laut.de-Kritik
Lennon spielt "Imagine" live, und keine Sau singt mit!
Review von Joachim GaugerWenn Yoko Ono 25 Jahre nach dem Tod der Legende ein Album veröffentlicht, das neben einigen bereits auf der Lennon-"Anthology" enthaltenen Songs angeblich sieben bislang unveröffentlichte Stücke bzw. Versionen enthält, ist natürlich zunächst Misstrauen angesagt: wo haben sich denn diese Raritäten bislang versteckt? Doch hören wir erst mal.
Die ersten sechs Stücke stammen von Lennons erstem Soloalbum "John Lennon & Plastic Ono Band", die erste Unbekannte darunter ist eine offenbar zuhause mit einfachsten Mitteln aufgezeichnete Demo-Version von "Well Well Well". Im Vergleich zur Album-Fassung versprüht das Demo den spröden Charme des Unfertigen, nicht zuletzt weil der von Yoko Ono enagierte Ton-Ingenieur Rob Stevens bereits hier an die Grenzen seines Könnens stieß. Dabei stören weder das Rauschen noch das durch Übersteuerung verursachte Scheppern der Gitarre, allerdings scheint von der Aufnahme nur ein Teil überhaupt brauchbar gewesen zu sein, Anfang und Schluss wirken regelrecht abgeschnitten.
Ähnliches gilt für die Demo-Version von "God", die klanglich ebenfalls starke Mängel aufweist und scheinbar mitten im Stück ausgeblendet wird. Bei diesen beiden offenbar nicht zur Veröffentlichung bestimmten Aufnahmen ist ein Nutzen schwer erkennbar, sie beschädigen das Idol eher, als dass sie es beleuchten.
Allerdings macht erst das folgende "My Mummy's Dead" so richtig deutlich, an wen sich diese Veröffentlichung überhaupt wendet: an die treuesten Fans, die sich für jedes Lebenszeichen ihres früh verstorbenen Idols begeistern. Alle Songs von "Acoustic" stammen ja aus den Jahren 1970/71, also einer Zeit, in der John Lennon sich von den Beatles löste und sich zu Selbstfindungszwecken stark mit der eigenen Vergangenheit beschäftigte.
In "My Mummy's Dead" setzt Lennon sich mit dem Verlust der eigenen Mutter auseinander, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, als der spätere Beatle erst 17 Jahre alt war. Und tatsächlich hat dieses intime Dokument, in dem der Superstar mit brüchiger Stimme und kindlichem Geklimper der eigenen Jugend nachsinnt, etwas anrührendes. Einblicke in Lennons Innenleben erlauben sicher auch "Cold Turkey" oder "Dear Yoko", während das später von McCartney, Harrison und Starr für die Beatles-Anthology bearbeitete "Real Love" auch für Fans der Fab Four von Interesse sein dürfte.
Vielleicht sind 25 Jahre doch eine angemessene Zeitspanne, nach der man solche zumindest teilweise recht privat anmutende Aufnahmen veröffentlichen kann. Wenn "Acoustic" auch keine großen Überraschungen, geschweige denn wirklich neue Songs bereit hält - als Zeitdokument hat die Veröffentlichung durchaus ihre Berechtigung. So gesehen passt beispielsweise auch die Live-Aufnahme von 1971 aus dem Apollo gut hierher: man stelle sich vor, Lennon trägt die seifige Friedenshymne "Imagine" live vor, und keine Sau singt mit!
Noch keine Kommentare