laut.de-Kritik
Tütensuppen-Country Seit an Seit mit Amerikas Mark Forster.
Review von Philipp KauseIn den 90ern fanden Mädchen Gavin Rossdale von Bush süß, Jungs Gwen Stefani von No Doubt heiß, und die beiden einander. Zwanzig Jahre lang währte die Beziehung der beiden, und das dann 2016 folgende Stefani-Album handelte von Trennung und vom Finden einer neuen Liebe, und dabei bleibt es jetzt auf "Bouquet". Der sich nahtlos anschließende Ehemann Blake Shelton ist in den USA bekannt aus diversen Gründen. Einer ist seine eigene Musik, die er auch in mehreren Duetten mit Gwen auslebt.
In "Purple Irises" über die Augenfarbe Violett werden wir auf "Bouquet" fündig, da gibt's so ein Duett auf Gwens neuer LP über Blumen und ganze Sträuße. Sie promotet es zusammen mit Christina Stembel, der extrem erfolgreichen Gründerin eines Floristik-Start-Ups.
Die Pflanzen in ihren bunten Farben tauchen hin und wieder in Liedtiteln und -texten auf, wie es auch sonst recht alltäglich zugeht. Lyrisch wie musikalisch liefert Stefani ein überraschend übersichtliches Album. Die erste Vorab-Single datiert mittlerweile vier Jahre zurück und schrieb ihre Modern-Reggae-Electropop-Vorliebe fort: "Let Me Introduce Yourself". Auf dem Album fehlt der Track nun doch. Statt dessen serviert die Queen der Genre-Kreuzungen einen Rock-Pop-Einheitsbrei mit Instrument-Darbietungen, so fad wie aus der Fertigprodukt-Tütenmischung des Chemikers deines Vertrauens. Ein bisschen reizt sie erprobten Stadion-Rock der Marke Bon Jovi, The Killers und Co. aus, noch mehr aber integriert sie Country.
Den hatten wir bei ihr trotz ihrer langen Geschichte zwischen Ska, Punk, Alternative, R'n'B und zig weiteren Stilen bis dato noch nicht. Hier macht es sich bemerkbar, dass Blake ihr Lover ist, der wiederum einer Ehe mit einer anderen Country-Künstlerin, Miranda Lambert, entschlüpfte. Man ahnt es: Die arbeiten alle so fleißig, dass sie nur im Dienst flirten können.
Schwer zu beurteilen, ob Gwen oder Blake in der Heimat bekannter ist, jedenfalls: Blake hat als "The Voice"-Juror einen Namen in der Größenordnung eines Rea Garvey oder Mark Forster, so dass wohl alles mit seinem Namen charten würde, selbst wenn's eine Sprachnachricht seiner Frau Gwen an ihn wäre, remixed im Walzer-Takt. "The Voice" ist in den USA ungefähr das Gleiche wie bei uns "The Voice Of Germany", beides wandelt ein holländisches Casting-Konzept minimal ab.
Stefani ist aber auch noch reichlich berühmt. Denn von Kelly Clarkson über Ava Max bis Olivia Rodrigo drückt sie nun bereits drei nachfolgenden Generationen von Pop-'Fabrikaten' ihren Stempel auf. Sie als ikonischen Einfluss nennen viele. Außerdem spielte ihre legendäre Band No Doubt dieses Jahr nach sehr langer Pause und Auflösung auf einmal wieder, sogar in der "Tragic Kingdom"-Besetzung ihres einstigen Durchbruchs-Werks. Somit begründet sich die hohe Relevanz eines Gwen-Longplayers.
Inhaltlich passiert jedoch wenig. Das Titelstück mit Wohlfühl-Sound zwischen LeAnn und Shania lässt herzhaft gähnen. Die Stimme ist nicht wiederzuerkennen, und Amerika hat in dieser Good Day-Sunshine-Country-Sparte doch eh schon weiß Gott genug Sängerinnen. Solche Nashville-inspirierten Seicht-Plantschereien hört man bei uns sonst normalerweise nur im Kino in US-Produktionen mit ausschließlich weißen Darsteller:innen.
"All Your Fault" wirkt wie ein Remake von "I Wanna Be With You Everywhere" von Fleetwood Mac und wie der Versuch, Bono an der Gitarre zu imitieren und in der Harmlosigkeit der Corrs zu posieren. Vom Thema "Alles Deine Schuld" ist es ein kurzer Weg zu den fast verschluckten Tränen in "Swallow My Tears", die vielleicht aus "Purple Irises" in die "Empty Vase" tropfen.
Southern Rock-Gitarren und ausnahmsweise eine halbwegs nachvollziehbare Melodieführung im Sinne von Harmonielehre heben "Swallow My Tears" zumindest musikalisch aus dem trägen Midtempo-Strom heraus. Gwen reimt "sorry I was ghosting you / but what was I supposed to do", Yung FSK18 erzählte mir kürzlich von Reim-Workshops, die sie für Jugendliche abhalte und dass fast jedem solche Zeilen gelingen könnten.
Stefani hat Erfahrung mit Schreib-Blockaden, weswegen Longplayer von ihr selten wurden. Wer im real life zum Ghosting greift, hat womöglich nicht viel Fantasievolles zu erzählen. Ist das Herz gebrochen, findet sich schnell ein Pendant, dem es genauso ging. Beide bringen Kinder, Haustiere und SUVs in einen neuen Patchwork-Haushalt mit. Küsse und Rosen begleiten den Umzug, zusätzlich ein Kompliment: "I got the faith and you got the patience.". Obendrauf gibt es einen Nonsense-Slogan für den Neustart: "I drive you crazy / you drive the truck."
Den Truck mag sie. Fest in seinem Sattel wähnt sie sich in "Empty Vase", und "driving in a truck", so stellt sich die 55-Jährige voller Reue in "Late To Bloom ein Date damals vor, als sie 22 oder 23 war, das sie gerne gehabt hätte. Da hätte sie manche 'extra-Sommer' genießen können, in dem Truck, mutmaßt sie, hätte sie damals schon Mister Right getroffen. Wie smart war doch die Musik mit 22, Stichwort "Trapped In A Box", lang ist's her. Der neue Midlife-Crisis-Tune verbleibt mit der Aus- und Einsicht 'besser spät als nie'.
"Somebody Else's" kupfert 80er-Pop-Rock-Produktionen mit viel Hall auf E-Bass und Rhythmusgitarre ab, "Bouquet" den gleichmütigen Country-Rock von Hootie and the Blowfish aus den 90ern. "Pretty" liefert beliebigen Zeitvertreib-Pop für Büros mit Topfpflanzen, die keiner gießen mag und voller Tongranulat-Substrat vor sich hin vegetieren. Wir hören den Soundtrack für die KFZ-Zulassungsstelle oder Buchhaltungs-Kabine im Großmarkt. Bei "Marigolds" drängt sich kurz die Frage auf, ob da die neue Katy Perry-Single läuft.
Manches in Gwens ausdauernder Karriere war extrem alternativ, manches übertriebener Mainstream. Ein neues "Hollaback Girl" glückt heute nicht, auf "Bouquet" versteckt sich leider kein zweites "Sweet Escape". Diese Hits liegen eine Generation zurück.
Die Künstlerin nennt ihr Album 'Yacht-Rock', doch sie verfehlt diese Stilrichtung durch die Bank. Ein Beispiel: In der Ballade "Reminders" schwingt Stefani sich in Sopran-Stimmlage hinauf, umschmeichelt von einem Dixie Chicks-Schunkel-Effekt, und bietet in der Bridge des Songs wenigstens einen kleinen, kurzen gesanglichen Höhepunkt.
Allerdings ist das Präsenteste an dem Stück die Kick-Drum, die sich eisern das ganze Lied lang wiederholt, in dem es um fallende Blätter, Sonnenschein und das Warten auf Regen geht. Von der Entspanntheit und 'Coziness' von Yacht-Rock fehlt jede Spur. Eine entfernte Gemeinsamkeit damit könnte sein, dass viele Texte irgendwie mit Wasser zu tun haben, was für eine Yacht fein ist. Derweil klaubt "Bouquet" per Truck auf dem Landweg einige Zitat-Fetzen zusammen, die bestenfalls einen verwelkten Blumenstrauß formen.
6 Kommentare mit 2 Antworten
gutes Album, aber laut.de wie immer random
ungehört 1/5, citic wie immer unlustig
Fand die schon in den 90ern eher lauwarm als heiß.
Schöne Radiomusic mit einer der außergewöhnlichen Stimmen der 90er Jahre. Seicht, doch gut hörbar. Mehr hatte ich auch nicht erwartet.
Ich fand sie in den 90ern tatsächlich sehr attraktiv, auch noch in den 2000ern. Ich finde es cool, dass sie mit Blake Shelton zusammen ist. Den habe ich schon auf heavy rotation gehört, als die noch kein Paar waren.
Es ist immer unheimlich bereichernd, zu erfahren, wenn jemandem die Mette juckt beim Anblick einer Frau. Danke dafür, und auch für die lieb gemeinte Selbstlöschung ♥
Fand No Doubt damals eigentlich ganz gut, ein Stück 90s. Aber solo ist das ganz schlimm. Diese Country-Nummer ist nun der Tiefpunkt. Puh...
Finde die Rezension sehr hart und aus der falschen Perspektive geschrieben.
Gwen Stefani hat nun mehrere musikalische Versuche hinter sich, die ich meist als nicht Fisch und nicht Fleisch betiteln würde. Nicht schlecht, aber eben auch nicht richtig gut.
Nun also ein neuer Versuch aus ganz anderer Ecke. Es ist ein Album für den amerikanischen Markt. Es ist Country Pop. Mir ist das ziemlich wurscht, da ich nur wenige Musikstile gar nicht mag.
Mir ist die musikalische Qualität wichtig, das Produkt im jeweiligen Kontext.
Und da kommt das Album, nach einer ersten Überraschung, erstaunlich gut weg.
Ja, ich mochte auch eher die originelle Gwen Stefani der Anfangsjahre. Aber das hier klingt echt gut.
Fast durchgehend typische Uptemponummern. Einige ziemlich gut komponiert und alles passend arrangiert und produziert.
Die meisten Songs würden ausgezeichnet passen während einer langen Autofahrt.
Mir ist das lieber als die halbseichten Versuche.
Hier passen auch ihre Stimme und Ausstrahlung.
Wer typisch amerikanischen Country-Sound nicht ausstehen kann, sollte eindeutig die Finger davon lassen.
Sonst aber lohnt es sich reinzuhören.
4/5