeregt und ziemlich nervös (lacht).

Das merkt man euch aber gar nicht an, ihr scheint ziemlich relaxt zu sein.

Joe: Es ist ja auch noch früh, uns bleibt noch ein bisschen Zeit bis zum Gig.

Alexis: Wir tragen eine Maske.

Folgt ihr denn irgendeinem Ritual, um ruhig zu bleiben, bevor ihr auf die Bühne geht?

Alexis: Nicht wirklich, hmm...

Joe: Plaudern.

Alexis: Bier trinken.

Oh ja, das hilft immer gegen Nervosität (ich halte meine Bierdose hoch).

Alexis: Das ist tatsächlich so etwas wie ein Ritual, um uns vorzubereiten.

Aber du hast ja gerade gar keins...

Alexis: Ich hatte eben noch eins...

Willst du mal an meinem trinken?

Alexis: Was ist das denn für Bier?

Es ist aus Wien.

Alexis: Schmeckt es?

Ich mag es. Schmeckt nicht so bitter und ist recht mild.

Alexis: (greift nach meiner Dose und nimmt einen Schluck) Es ist wirklich gut. (Nimmt noch einen Schluck) Das andere, das wir eben getrunken haben, ist auch nicht schlecht. (Hält mir die Dose von Joe hin)

Das kenn ich nicht, ich glaube, das ist aus Salzburg...

Alexis: Auch nicht verkehrt.

"'Arrest Yourself' finde ich nicht so gut"

Fühlt es sich manchmal nicht irgendwie unwirklich für euch an, wenn ihr auf der Bühne vor so vielen Menschen spielt, die euch zujubeln, eure Texte mitsingen und total ausflippen?

Joe: Das ist schon seltsam, ja. Denn manchmal wird uns die Größe der Menge vor der Bühne erst bewusst, wenn das Konzert schon wieder vorbei ist. Wir kommen meist erst recht kurzfristig auf Festivals an, sodass wir kurz nach unserer Ankunft schon auf die Bühne müssen. Wir haben kaum Zeit, das Festival so zu genießen, wie das Publikum es tut.

Das ist schon schade...

Joe: Auf jeden Fall. Es ist wirklich ziemlich seltsam: Manchmal gehen wir auf die Bühne und realisieren erst dann, wie groß das Festival eigentlich ist und wie viele Menschen vor der Bühne stehen.

Alexis: Bei jedem Festival ist es anders. Wir freuen uns immer, vor unterschiedlichen Zuschauermengen zu spielen. Erst vor kurzem haben wir in Amerika auf dem Lollapalooza Festival gespielt. Dort war einfach alles wahnsinnig groß, wir sind vor einer riesigen Menge aufgetreten. Aber die Menschen blieben eher bewegungslos, das sind wir von anderen Shows nicht gewohnt. Manchmal, wenn wir auf die Bühne kommen, sind die Leute schon aufgeheizt, machen Crowdsurfing und so. Und mitunter sind die Menschen eben eher ruhig. Dann fällt es schwer, aus ihren Reaktionen zu deuten, ob ihnen die Show gefällt oder nicht. Wir müssen uns immer wieder daran erinnern: Nur, weil wir überwiegend Dance-Musik machen, heißt das nicht, dass, wenn Leute auf unseren Gigs nicht tanzen, sie automatisch die Show nicht genießen oder unsere Musik nicht mögen. Ich tanze ja auch nicht auf jedem Konzert, das ich mir anschaue, auch wenn es mir gefällt. Manchmal ist es einfach schöner, nur dazustehen und die Musik mehr oder weniger regungslos auf sich wirken zu lassen.

Joe: Manchmal ist es ja auch einfach zu heiß, um zu tanzen.

Habt ihr denn heute mal ein bisschen Zeit, nach eurem Auftritt hier zu bleiben und in die Rolle des Festivalbesuchers zu schlüpfen?

Alexis: Wir würden uns gern Au Revoir Simone anschauen. Aber wir wissen noch nicht, ob wir das zeitlich hinkriegen, wir müssen eigentlich noch heute Nacht zu einem anderen Festival weiterfahren...

Was steht denn auf dem Programm?

Alexis: Wir spielen morgen auf dem Pukkelpop in Belgien. Trotzdem wollen wir versuchen, noch ein bisschen etwas vom Festival mitzunehmen. Aber meistens haben wir leider nicht die Möglichkeit, uns viele andere Bands anzuschauen. Aber eigentlich mögen wir Musik.

Das hört man ja auch wieder auf eurem aktuellen Album "One Life Stand". Die Presse ist sich recht einig, die Platte bisher das poppigste Album ist, das ihr je gemacht habt ...

Alexis: Um ehrlich zu sein, kann ich das gar nicht genau sagen. Seitdem wir das Album aufgenommen haben, habe ich es mir nicht mehr so oft angehört. Ich denke, wenn du eine Perspektive von außerhalb auf deine Musik einnimmst, wenn du zurückblickst, werden dir manche Dinge klarer. Oder du änderst vielleicht deine Meinung über bestimmte Sachen. Manchmal glaube ich, dass eigentlich "The Warning" unabsichtlich viel poppiger geraten ist als alles andere danach. Auf den anderen Platten hatten wir lediglich Popmomente. Als wir "One Life Stand" aufgenommen haben, dachte ich, es sei das Beste, was wir machen können und was wir je gemacht haben. Und der Meinung bin ich immer noch. Aber die Songs darauf sind vielleicht nicht so unmittelbar zugänglich wie andere unserer Tracks. Möglicherweise ist das Album ein bisschen subtiler und braucht mehr Zeit.

Hattet ihr denn jemals das Gefühl, dass ihr euch in der Zeit zwischen dem Aufnahmeprozess eurer Musik und dem Rezeptionsprozess eurer Musik von manchen Tracks entfremdet? Mochtet ihr jemals eure eigenen Songs nicht mehr?

Alexis: Auf unserem aktuellen Album habe ich keine Songs, die ich nicht mag. Auf dem zweiten Album sind vielleicht ein oder zwei Tracks, die ich im Nachhinein nicht mehr gut genug finde. Doch auf "One Life Stand" bin ich wirklich stolz.

Mit welchen Songs auf "The Warning" bist du denn im Rückblick nicht mehr so glücklich?

(Joe lacht)

Alexis: Hm, ich glaube, das sind "Tchaparian" und "Arrest Yourself". Ich kann gar nicht so genau sagen, warum, aber ich finde sie einfach nicht so gut wie die restlichen Tracks.

Hmm, finde ich eigentlich nicht... Für mich gehören die beiden Songs sogar zu meinen Favoriten auf "The Warning". Aber ok, up to you.

"Wir sind eine Manband"

Alexis, du hast in einem Interview mal gesagt: "Manchmal habe ich das Gefühl, die Leute denken, wir wären so etwas wie eine nicht besonders attraktive Boyband". Das hat mich zum Schmunzeln gebracht ...

Alexis: Ich denke, wir sind tatsächlich eine Boyband. Oder vielmehr eine Manband. Wir werden ja auch nicht jünger (beide schmunzeln). Als wir mit unserer Musik angefangen haben, hat mal jemand gesagt, wir seien so etwas wie die Spice Boys. Jeder von uns hat ja auch einen anderen Look. Aber darüber denke ich gar nicht mehr so viel nach. Vielleicht meinen die Leute das, weil im Video zu "I Feel Better" eine fiktive Boyband an unserer Stelle steht und zu unserer Musik die Lippen bewegt und tanzt. Vielleicht hat es das Interesse darauf gelenkt, wie wir aussehen... Und darauf sich zu fragen, was wir als Band eigentlich sind, wie wir zu kategorisieren wären. Und auch darauf, dass die Boyband im Video viel charismatischer ist und gut tanzen kann.

Aber ihr habt doch sicher mitbekommen, dass der geeky Style zur Zeit ziemlich schick und angesagt ist, oder? Alle wollen aussehen wie Nerds, setzen sich dicke Brillen auf die Nasen und tanzen freaky über den Dancefloor...

Alexis: Ja, das habe ich mitbekommen...

Joe: Ich finde, das sah einfach schon immer gut aus. Das ist eben ein klassisch schöner Stil.

Und das sehen viele Leute offenbar mittlerweile genauso...

Joe: Ich habe mir um Stilfragen eigentlich nie viele Gedanken gemacht. Das ist zwar etwas, über das Menschen gerne sprechen, doch irgendwie verstehe ich gar nicht, warum eigentlich. Für mich ist das ziemlich bizarr.

Alexis: Ich glaube, Mode ist so ein großes Thema für viele Menschen, weil andere Bands, die Brillen tragen, nicht wie Tom Cruise aussehen und keine Musik machen, die wirklich auf den Mainstream abzielt... Ich sage nicht, dass es keiner tut, aber vielleicht gibt es nicht viele solcher Bands, die Songs machen, die die Menschen auf dem Dancefloor ansprechen. Ich glaube, Menschen versuchen gerne, sich so zu kleiden, dass sie aussehen, als seien sie in einer Band. Diese ganzen Routinen, die Leute durchmachen: von der Lederjacke über die Skinny Jeans bis zu zerrissenen Hosen und dunklen Sonnenbrillen... Ich denke, als die Ramones, Velvet Underground oder Spacemen 3 das gemacht haben, die sahen einfach aus wie sie selbst. Aber manche Bands machen einfach das, wovon sie glauben, das man es tun müsse, wenn man einer Band angehört. Und wenn es um uns geht, sehe ich das so: Wir scheren uns schon um unser Erscheinungsbild, aber wir haben keinen definierten Look, der für unsere ganze Band steht. Wir überschreiten selten die Grenzen zu einem anderen Look außerhalb unseres eigenen.

Habt ihr euch je wie Popstars gefühlt? Im Whirlpool sitzen, nackt eure Geldscheine zählen...

(Joe lacht)

Alexis: Ich habe mich tatsächlich wie ein Popstar gefühlt, als ich gestern im Whirlpool saß und mein Geld gezählt habe... (Joe lacht noch mehr) Aber davor noch nie, das war das erste Mal.

Joe: Es ist immer noch sehr leicht, sich dafür zu begeistern, andere Musiker zu treffen, die du toll findest. Man fühlt sich niemals wie ein Popstar, wenn man auf Menschen wie The Strokes stößt. Ich war wirklich euphorisch, die Band in Australien treffen zu können. Das fühlte sich irgendwie so an... Also, weißt du, ich habe mich wie ein Kind gefühlt. Und ich habe sowieso noch nie in einem Whirlpool gesessen und Geld gezählt (lacht).

Das ist gut zu wissen...

Alexis: Ich habe nie wirklich über das Dasein als Popstar nachgedacht. Andere Popstars mag ich sehr gerne, genauso wie Musiker, die sich weniger auf dem Mainstream-Level bewegen. Aber ich habe mich selbst nie als Popstar wahrgenommen. Weder vor, während noch nach irgendeinem Erfolg, den wir hatten, habe ich über dieses Element eines Künstlerdaseins nachgedacht. Ich hatte nie das Bedürfnis, ein Popstar sein zu wollen. Ich möchte Musik machen. Und während wir das getan haben, dachte ich nie: Oh, jetzt sind wir Popstars. Aber natürlich ist es so: Wenn man Fans trifft, die sich wirklich freuen, dich zu treffen, fühlt sich das so an, als dächten sie, du seiest so etwas wie ein Popstar.

Wie fühlt es sich denn für euch an, wenn ihr Fans in privaten Situationen außerhalb von Konzerten oder Festivals trefft und sich Menschen für euch begeistern, wenn ihr gerade nicht in der Rolle als Personen öffentlichen Lebens unterwegs seid?

Alexis: Ich freue mich sehr, dass Menschen sich so für unsere Musik begeistern. Das kann man nicht als selbstverständlich betrachten. Diese Menschen bewirken etwas in unserer Art und Weise, wie wir Musik machen. Und wir machen Musik, damit Menschen Freude daran haben, deshalb ist uns das sehr wichtig. Natürlich trifft man manchmal Leute, mit denen man sich intensiv unterhält und mit denen man ein wirklich gutes Gespräch haben kann. Und dann gibt es wieder Momente, in denen man lediglich ein paar Sätze mit Fans austauschen kann. Manche Leute wollen auch nur ein Foto schießen. In solchen Situationen kann man keinen wirklichen Bezug zu den Menschen aufbauen...

(Der Tourmanager kommt herein und signalisiert, dass das Ende des Interviews naht.)

Haben wir noch fünf Minuten?

Alexis: Ich glaube, er wollte nur reinschauen und wissen, wie es läuft...

(Leider nicht: Der Manager schüttelt den Kopf und zeigt auf seine Armbanduhr.)

Also noch eine letzte Frage?

(zögerliches Kopfnicken vom Manager)

Morgen werde ich mit James Murphy sprechen. Habt ihr irgendeinen Tipp für mich? Gibt es etwas, das ich vermeiden sollte, ihn zu fragen?

Alexis: Ich wüsste nichts, das du vermeiden solltest, ihn zu fragen. Er ist ein super Typ. Hmm, vielleicht... Kann sein, dass das nicht stimmt, aber ich habe gehört... Er hat uns erzählt, wie sehr er die neue Arcade Fire mag. Und ich habe gehört, dass er gemeint haben soll, dass er nun doch ein neues Album aufnehmen muss, weil die neue Arcade-Fire-Platte so gut ist. Er hat ja gesagt, er möchte nichts mehr aufnehmen... Vielleicht kannst du ihn darauf ansprechen.

Das ist ein guter Ratschlag, ich danke euch! Viel Spaß auf eurem Gig später!

Joe: Danke!
Alexis: Machs gut, tschüss!

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LAUT.DE-PORTRÄT Hot Chip

Die treibenden Kräfte hinter Hot Chip sind Alexis Taylor und Joe Goddard, beide verantwortlich für Musik und Texte, die außerdem den Gesang beisteuern.

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