laut.de-Kritik
Farbenfrohes Folk-Debüt.
Review von Philipp KauseEines der ungeschriebenen Gesetze des Musikbusiness, das ich nie verstehen werde, ist die ungebrochene Manie von Newcomern, ihr Debüt-Pulver Ende September zu verschießen. So eine, mit richtig viel Talent, ist Kate Bollinger. Die Vertreterin von astreinem Autorinnen-Folkpop mit edlem Gesang erkor sich die überfüllte Kalenderwoche 39 für ihre "Songs From A Thousand Frames Of Mind" aus.
Wer auch nur ein bisschen den Musikmarkt verfolgt, weiß um die extrem geballte Konkurrenz: Gefühlt 90 Prozent der relevanten Releases eines Jahres erscheinen zwischen Mitte September und Anfang Oktober, oft stecken Major-Labels mit enormer Marketing-Power und sehr etablierte Bands dahinter, die als Selbstläufer charten. Kate Bollinger, ein No-Name Ende 20 aus Virginia im US-Osten, scheint also entweder naiv oder besonders selbstsicher und siegesgewiss zu sein. Ein Debüt hat man nur einmal, und "Songs From A Thousand Frames Of Mind" trägt einen interessanten Titel und sticht sofort mit einem auffälligen Platten-Cover ins Auge. Dahinter steckt eine Liedersammlung voller Substanz und Leichtigkeit.
Ihre Harmonien pflegen eine angenehme Süße und sommerliche Idylle, ich musste an Paul McCartney und Ben Folds denken. Doch direkt in Kates Genre gibt es keine ebenbürtige Person, die dem Folkpop so konsequent das Zerbrechliche nimmt. Die quirligen und grellbunten Pantomime-Videos wie beispielsweise zu "To Your Own Devices" signalisieren sofort: Hier steht mal nicht das Bejammern unserer Zivilisation im Vordergrund und auch kein Coming of Age. Keetieebee, wie sie auf Instagram heißt, ist die beschwingte und lustige Entertainerin des Indie-Folk.
In der ersten Longplay-Hälfte paaren sich Rolling Stones-Straightness und Bubblegum-Pop. Am Folk als Bezugspunkt hält alles mehr oder minder konsequent fest, am allermeisten und eindeutigsten die lyrische Naturbeschreibung in der "God Interlude". Während Kate fantastisch warme Räume mit ihrer Stimmfarbe und als Bandleaderin eröffnet, mischt sich in ihren Gesang beiläufig ein überraschend keckes Kieksen. Angesichts der Bandbreite lässt sich Bollingers Eigenlob Glauben schenken, das sie auf Bandcamp formuliert: "Ich habe das Gefühl, dass ich schlussendlich in der Lage war, alle Seiten von mir auf einer Scheibe auszudrücken."
Auch an einer saloppen Behauptung des Werbetextes ist etwas dran, und wer den auf Englisch formuliert hat, der sollte selber Lieder verfassen, so gut liest sich das: "The resulting album can feel like flipping through your coolest friend's record collection, finding a new favorite song with each discovery." - Man fühle sich beim Hören, als blättere man durch eine besonders angesagte Plattensammlung im Freundeskreis, und eine Lieblingssong-Entdeckung jage die nächste. Ein Konstruktionsfehler ist jedoch, dass "Songs From A Thousand Frames Of Mind" zur Album-Mitte in einen Treibsand allzu lieblicher, klebriger Nummern absackt.
Von "Running" bis einschließlich "Postcard From A Cloud" wähnt man sich im ewigen Underground-Paradies nerdiger Irrelevanz. Die übertriebene Authentizität, auf Homestudio-Natürlichkeit und Gesäusel zu setzen, obwohl man längst High End produziert und zwischen den Metropolen L.A. und NYC jettet - passt irgendwie nicht und zerbröselt die Dramaturgie. Nach zu vielen by-the-way-Tracks steigert sich "I See It Now" zum Glück in eine nachdrückliche Abwandlung des Erbes Carole Kings. "Sweet Devil" erhält momentweise einen raueren Anstrich, ohne seine Attitüde des Intimen zu verletzen. "All This Time" bietet einen zarten Slow-Mo-Closer vom zittrigen Schlage eines Lambchop-Kurt Wagner-Tunes.
Und insgesamt richtet sich die zweite Hälfte des Albums ans Faye Webster-Publikum, wagt aber mehr Psychedelic. Aus dem Promo-Schrieb zum Album trifft am Rande auch der Begriff Jangle-Pop zu, ebenso wie der Verweis auf solch typische Vertreter der 60er bis 90er wie Velvet Underground und Pavement als Referenzen. So rüschenverziert wie Kate auf dem Album-Cover ausschaut, klingt das Album zum Glück nicht. Es hat seine kantigen Momente und seine anmutigen, zum Beispiel im Klavier-Intro zu "Lonely". So provinziell wie der Look des Artworks, nach Unterricht in Hauswirtschaftslehre, Handarbeit und Werken in einer Schule der 70er, hört sich die Platte auch nicht an. Sie ist zwar verspielt-verträumt, aber modern. Das Ponyfrisuren-Klischee der introspektiven Schüchternheit erfüllt die Platte dagegen durchaus.
Live tourt Kate in fünfköpfiger Besetzung, zu erleben im Mai 2025 auf der letzten Ausgabe des Maifeld Derby, Anfang Juni dann in kleinen Club-Shows. Sie hat aus ihren vorherigen EPs bereits Material für 90-minütige Sets. Das kanadische Magazin Northern Transmissions bezeichnet ihre Bühnen-Präsenz als Mischung aus Understatement, Verletzlichkeit und Dynamik. Bollinger mache kein großes Aufhebens aus sich. Ihre sprudelnde Persönlichkeit verstricke sich mühelos in einen Schlagabtausch mit dem Publikum. Ihre "Songs From A Thousand Frames Of Mind" erweckt die Newcomerin live in rockigen Tönen und mit tastbarer Energie zum Leben - gutes Material liefern sie schon auf dem Tonträger allemal.
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