laut.de-Kritik

Deutschraps erster Superstar rollt über die Szene wie ein Truck.

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Um 11 Uhr fielen in der sächsischen Provinz die "StewardessInnen vom Himmel" und prallten auf Hunderte versoffene Seelen, die nach einer durchzechten Nacht in zeckenzerfressenden Iglu-Zelten nichts Besseres zu tun hatten, als sich im Jahr zehn nach der Deutschen Einheit, beleidigt von Fascho-Security, an einen Tümpel am Waldrand zu stellen und "Dicke Titten, enge Muschi, Blaselippen, lange Beine, Nutten kaufen meine Tapes und rufen: 'Oh Yeah! King Kool Savas ist der Pimplegionär!'" zu brüllen.

Dort, wo auf jedem Festival normalerweise entweder die total tolle Lokalattraktion artig beklatscht vom eigenen Freundeskreis alles gibt oder das langweiligste Majorlabel-Signing des Jahres gequält Stimmung für ein paar Alkoholleichen verbreitet, ja, dort flexte der "verrückte Zwei-Meter-Messerstecher, der tickt" aus Berlin mit Zeilen wie "Ich bin der beste Ficker nördlich vom Äquator, die stärkste meiner Hoes is die Tochter vom Predator" nicht nur den frauenverachtesten, überdrehtesten Battlerap der noch jungen deutschen Rap-Geschichte.

Nein, er zeigte weißbrotigen RucksackträgerInnen wie halbstarken Gangmitgliedern auch zum ersten Mal, wie gnadenlos die so schwere deutsche Sprache einen Beat komplett zerstören kann. KKS und die M.O.R.-Crew ließen mit jenem denkwürdigen Auftritt beim Splash!-Festival im Juli 2000 in Chemnitz keinen Zweifel: Die kartoffelige Rap-Welt war mit dem King eine andere geworden. Der Hype war real.

Zwei Jahre lang hatte Savas Yurderi aka King Kool Savas die Szene zuvor im Chokehold wie 50 Cent gehalten. In den Freistunden dealte man mit Hasch und Westberlin Maskulin-Tapes, bis 1999 die legendäre Maxi "LMS / Schwule Rapper" erschien. Homophobe und sexistische Lyrics dienten hier nur einem Zweck: die gemütliche, deutsche Rap-Szene vom erwachten Berliner Underground aus auseinanderzunehmen und zu zeigen: Ihr Hamburger, Münchener, Stuttgarter seid alle wack, lasst Rap in Ruh'. Too-Short-Pimpstyle trifft Busdriver-Rapskills trifft pure Ignoranz. Das tat weh wie ein Tritt vors Schienbein ohne Schoner. Die Vergleiche überschritten jede Grenze, der elektronische Low-Fi-Sound zeigte dem glattproduzierten Wohlfühl-Rap aus der Vorstadt den Mittelfinger.

Kids wie Urgesteine rissen den Händlern danach jedes Tape, jede 12-Inch aus den Händen, wenn auch nur im kleingedruckten Feature-Zusatz der Name Kool Savas auftauchte. Wann kommt endlich ein Album? Doch nichts geschah. Kool Savas war, wie so viele Youngins vor ihm, an das falsche Label geraten. Peter Sreckovic und sein Put Da Needle To The Record-Label schafften es nicht, aus diesem Mix aus Talent, Hunger und Buzz künstlergerecht Kapital zu schlagen. Die Enttäuschung saß tief, Disstracks und harsche Interview-Angriffe seitens Savas folgten. Zu Recht. Man stelle sich vor, es gebe ein Kool Savas Debütalbum mit "LMS", "Schwule Rapper", "King Of Rap" und eben den Songs von "Warum Rappst Du?", das deutsche "Illmatic" würde auf ewig eingebrannt am Firmament, indiziert unter den Ladentischen, in versteckten Google-Drive-Ordnern oder dunklen YouTube-Channels leuchten.

So blieb zur Jahrtausendwende für die geifernde Jugend nur die später indizierte EP "Warum Rappst Du?", die sechs Titel aus den irren Anfangsjahren 1997/1998 enthält und von Put Da Needle noch schnell nachgeschoben worden war, obwohl sich die Trennung bereits abzeichnete. Besagter "Pimplegionär" eröffnet den Reigen. Der Opener führt aber mit den erwähnten Lyrics in die Irre. Im Folgenden schießt Savas vor allem gegen andere Rapper. Über allem steht dabei das mächtige "Warum Rappst Du?" mit der Hook: "Warum rappst du? Du hast nix mit Rap zu tun, Rap hat dir nix getan, lass ihn in Ruh'. Rap interessiert sich nicht für dich, weil du scheiße bist, Rap will sehen, dass du Scheiße frisst."

Der Beat schleppt sich verquer durch die Boxen, taumelt fast ein wenig, doch fesselt gleichermaßen. Savas verpackt hier das Thema in großartige Lyrics, das ihn später zum Fame bringt: Er ist der King of Rap, alle anderen sind wack. "98 Prozent aller MCs in Deutschland lutschen Puller bei den Amis. Du denkst, ich bin beschränkt, Homes, zeig ma deine Mami, yo. Seitdem ich rappe meint jeder, ich bin fresh. Fickt euch Fotzen, ihr seit fast so wack wie Wyclef. Ich bin der Schlage-euch-zu-Brei-Chef." 2012 folgt das zahme Remake mit Montez, Laas und DCVDNS, einer Generation also, die das Original in ihrer Jugend beeinflusste.

Die zwei 16er fungieren als kurze Skit-Tracks im klassischen KKS-Stil. "Du Schafft Es" bohrt sich mit nur wenigen gebetsmühlenartig wiederholten Bars und Midi-G-Funk in die Synapsen. "Wieso?" jedoch ist anders. Zwar bollert es mit dickem Elektrobass und scheppernder Snare im bekannten LoFi-Gewand, doch zum ersten Mal zeigt Savas hier ein wenig Tiefe und Selbsterkenntnis. Grundtenor: Hey, ich bin genauso scheiße wie ihr, weiß genauso wenig, nur rappen kann ich halt hundert Mal so gut. "Wieso macht das Arbeitsamt noch Zicken? Wieso fragen mich die Leute: 'Wieso rappst du übers Ficken?' Wieso nicht?!? Wieso hat meine Wohnung Wände wie aus Seide? Wieso steh ich täglich auf und seh nur die gleiche Scheiße?"

"Mädness Am Mic" stellt zum Schluss alles auf den Kopf. Savas und Fu Manchu picken sich ausgerechnet einen stumpf-minimalistischen Boom Bap-Beat - "und bitet Primo-Beats aus Angst" - der vielen anderen Deutschrappern jener Zeit gefallen hätte. Sie zeigen so deutlicher als je zuvor, wie viel besser sie rappen können. Oder besser: Kool Savas zeigt es. Wie ein Maschinengewehr spittet er über den Kopfnicker. Selbst Fu Manchu kann nicht mehr folgen.

Ergo, machen wir uns doch mal ehrlich: Egal, ob Taktloss mit seinem Off Beat-Avantgarde-Style, Fu Manchu, Jack Orsen, Ronald und wie sie alle hießen, sie alle flankierten schon damals nur den King. Für die Rap-Fans stand eins über allem: Endlich, endlich gab es jemanden, der in Sachen Skills und Flow und ignoranter Attitüde im Konzert der Großen mithalten konnte. Nein, nicht nur mithalten, sondern einen, der jeden US-Emcee auf dessen Beats ermorden konnte. Darum ging es. Das war der Schlussstrich unter Hippa-to-the-Hoppa-Flows und linksliberaler Wohlfühlatmosphäre. Klar, Max Herre, Samy, Curse oder Azad halfen mit, Hip Hop auf die nächste Ebene zu hieven, doch Savas rollte über die Szene wie ein Truck. Deutschrap war kein Wanksta mehr.

Hätte Savas für seinen Aufstieg im Nachhinein die vollkommen übertriebenen bis ekligen Gewaltfantasien gebraucht? Wer weiß. Zumindest Horden von Jugendlichen konnten damit ihre Punk- und Metal-hörenden Eltern schockieren, wie diese es früher ihrerseits mit Sex Pistols und Judas Priest getan hatten. "Wir sind alle schuldig", fasste es Alex Engelen in der Juice einst perfekt zusammen.

Doch genau wie man nicht zum Nazikiller wird, wenn man Slayers "Angel Of Death" hört oder sich nur wegen "Fade To Black" umbringt, wurde eine ganze Generation dank Kool Savas auch nicht zu sexistischen, gewalttätigen Arschlöchern. Im Gegenteil, laut Generation-Y-Definition waren die Millennials ein wichtiger Treiber für den gesellschaftlichen, emanzipatorischen Wandel seit 2010. Trotz (oder wegen) KKS.

Savas selbst hatte eh schon ein Jahr später keinen Bock mehr auf solche Porno-Fantasien. Sie hatten ihren Zweck ja erfüllt: Deutschland hatte seinen ersten Superstar, seinen ersten Emcee vom Weltniveau. Den ersten King Of Rap.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Pimplegioneah
  2. 2. Du Schaffst Es!
  3. 3. Wieso? / 16/1
  4. 4. 16/2
  5. 5. Warum rappst du?
  6. 6. Madness Am Mic

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