4. April 2013

"Ich war der Letzte auf der Liste"

Interview geführt von

Anfang 2012 gaben Killswitch Engage die Trennung von Sänger Howard Jones bekannt. Die Nachricht versetzte große Teile der Killswitch-Fangemeinschaft in eine Schockstarre. Doch mittlerweile hüpfen die meisten Anhänger wieder vor Freude im Dreieck, denn mit Co-Founder Jesse Leach kehrte ein Altbekannter zurück in die Band.Neun lange Jahre positioniere sich Howard Jones an vorderster Front bei Killswitch Engage. Doch die letzten Jahre waren eher eine Qual für den stämmigen Shouter: "Einer der Tiefpunkte war es, mit Typ-2 Diabetes diagnostiziert zu werden. Der Rest von Killswitch Engage hat das mit mir durchgestanden und, um ehrlich zu sein, haben sie mich am Laufen gehalten. Diese Erfahrung hat mich zutiefst erschrocken", berichtete Howard Jones vor gut einem Jahr.

Kurze Zeit später verließ der Ex-Blood Has Been Shed-Shouter die Band. Doch eine Antwort auf die Frage nach dem passenden Jones-Nachfolger ließ nicht lange auf sich warten. Man entschied sich für Gründungsmitglied Jesse Leach, der die Band im Jahr 2002 aufgrund von Depressionen verlassen hatte. Kurz vor dem Release des neuen Albums "Disarm The Descent" trafen wir uns mit dem Heimkehrer in Berlin und sprachen mit ihm über seinen Wiedereinstieg in die Band.

Hi Jesse, zunächst einmal: Willkommen zurück!

Jesse: Oh, Danke.

Obwohl: du warst ja während deiner Killswitch Engage-Abwesenheit nicht untätig, sondern als Sänger von The Empire Shall Fall und Times Of Grace unterwegs.

Ja, das stimmt. Aber Killswitch ist schon noch eine andere Liga. Ich bin wirklich happy, wieder im Konzert der Großen mitzuspielen. Das hat mir echt gefehlt.

Mit einer der Gründe für deinen Ausstieg vor über zehn Jahren waren schwere Depressionen. Wie gehts dir heute? Alles wieder im grünen Bereich?

Ja, das war eine schwere Zeit damals. Aber ich will nicht mehr zurückblicken. Mir gehts gut, nur das zählt.

Was empfandst du als das größte Geschenk bei deinem Wiedereinstieg? Die Aussicht auf massenhaft Stage-Time unter dem Banner von Killswitch Engage, oder die Tatsache, deine Freunde von früher wieder um dich herum zu haben?

Mit den Jungs auf der Bühne zu stehen, ist natürlich ein tolles Gefühl, keine Frage. Ich liebe es, diese alten Vibes wieder zu spüren und mit der Band Vollgas zu geben. Für den Musiker im mir gibt es nichts Schöneres. Aber ich bin nicht nur Musiker, ich bin auch Mensch. Und als Mensch freue ich mich momentan vor allem über die 22 Stunden am Tag, in denen wir einfach nur zusammen rumhängen und Spaß haben.

Das klingt nach 24-Stunden-Dauerglück.

(Lacht) Yeah, absolut. Ich weiß wirklich nicht, wann es mir das letzte Mal so gut ging. Ich meine, als wir anfingen war es auch cool, aber irgendwie doch anders. Wir haben damals als Band zusammengefunden und sind zu Freunden geworden. Allerdings hat sich nie eine wirklich Tiefe entwickelt, verstehst du? Es war geil, aber es war nicht perfekt.

Heute ist da eine ganz große Verbundenheit, die sich über die letzten Jahre einfach entwickelt hat. Wir haben uns alle ja nie wirklich aus den Augen verloren. Und wenn man dann im Kreise von echten Freunden etwas zusammen kreiert, dann setzt das natürlich auch ganz andere Energien frei. Dieses Gefühl kann man nur schwer beschreiben. Ich fühle mich, als wäre ich wieder zu meiner Familie zurückgekehrt. Das trifft es, glaube ich, am besten.

"Ich wollte den Posten nicht geschenkt"

Deine Rückkehr glich aber keineswegs einem Spaziergang, denn du bist, wie alle anderen Interessenten auch, den offiziellen Auditions-Weg gegangen. Hätte ein einfacher Anruf nicht genügt?

Ich wollte es so. Mir war es wichtig, den Posten nicht geschenkt zu bekommen, nur weil ich vor über zehn Jahren schon einmal Teil der Band war. Ich wollte mich beweisen und einfach gucken, was passiert. Denn in erster Linie ging es mir um das Wohl der Band. Ich hätte kein Problem damit gehabt, wenn sich am Ende ein anderer Kandidat durchgesetzt hätte. Niemand sollte also bevorzugt werden. Zum Glück hat es für mich gereicht.

Wie lief der Prozess denn genau ab?

Nun, als ich das offzielle Band-Statement über Howards Ausstieg las, war ich wirklich geschockt. Ich wusste zwar, dass nicht alles rund lief, aber wenn man es dann schwarz auf weiß liest, dann ist das noch mal etwas anderes. Nach ein paar Tagen hatte ich mich wieder beruhigt und mir kamen plötzlich Tour-Gedanken in den Kopf. Es wäre doch schön, mit den Jungs vielleicht noch eine kleine Reunion-Tour zu veranstalten, oder einfach ein paar Shows buchen, um die alten Zeiten wieder etwas aufleben zu lassen. Es ging mir nicht darum, wieder voll in die Band einzusteigen. Da habe ich keine Sekunde dran gedacht.

Ich rief also Adam (Adam Dutkiewic, Git.) an und erzählte ihm von meiner Idee. Adam sagte, dass er die Idee zwar cool fände, aber das neue Album sei schon fast fertig und man wolle die Zeit lieber nutzen, um einen festen Ersatz für Howard zu finden. Das konnte ich natürlich verstehen. Also ging ich zurück in meine Bar, wo ich zu der Zeit gearbeitet habe und dachte über Adams Worte nach. Ich putzte gerade ein Weinglas, als ich mir plötzlich dachte: fester Sänger bei Kilswitch Engage? Warum eigentlich nicht? So nahmen die Dinge dann ihren Lauf.

Du hast also noch mal bei Adam angerufen?

Naja, ich habe noch eine Nacht drüber geschlafen und am nächsten Morgen dann das Band-Management angerufen.

Und die haben dir dann einen Audition-Termin gegeben?

Ja, ich hatte wirklich Glück, denn ich war der Letzte auf der Liste (lacht). Ich hatte eine Woche Zeit, um mich auf sieben alte Songs von Howard vorzubereiten. Ich verkroch mich also zuhause und übte wie ein Berserker. Und als der Tag dann da war, hat einfach alles gepasst. Am nächsten Morgen ging ich wieder zur Arbeit, als plötzlich das Telefon klingelte und mir das Management mitteilte, dass man sich für mich entschieden hat. Ich ging also zu meinem Chef, zog mein Arbeitsshirt aus, warf es in die Tonne und ging nachhause, als der neue Sänger von Killswitch Engage. Das war schon ziemlich cool.

"Als es dann so weit war, machte es einfach Boom!"

Wie hast du dich gefühlt, als du das erste Mal nach über zehn Jahren wieder mit der Band im Proberaum standst?

Bei den Auditions war ich natürlich etwas nervös. Aber ich wusste, dass es mir mehr um die Band, als um mich selbst ging. Deswegen hatte ich ja auch die Entscheidung getroffen, an den Auditions teilzunehmen. Also dachte ich mir: wenn es klappt, dann freut es mich, aber wenn nicht, dann geht auch keine Welt unter. Dieses Gefühl hat mir sehr geholfen. Für die ersten Live-Proben habe ich mich dann vier Wochen intensiv vorbereitet. Als es dann so weit war, machte es einfach Boom! Ein bisschen hibbelig wurde ich aber, als der erste Gig anstand. Da hatte ich etwas wackelige Knie. Aber es lief, zum Glück, optimal.

Du singst seitdem natürlich auch einige Songs aus dem Repertoire von Howard. War das die größte Herausforderung für dich?

Musik aus dem Punk- oder Hardcorebereich kommt direkt aus dem Herzen. Da wird nicht gemauschelt oder um den heißen Brei herum geredet. Es geht um Respekt und Ehrlichkeit. Das hilft einem natürlich ungemein, wenn man sich mit "fremden" Texten auseinandersetzen muss. Denn im Grunde steckt in jedem Text auch ganz viel von einem selbst drin, verstehst du? Man muss die individuellen Feinheiten eigentlich nur in die eigene Geschichte transportieren. Da hatte ich überhaupt keine Probleme. Howard hat wirklich eine Vielzahl an aufwühlenden, intensiven und großen Texten hinterlassen. Ich bin sehr stolz darauf, jetzt ein Teil davon sein zu dürfen.

Das neue Album "Disarm The Descent" war schon vor den Auditions im Kasten. Du kanntest das Material bereits Wochen vor der Sänger-Entscheidung. Inwieweit hat dich das Gehörte seinerzeit zusätzlich in Richtung Telefonhörer geschubst?

Als ich die Demos zum ersten Mal hörte, war ich wirklich platt. Das Zeug war brutal, es hatte Speed und reichlich Energie. Und ich denke, dass diese Sounds auch in meinem Hinterkopf waren, als ich das Management anrief. Aber um ehrlich zu sein: ich hätte auch angerufen, wenn ich noch nichts gehört hätte.

Was für ein Gefühl hattest du, als du die Lyrics für die Songs fertig hattest und das Gesamtpaket zum ersten Mal gehört hast?

Im Studio ist es immer schwierig. Man hört die Songs so häufig innerhalb eines kurzen Zeitfensters, dass man aufpassen muss, nicht den eigentlichen Pfad zu verlieren. Ständig wird gewerkelt und geschraubt, und irgendwann verlierst du den Bezug zur Seele der Songs. So etwas passiert ziemlich schnell. Das wollte ich diesmal auf jeden Fall vermeiden, also habe ich mich immer mal wieder ausgeklinkt. Als wir fertig waren, habe ich sogar einen Monat lang gar keine Musik mehr gehört, um den Kopf wieder richtig frei zu bekommen.

Und dann?

Jesse: Nun, nach vier Wochen habe ich mir dann die Kopfhörer aufgesetzt und mein Fahrrad geschnappt. Dann habe ich auf "Play" gedrückt und bin einfach losgefahren. Die Scheibe war noch nicht am Ende, da hatte ich schon über dreißig Meilen hinter mir. Mehr brauche ich dazu wohl nicht sagen, oder?

Klingt, als hätte dich irgendetwas zusätzlich angeschoben.

Oh,ja. Und wie (lacht).

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