laut.de-Kritik
Einsam klingt die Nacht.
Review von Christian KollaschDie Geschichte vom begnadeten Liedermacher, der mit seinem Album keinen Erfolg findet und nach Jahrzehnten in der Versenkung doch noch die verdiente Anerkennung bekommt, gehört mit zu den wohligsten Momenten, die die Musikwelt so zu bieten hat. Das prominenteste Beispiel bietet hierfür die Wiederentdeckung von Sixto Rodriguez, festgehalten in der rührenden Dokumentation "Searching for Sugar Man".
Jackson C. Frank sollte dieses Glück nie zuteil werden. Mit seinem einzigen Album inspirierte der schüchterne Songwriter eine ganze Generation von Folkmusikern, was in der Popkultur bis heute nachhallt. Nick Drakes intimer Seelenstriptease "Pink Moon" wäre ohne Franks Aufnahmen vielleicht nie in dieser Form entstanden. Und auch ein Mark Lanegan hätte auf seinen Solowerken möglicherweise eine andere Richtung eingeschlagen. Frank blieb zu Lebzeiten aber nur ein Geheimtipp, der mit Coverversionen anderer Künstler auf dem Radar erschien. Als er 1999 im Alter von 56 Jahren starb, standen zahlreiche Schicksalsschläge seinem meisterhaften Album gegenüber.
So wie Drake und Lanegan war auch Frank ein Außenseiter mit einem Hang zur Melancholie, den er in seinen Songs zum Ausdruck brachte, ohne dabei in Selbstmitleid zu zerfließen. Grund genug hätte er dafür gehabt, da schon eine Tragödie seinen Weg zur Musik ebnete. Als Frank elf Jahre alt war, explodierte der Ofen in seiner Schule in Cheektowaga, New York. Bei dem Brand starben 15 seiner Mitschüler. Frank überlebte mit bleibenden Narben, sowohl körperlichen als auch seelischen. Seine erste Gitarre bekam er im Krankenhaus geschenkt, als er sich von seinen Verletzungen erholte.
Von dem Geld, das ihm die Versicherung für die Folgen des Unfalls auszahlte, setzte Frank 1965 nach England über und integrierte sich dort schnell in der Londoner Folkszene. Dort stromerte damals auch Paul Simon herum, der Frank in einem Club spielen hörte und von dessen emotionaler Performance begeistert war. Zusammen mit Al Stewart fanden sie sich im Sommer 1965 im Studio ein, wo Frank in nur drei Stunden seine Songs im Kasten hatte. Als Hilfsmittel dienten dem höchst aufgeregten Liedermacher eine Gitarre und Sichtschutzwände, um den Blicken der Anwesenden zu entgehen.
Der Opener "Blues Run The Game", der sich mittlerweile auch durch Coverversionen von Nick Drake und Mark Lanegan zum Standardwerk des grübelnden Eigenbrötler-Folks gemausert hat, macht diese Intimität gleich zu Beginn überdeutlich. Mit sanftem Fingerpicking versackt Frank hier in den Hotelzimmern fremder Länder und hält den Room Service mit Whiskey-Bestellungen auf Trap. Fernweh mischt sich mit Einsamkeit und die Reiselust ertrinkt im Liebeskummer. Franks innere Zerissenheit gibt bereits hier den Ton an: "Catch a boat to England baby / Maybe to Spain / Wherever I have gone / The blues are all the same".
Zerbrechlich und kraftvoll zugleich trägt Frank die Stücke auf seinem Debüt vor und schafft mit seinen herzzerreißenden Texten Halt für die dunkelsten Stunden. Wie ein ewig Suchender, getrieben von der Sehnsucht nach Liebe und Akzeptanz, öffnet er seine Gefühlswelt und verfällt dabei niemals dem Kitsch . "Cannot catch the shadow that is me / Running naked and unmentioned / Through the death of a saltless sea", reflektiert er auf "Yellow Walls", während Paul Simons zweite Gitarre spritzige Haken um ihn schlägt. Das Repertoire, das Frank zum Zeitpunkt seines Debüts gesammelt hat, beeindruckt mit großer Tiefe und abwechslungsreichen Songstrukturen.
Dem verspielten "Yellow Walls" folgt der abgebrühte Ausflug an das Mississippi-Delta "Here Comes The Blues", das die Einsamkeit ja gepachtet hat und damit die perfekte Bleibe für Franks Besuch bereitstellt. Mit "Milk And Honey" schrieb er einen der bewegendsten Trennungssongs aller Zeiten. Wer gerade keinen Liebeskummer hat, bekommt ihn hier mit filigraner Gitarrenarbeit und bittersüßem Gesang frei Haus nachgeliefert: "All too soon they'd fade and die / And then I'd know there'd be no others / Milk and honey / Where they lie".
"My Name Is Carnival" kam zuletzt durch den Joker-Film mit Joaquin Phoenix zu viel zu später Berühmtheit. Mit der heimsuchenden, repetitiven Gitarre, Franks unorthodox langgezogenen Silben und der Karnevalsthematik war dieser Song eine goldene Wahl für den Psycho-Clown. Dass die entsprechenden Szenen aus dem Film so lange nachwirken, liegt auch an der großen Sogwirkung, die Franks Lieder nur mit Gesang und Gitarre entfalten. Frank bringt hier eine Entfremdung von der Welt zum Ausdruck, die er als aufgesetzte Show von verstellten Menschen sieht. Frank fühlt sich hörbar unwohl, und diese Distanz zur Öffentlichkeit sollte ihn noch für den Rest seines Lebens belasten.
Da verwundern Titel wie "I Want To Be Alone" kaum. In seinem abgeschirmten Safe Space im Studio erzeugte Frank eine abgrundtiefe Traurigkeit, die als Song und als Gefühl zeitlos bleibt: "The tears of a silent rain / Seeks shelter on my broken pain / And run away, but I remain / To speak the words that sing of alone". Diese Stimmung holte auch die Chromatics ab, die den Titel passend mit ihrem Dreampop verknüpften und auf ihrem Album "Closer To Grey" coverten. Jackson C. Frank legte schonungslos seine inneren Dämonen offen und vertonte diese so intensiv wie kaum jemand in der damaligen Folkszene.
Dort genoss er nach der Veröffentlichung seines Album eine kurzzeitige Welle der Anerkennung, die jedoch schnell wieder abebbte. Psychische Probleme und die zunehmenden Ängste, öffentlich aufzutreten, hinderten Frank daran, auf seinem großartigen Fundament aufzubauen und neues Material aufzunehmen. Nachdem er das Geld aus seiner Versicherung aufgebraucht hatte, kehrte er nach Woodstock in die USA zurück. Er heiratete und wurde Vater eines Sohnes und einer Tochter. Doch auch das bürgerliche Leben abseits der Musik zerbrach, als sein Sohn früh an einer Stoffwechselerkrankung verstarb. Franks Depression verschlimmerte sich daraufhin stark.
Nachdem ihn seine Eltern ihn zeitweise aufgenommen hatten, verschwand Frank zu Beginn der Achtziger. Er hatte sich nach New York aufgemacht, um Paul Simon zu suchen, der sich Gerüchten zufolge zu dieser Zeit dort aufgehalten haben soll. Frank hatte keinen Erfolg und lebte obdachlos in den Straßen der Stadt. Eines Tages wartete er auf den Bus zurück nach Woodstock, als ihn der Schuss eines Luftgewehrs ins Gesicht traf. Er verlor dadurch sein linkes Augenlicht. Später stellte sich heraus, dass Kinder den Schuss willkürlich auf ihn abgefeuert hatten.
Zwar nahm Frank in seinen letzten Jahren noch vereinzelt Demos auf. An die Hochzeit aus den Sechzigern konnte er aufgrund seiner Leiden aber nie wieder anknüpfen. Es bleibt zu hoffen, dass er sich der vielen Herzen bewusst war, die seine Lieder berührt hatten und noch heute berühren. Die Liste der Musiker, die sich vor ihm verneigen, ist lang und sein Fußabdruck in der Musik noch heute sichtbar.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
1 Kommentar
alleine Milk and Honey ist schon ein 12ender