3. September 2014
"Du darfst dich nie ausruhen!"
Interview geführt von David HutzelDa sind sie nun also wieder: Interpol melden sich nach knapp vierjähriger Schaffenspause mit einer neuen Platte zurück. "El Pintor" heißt das Werk, das die geschrumpfte Band im Kern zu dritt geschrieben hat. Bassist Carlos Dengler hatte die Band nach den Aufnahmen zum letzten, selbstbetitelten Album verlassen. Ob im Guten oder im Schlechten, oder weil er die Post-Punker selbst auf dem absteigenden Ast sah – das weiß bis heute keiner so recht.
Nach der Tournee zur eher mittelmäßigen Platte "Interpol" und dem Ausstieg Denglers 2010 stand die Band am Scheideweg. Fronter Paul Banks und Drummer Sam Fogarino flüchteten sich zwischenzeitlich in diverse Solo-Projekte.
Einzig und allein Gitarrist und Songwriting-Chef Daniel Kessler zog sich zurück – und entwickelte, wie er uns im Interview bestätigt, schon bald den Drang nach neuem Interpol-Material. Und nach all den Schwierigkeiten hat sich das gelohnt. Die New Yorker veröffentlichen mit "El Pintor" eine Platte, die nicht weniger als das darstellt, was von ihr erwartet wurde: Eine Rückkehr zu alter Stärke.
Mitte August nahm sich Kessler einige Minuten an einem ruhigen Ort in New York Zeit, um uns – zwar leicht gehetzt wirkend angesichts des hektischen Promo-Trotts – ein paar Fragen zu beantworten.
Lass uns doch angesichts der Tatsache, dass wir nur wenig Zeit haben, gar nicht lange um das Wesentliche herumreden: Euer neues Album. Dabei fangen die Fragen ja schon beim Albumtitel an. "El Pintor" heißt "der Maler" auf spanisch – ist aber gleichzeitig ein Anagramm für euren Bandnamen. Darf man diese Doppeldeutigkeit metaphorisch verstehen?
Daniel: Im Grunde hat sich tatsächlich alles vom Artwork aus entwickelt, das wir vorher schon im Kopf hatten. Ich weiß nicht genau, wie es dazu kam, aber dann stand da irgendwann einfach "El Pintor" im Raum. Ich mochte das Wort persönlich sofort, weil sich schon allein vom Klang sehr gut als Albumtitel eignet. Manchmal wählst du einen Titel aus, weil er exakt dein musikalisches Schaffen repräsentiert. Aber von "El Pintor" kann ich nicht behaupten, dass es eine direkte Verbindung zu jedem einzelnen Song darstellt. Das Wort fühlt sich einfach auf eine andere Art und Weise richtig an. Es funktioniert und macht Sinn. Das sieht man ja schon daran, dass du mir diese Frage stellst. Manchmal ist es eben einfach richtig, seinem Gefühl zu folgen.
Also würdest du nicht sagen, dass "El Pintor" unmittelbar für Bilder und Eindrücke steht, die ihr durch das Album vermitteln wollt? Immerhin hat die Platte auf mich in dieser Hinsicht einen ausgeprägt bildhaften Eindruck gemacht – das Video zur ersten Single "All The Rage Back Home" illustriert das ganz gut, finde ich.
Die Sache mit dem Titel sollte eher abstrakt betrachtet werden. Der dann aber trotzdem wieder ins große Ganze passt: Zur Musik und zum Artwork, zu dem Punkt, an dem wir als Band uns momentan im Leben befinden. Manchmal liegt die Schönheit eben genau darin, etwas nicht direkt anzusprechen.
Viele Leute haben dann über die Symbolkraft des Interpol-Anagramms spekuliert, das in "El Pintor" steckt. Da sich ja nach dem letzten Album die Wege von Interpol und Carlos D. getrennt haben, sah das danach aus, dass ihr alle Leute sehen lassen wollt, dass die Karten neu gemischt wurden. Als hätte man Interpol sprichwörtlich in einen Mixer gesteckt – und "El Pintor" ist das, was als Resultat dieser Wiedergeburt am Ende steht.
Das Bild, das du hier zeichnest, ist natürlich sehr krass. Ich würde nicht direkt sagen, dass das so zutrifft, zumal die Sache mit dem Anagramm für mich nur sekundär ist. Ich mag "El Pintor" für viel mehr als nur für den Fakt, dass es auch ein Anagramm unseres Bandnamens ist. Natürlich ist das ein interessanter Nebeneffekt. Aber im Bild vom Maler liegt doch viel mehr: Wie eben gesagt, schon allein in Verbindung zum Artwork, zu der Bewegung, in der sich die Hände auf dem Artwork befinden, ihrer farbigen Haut - das gibt uns viele Bilder, die zum Nachdenken über die eigentliche Platte anregen.
"Unser Schreibprozess war davor nie so energiegeladen"
Die neuen Interpol sind in ihrer Essenz ja eine Drei-Mann-Band. Wie kam es denn dazu, dass Paul auf der Platte sogar die Bass-Spuren geschrieben hat?
Wir hatten eigentlich nie einen Plan, wie wir an die neue Platte herangehen würden, weil wir da nie so explizit drüber geredet haben. Als wir anfingen, Songs zu schreiben, haben Paul und ich uns einfach zusammengesetzt. An diesem Punkt hatten wir uns natürlich noch keine Gedanken über den Bass gemacht. Wir wollten einfach nur die Songs spielen, an denen wir zu dieser Zeit arbeiteten. Aber schon bei der zweiten Probe hat Paul gemerkt, dass er einen Bass braucht, um überhaupt den Gesang hinzufügen zu können. Also brachte er eine Bassgitarre mit zur Probe, um darauf leichter Melodien zu entwickeln und die Song zu erden.
Diese Herangehensweise hat uns einen kleinen Schub gegeben, so dass wir sofort mit zwei Songs weitergekommen sind, "My Desire" und "Anywhere". Schlussendlich hatten wir dann die Gesangs-, Bass-, und Gitarrenspuren schon so weit fertig, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt sehr nah an der Version waren, die es letztlich aufs Album geschafft hat. Paul ist eben ein verdammt guter Bassist. So war es eigentlich nur logisch, das auf diese Art weiterzuführen, weil es gut geklappt hat. Von da an waren wir uns im Klaren darüber, dass wir so weitermachen wollten. Wenn Dinge auf ihrer Art gut funktionieren, dann muss man sie ja nicht ändern. Deshalb sind wir sozusagen zur Drei-Mann-Band geschrumpft.
Also stand es für euch zunächst auch zur Debatte, eine neue Person als Bassisten in euren Bandsound einzubinden?
Wir hatten darüber einfach nicht gesprochen. Es gab ja eine Menge Optionen, die wir hätten wählen können. Dass es nun die geworden ist, bei der Paul die Basspuren geschrieben hat, ist mehr oder weniger Zufall.
Apropos Bass: Nach den Veränderungen innerhalb der Band hatte ich eigentlich gedacht, dass sich euer Sound grundlegend geändert haben müsse. Es war schließlich immer die Rede davon, wie wichtig Carlos für euren Sound gewesen sei. Nachdem ich die Platte gehört habe, hat sich bei mir ein anderer Eindruck festgesetzt: Ihr habt euren Sound etwas entkernt, euch auf grundlegende Dinge der ersten beiden Alben zurückbesonnen. Also ist das Stück Interpol, das Carlos anhaftete, wohl gar nicht so groß?
Eine Band muss damit klarkommen, wenn ein Individuum innerhalb des Konstrukts aussteigt. Das liegt einfach in der Natur der Dinge. Man darf das nicht so eng sehen - Veränderungen haben doch immer etwas Gutes an sich. Zu der Sache kann ich eigentlich nicht mehr sagen, weil ich sehr euphorisch an die neue Platte herangegangen bin und in keinem Moment zurück geschaut habe. Das Schreiben, die Aufnahmen – das war dieses Mal einfach eine sehr interessante Erfahrung für uns. Einen so energiegeladenen Prozess hatten wir als Band bisher noch nie. Das merkt man auch an der Eindringlichkeit des neuen Materials, finde ich.
Deshalb war ich mehr auf die sehr progressiven Momente fokussiert, die da gerade innerhalb der Band stattgefunden hatten, als auf die Vergangenheit der Band. Und das war auch gut so – schließlich ist "El Pintor" eine unserer besten Platten geworden. Es ist doch großartig, verschiedene Episoden im Leben zu durchschreiten. Und an verschiedenen Punkten in deinem Leben, an denen du andere Erfahrungen machst, möchtest du halt verschiedene Platten machen. Deshalb kann ich auch nicht genau sagen, wieviel jetzt Carlos zu den letzten vier Platten beigetragen hat und was deshalb unserer neuen Platte fehlt. Das ist einfach nicht zu vergleichen, weil es zwei verschiedene Dinge sind. Und deshalb habe ich zu dieser Platte genau die gleiche entschiedene Meinung wie zu allem, was wir bisher als Band gemacht haben.
Glaubst du trotzdem, dass Carlos' Ausstieg innerhalb der Band eine neue Dynamik, neue Energie freigesetzt hat?
Ich denke, das mit der Dynamik innerhalb einer Band lässt sich letztlich alles auf die Musik herunterbrechen. Ich hatte ja schon Songs für das neue Album geschrieben, bevor ich mich das erste Mal mit den anderen Bandmitgliedern zusammengesetzt habe. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich schon wieder ziemlich gut mit den Sachen, die ich bis dahin ausprobiert hatte.
Die Dinge wurden dann noch besser, als wir uns im Proberaum trafen, denn es kam schnell zu Fortschritten. Aber wenn du in diesen Momenten solchen Enthusiasmus verspürst, dann ist es natürlich klar, dass du mehr über das nachdenkst, was da gerade passiert und weniger über das, was war. Als Künstler musst du nun mal immer nach vorn blicken! Ich habe mich auch niemals auf den Dingen, die ich in der Vergangenheit getan habe, ausgeruht. Das wäre doch dein Todesurteil als Künstler.
"Wenn du dem Druck der anderen nachgibst, verlierst du dich selbst"
In der Vergangenheit gab es ja ein ums andere Mal Spekulationen darüber, ob ihr aus eurer kreativen Pause überhaupt wieder zurückkommen würdet. Standen Interpol wirklich kurz vor der Trennung – hätten sich dann nicht gezwungenermaßen diese Veränderungen eingestellt?
Ich nehme selbst nie etwas als selbstverständlich hin, weshalb ich mir auch nie die Frage gestellt habe, ob wir wirklich nochmal ein Album machen würden. Du machst das doch aus dem Grund, weil du als Künstler etwas zu sagen hast. Das fängt mit Beisammensein oder einer Probe an. Aber erst dann, wenn du bereit dazu bist. Und dann schaut man, was passiert. Und wir haben dieses Mal schon in den ersten paar Tagen gemerkt, dass wir wirklich etwas zu sagen haben. Dann war es für uns klar, dass wir die Platte unbedingt angehen wollten.
Und wenn die Chemie nicht mehr gepasst hätte?
Das weiß ich nicht. Aber wir sind ja glücklicherweise nicht in die Verlegenheit geraten, es herausfinden zu müssen. Die Wahrheit ist: Jedes Mal, wenn wir uns dazu entscheiden, wieder zusammen zu kommen, dann haben wir verdammt viel auf dem Herzen. Wir sind niemals an unsere Grenzen gestoßen, was Kreativität und Ideen angeht, das war innerhalb der Band nie ein Thema.
Nun hat sich bei euch dieses Mal scheinbar alles gefügt, "El Pintor" ist ein richtig gutes Album geworden. Viele Fans haben aber nicht weniger als genau das erwartet. Nimmt man da manchmal auch Druck wahr, der auf einem selbst lastet? Immerhin vereinen sich ja die Erwartungen vieler Menschen auf den Schultern von euch dreien.
In dieser Dimension habe ich eigentlich nie gedacht. Im Endeffekt ist es ja egal, ob du unter Druck stehst oder nicht. Musik und Kreativität passiert ja einfach – das ist nichts, was du in dieser Hinsicht beeinflussen könntest. Es fängt alles bei der Musik an und endet auch dort. Deshalb sollte man auch nur darüber nachdenken: Über Songwriting und Recording. Eben das, was für einen Künstler wesentlich ist.
An Druck denke ich da nun wirklich nicht. Am Ende will man doch sich selbst glücklich machen - und das schafft man doch nicht, indem man sich unter Druck setzt. Und wenn man selbst zufrieden mit seinem Schaffen ist, dann ist es doch um einiges wahrscheinlicher, dass andere es auch mögen werden, dass du andere glücklich machst. Die Menschen, die deine Musik schon früher gemocht haben. Du darfst dich nur auf die Dinge konzentrieren, die du auch selbst kontrollieren kannst. Wenn du anfängst, darüber nachzudenken, was andere möglicherweise von deiner Musik halten und dem Druck nachgibst, dann verlierst du dich irgendwann selbst in diesem Prozess. Das wird dir niemals weiterhelfen.
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