laut.de-Kritik
Man wächst an seinen Aufgaben.
Review von Franz MauererClouds Hill ist eines jener Label, bei denen man sich ohne Zögern freut, liest man: Die haben den gesamten Katalog eines Künstlers aufgekauft. Man weiß nämlich, dass die Hamburger um Johann Scheerer viel machen werden, aber kein liebloses Schindluder. So geschehen bei der Musik von Wolf Biermann, der mit seinen nun fast 90 Jahren eine zunehmend historisch-politische Figur wurde. Nicht nur die Ausstellung über ihn im Deutschen Historischen Museum, die ich vor einigen Monaten besuchte, sondern auch seine sich über die Zeit wandelnden politischen Positionen lassen Biermann, noch dazu mit seiner irreversibel mit dem Anfang vom Ende der DDR verbundenen persönlichen Geschichte, so symbolisch für die deutsche Seele und ihre Befindlichkeiten stehen wie sonst vielleicht nur Günter Grass – nur in deutlich sympathischer.
Was Biermann dagegen nicht gelang: Als Musiker relevant zu bleiben. Insofern handelt es sich beim Bemühen des Labels ein Stück weit um einen Balanceversuch, um sozusagen Kopf und Schwanz der Ente Biermann auf einen Wasserstand zu bringen. Statt einer schnöden Neuveröffentlichung wurden Wolf und seine Frau Pamela, die dem Ganzen die Idee gab, mit an Bord geholt, um mit "Wolf Biermann Re:Imagined - Lieder Für Jetzt!" eine Neu-Interpretation seiner Stücke durch aktuelle Künstler anzupacken.
Völlig unabhängig von der besungenen bzw. geehrten Person haben Cover-Kompilationen die Mühsal, ausreichend geeignete Interpreten zu finden. Während das bei Adam Green beispielsweise gelang, lässt ein erster Blick auf die vorliegende Scheibe Böses erahnen. Niedecken gibt sich meist eher peinlich, Bonaparte hat schlicht nichts drauf, Ina Müller ebenso nicht und Torch gleich dreimal nicht. Jan Plewka ist so peinlich wie Alligatoah und doch noch weniger als Meret Becker. Annett Louisan und Romano: natürlich indiskutabel. Da fallen die Lichtblicke vergleichsweise spärlich aus: OK KID, Moritz Krämer, vor allem aber Betterov und Haiyti stehen für das andere Ende des Qualitätsspektrums.
Aber man kann ja wachsen an seinen Aufgaben! Und das ist hier keine besonders leichte, denn Biermanns Songs sind im Original eher karge Akustikgitarrenangelegenheiten, deren vordringlichster Daseinszweck ist, einen dankbaren Rahmen für seine stets subjektiven, zeitgenössischen Texte zu bilden. Das heißt: Die Musik muss der Cover-Künstler im Zweifel ausbauen und die Texte so vertonen, dass sie ihre ursprüngliche Magie behalten. Es führt kein Weg dran vorbei, wir gehen das einfach mal durch.
"Moritz Krämer - Fallen Die Blätter Der Rose" ist eine ordentliche, im Krämerschen Kosmos eher konservative Angelegenheit, das würde auf einem seiner Alben kaum auffallen. "Mola - Enfant Perdu" wählte einen der schwierigsten Ausgangssongs und schafft mit ihrer speziellen, etwas gewöhnungsbedürftigen Stimme eine astreine Pop-Jazz-Nummer, der man die Bedeutung der Texte zu jeder Sekunde abnimmt. Was für eine tolle Tuba (hört sich zumindest so an), das ständige Anspannungen Loslassen über siebeneinhalb Minuten strotzt vor Eingängigkeit und immer neuen Ideen, man hört sich kaum satt.
"Haiyti - Am Alex An Der Weltzeituhr" ist die genrefremdeste Künstlerin, und recht hat sie, die Nummer zu sich zu ziehen. Vielleicht tut sie das sogar zu wenig, denn die Bridge singt sie relativ unverzerrt und für ihre Verhältnisse geordnet und langsam. Da wäre mehr drin gewesen. "Jan Plewka & Die Schwarz-Rote Heilsarmee - Das Kann Doch Nicht Alles Gewesen Sein" packt die für ihn übliche Pathoskeule aus, was zum per se weinerlichen Song gepasst hätte, wäre der nur nicht dermaßen kreuzbieder vorgetragen. "Alligatoah - Der Hugenottenfriedhof" tut etwas, was der Quatschkopf sonst selten tut: Er reißt sich kurz mal zusammen. Und so gelingt dem so oft Schrott produzierenden Tausendsassa eine überzeugende, hinreißend interpretierte Version eines im Original komplexen Songs, den Alligatoah spürbar versteht.
Die Idee des metallischen "Balbina - Soldat, Soldat" erschließt sich durchaus, nur ist sie zu schnell durchschaut und in der Umsetzung zu hysterisch. Auf "Romano – Kunststück" tut der Berliner wie stets so, als könne komisches Gehabe mangelhafte Kunst kaschieren. Im Ergebnis Herumkasperei. "Das Bierbeben – Vorfrühling" ist eine spannende Interpretenwahl, zu wenig hört man von dem Projekt, das seine Qualitäten in dieser bieder-braven, etwas hingerotzten Version kaum ausspielt. Schnell rüber zu "PeterLicht - Und Wir Hatten Keine Höhle". Wenig überraschend steht hier der Text im Vordergrund, den der artverwandte Licht hübsch und sphärisch in Szene setzt.
"Lina Maly - Das Barlach-Lied" bricht nicht aus Malys süß-verträumt-nervigem Spektrum aus und wir nähern uns dem vermuteten Tiefpunkt "Ina Müller - Bin Mager Nun Und Fühle Mich". Aber wie das mit Tiefpunkten so ist, kommen sie meistens eher unerwartet, und die, vor denen einem graut, entpuppen sich als gar nicht so schlimm. ADHS-Endgegner Müller belässt dem Original seinen wohltuenden Ernst, begnügt sich aber nicht mit einer Fingerübung, sondern bastelt eine erwachsene, tiefgründige Nummer – Respekt. "Albrecht Schrader & Charlotte Brandi – Pardon" gerät so zu zittrig, wie man es von Ina erwartet hätte. Nicht ganz ohne Reiz, aber will zu doll Kunstlied sein.
"Van Holzen - Wann Ist Denn Endlich Frieden" zeigen, warum sie die nächsten Die Nerven werden könnten, ein klares, reinigendes Gewitter, das dem Pazifismuspamphlet eine hervorragend zur Gegenwart und Biermanns Positionen passende Schärfe verpasst. "OK KID - Warte Nicht Auf Beßre Zeiten" hört sich nach OK KID an, was fast immer gut, und sehr selten exzellent ist. Ähnlich ergeht es "Betterov - Lied Vom Donnernden Leben" und gruppiert sich im Mittelfeld ein. Die Underdogs machen weiter das Rennen: Der von mir heiß verabscheute "Bonaparte – Ermutigung" hat offenkundig viele Gedanken daran verschwendet, wie er die hinterfotzige Erbauungshymne auf links drehen kann, ohne ihr die Botschaft zu rauben. Das gelingt ihm exzellent mit seinem Bassgewitter.
"Katharina Franck & Paul Eisenach - Ballade Vom Preußischen Ikarus" ist fades, kapriziöses Getue. "Maxim - Bilanzballade Im Dreißigsten Jahr" gab nach meinem letzten Stand im März sein Karriereende bekannt, hier liefert er im Arrangement jedoch einige Argumente dagegen, nur der Gesang gerät zu exaltiert, sonst rumpelt es sehr angenehm und passend. Selbst auf "Torch - Von Den Menschen" kann man sich nicht verlassen. Die Mischung aus Spoken Word und "#ImSippinTeaInYoHood"-Bass ist nämlich ein ziemlicher Banger und meiner Meinung nach mal eben der Karrierehöhepunkt des Heidelbergers.
"Annett Louisan - So Soll Es Sein - So Wird Es Sein" fängt süßer an als ein diabeteskranker Kolibri, bah. Stolpert man über den Zuckerguss weiter, begrüßt einen der Rhein-Flussbär "Wolfgang Niedecken - Und Als Wir Ans Ufer Kamen", der leidlich motiviert, aber sehr routiniert die alte Käpt'n-Blaubär-Nummer abzieht. "Meret Becker - Stillepenn Schlufflied" vervollkommnet die Trifecta des Grauens mit einer kaum erträglichen Horrorfilm-Nummer. Einigen wir uns drauf, dass dieses Album 19 Songs hat.
4 Kommentare mit 9 Antworten
Danke für den Torch-Diss im dritten Abschnitt
Was hat den bitte die Note 4 mit der Rezension zu tun?
Es ist harte Kritik. Kann ich noch nicht beurteilen, weil noch nicht gehört.
Aber die Note ist dazu ein Witz.
Hab's auch noch nicht gehört, aber die Rezension gelesen. Ich zitiere:
"astreine Pop-Jazz-Nummer"
"strotzt vor Eingängigkeit und immer neuen Ideen"
"überzeugende, hinreißend interpretierte Version"
"hübsch und sphärisch in Szene setzt"
"erwachsene, tiefgründige Nummer – Respekt"
"hervorragend zur Gegenwart und Biermanns Positionen passende Schärfe"
"exzellent mit seinem Bassgewitter"
"sehr angenehm und passend"
"ziemlicher Banger"
Dazwischen ein paar mehr oder weniger mittelmäßige Nummer und am Schluss drei Totalausfälle (von 22 Songs!), über die der Rezensent gnädig hinwegsieht.
Für mich keine "harte Kritik", sondern eine sehr differenzierte Empfehlung, warum sollten das nicht vier Punkte sein?
Tatsächlich ist nicht ganz klar, ob der Rezensent von Torch und Bonaparte generell nichts hält oder ob er im 3. Abschnitt schon über die Biermann-Coverversionen redet. Dann würde er sich widersprechen.
Im 3. Abschnitt geht es, denke ich, klar um eine Einschätzung der Interpreten unabhängig vom vorliegenden Album: "lässt ein erster Blick auf die vorliegende Scheibe Böses erahnen".
Alligatoah wird hier z.B. auch als peinlich bezeichnet, während seine Coverversion später im Text ziemlich gut wegkommt.
Das denke ich auch und ja, stimmt, die Interpreten sind per se fast alle scheiße. Ich hätte mir ein Coveralbum mit Versionen von den Amigos, Giovanni Zarrella, Kollegah und Katja Krasavice gewünscht.
Ich hätte mir von den Genannten ein Kollabo-Weihnachtsalbum gewünscht!
mein vater schämt sich für alles, was ich mache. on und offline. in jedem wachen moment. und leider völlig zurecht.
ich frage mich, ob sich auch wolf biermann dafür schämt, was sein sohn felix (und dessen frau) so auf twitter schreiben/treiben.
Können wir bitte über das Cover sprechen?
Joah, wenn die beteiligte Gesellschaft in ihrer Auswahl schon recht mutig ist, warum sollen Cover (und Titel) weniger mutig sein ...?
Gut, grundfalsch ist natürlich das Bild Biermanns, das höchstwahrscheinlich aus derselben Fotosession auf der Weidendammer stammt, die '78 auch die Rückseite des "Trotz alledem"-Covers geliefert hat, in Verbindung mit dem Fernsehturm, der dort in Perspektive und Größe so überhaupt nicht hingehört ...
Gruß
Skywise
Ich hab die Fotosession von Weidendammer '78 jetzt gerade leider nicht zur Hand, aber ich würde behaupten, dass Biermann + Fernsehturm von diesem Bild stammen:
https://www.dhm.de/assets/_processed_/4/e/…
, auf dem Cover sind natürlich noch eine Menge Filter. Um z.B. den kleinen Jungen auszublenden.
Ich find das Cover eigentlich okay. Ja, es ist leicht überladen und hat möglicherweise ein bisschen viele Schriftarten. Tribute-Alben wurden in der Vergangenheit allerdings auch schon hässlicher gestaltet. Wolf Biermann taucht auf dem Cover prominent auf, nimmt aber auch nicht zu viel Platz ein, für seine Gästeliste gilt das Gleiche.
@ceee3:
Respekt, das könnte passen. Es ist bestimmt dieselbe Session, denn Frisur, Hemd und Jackett sind identisch zu dem Bild, das das "Trotz alledem"-Backcover bildet (wobei die Bilder bestimmt nicht '78 entstanden sind, denn dazu hätte man Biermann zurück in die DDR schleusen müssen; soweit mir bekannt, kam es allerdings erst bei Robert Havemanns Tod '82 zu einer Rückkehr).
Gruß
Skywise