laut.de-Kritik

Vier Chinesen zwischen den Ramones und den Sex Pistols.

Review von

China ist ein schlafender Riese. China gehört die Zukunft. China ist die kommende Großmacht. Das konstatieren Politiker und Wirtschaftsanalysten seit Jahren unisono. Und mit dem wirtschaftlichen Wandel käme auch die gesellschaftliche Veränderung, stimmen die Soziologen ein.

Bullshit, sagt Kevin Fritz, der Regisseur von "Wasted Orient". Im Booklet zur DVD erklärt er, dass die Gesellschaft im bevölkerungsreichsten Land der Welt stark traditionell geprägt und somit sehr starr sei. Fritz muss es wissen, hat er doch lange Zeit in China studiert.

Er kennt die Umstände also von innen. Aus anfänglicher Abneigung gegen das Land wurde so eine Art Hassliebe und mit ihr wurde der Wunsch geboren, einen Film über die Pekinger Punkband Joyside zu drehen. Wie klein oder groß die Gruppe in China ist, erschließt sich aus dem Streifen nicht.

Fest steht allerdings: Nachdem man "Wasted Orient" gesehen hat, dass Punkrock eine universelle Sprache ist. Eine Sprache zudem, die man auch in China versteht. Der Film ist allerdings nicht nur eine Dokumentation über die "Insanity And Unsanitary"-Tour der Formation, sondern gleichzeitig eine filmische Abhandlung über die Hoffnungen und Illusionslosigkeit von Jugendlichen, die sich entschlossen haben, nicht nach der Tradition ihrer Eltern zu leben.

Bewusst stellen sie sich außerhalb einer Gesellschaft, die sie als eintönig und überkommen ansehen, sind sich aber gleichzeitig völlig sicher, dass sie mit ihrer Musik keinerlei signifikante Veränderung bewirken können. Musikalisch klingen Joyside mal nach den Sex Pistols, dann wieder nach den Ramones.

Musikalisch wie thematisch bieten die Chinesen nichts Neues, aber das erwartet auch niemand ernsthaft. Ob sie allerdings den Punkklischees, die sie auch sonst zu leben scheinen, aufgesessen sind, oder mit ihnen spielen, bleibt der Spekulation des Zuschauers überlassen. Und so wird gerülpst, was das Zeug hält (talk about kulturelle Eigenheiten!), Bier und Gin ist ihre bevorzugte Nahrung, und Sänger Bian Yuan brüstet sich damit, nur alle zwei Monate seine Haare zu waschen.

Auch sonst unterscheidet sie nichts von westlichen Punks: Style ist wichtig. Während der Sänger einen dezenten New York Dolls-Stil (ohne Schminke und Frauenklamotten) imitiert, schmückt sich Basser Liu Hao lieber mit T-Shirts seiner Vorbilder (Sex Pistols und Circle Jerks beispielsweise) und Lederjacke.

Nieten gehören sowieso dazu, an den Füßen tragen sie Chucks. Während der Shows rennt man sich gegenseitig oder wahlweise das Drumset um. Das Publikum dankt es mit intensivem Pogo. So gesehen ist Joyside eher gewöhnlich. Vielleicht aber versteht man den Film etwas besser, wenn man China schon kennen gelernt hat. Dass das Leben dort kein Zuckerschlecken ist, ahnt man, während "Wasted Orient" läuft.

Und natürlich, wenn die Bandmitglieder bei einem Bier gesprächiger werden, treten die Ambivalenzen zu Tage. Wie es ist, als Punk in der Volksrepublik zu leben. Wo die Grenzen des eigenen Seins sind, und was der Preis ist, den man zahlt, wenn man diese Grenze überschreitet. Gitarrist Yang Yang spricht Bände, wenn er am Ende konstatiert: "Joyside sind exzellent. Sie sind Chinas Enttäuschung. Nein, nicht Enttäuschung, Hoffnung!"

Trackliste

  1. 1. Wasted Orient

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