laut.de-Kritik
Porto: immer gut.
Review von Franz MauererLisa Gerrard ist eine Ausnahmesängerin, die über eine absurde Spannbreite von emotionalen Ausdrucksmöglichkeiten führt. In ihrer langen, erfolgreichen aber auch enorm komplizierten Zusammenarbeit mit Brendan Perry als Dead Can Dance gelangen zwar einige Meisterwerke – das ist aber (gute) 30 Jahre her. "Dionysus" von 2018 entpuppte sich im Nachhinein als nur von Perry geschrieben, und gerade erst im Mai 2023 erklärte sich die Band zum nunmehr dritten Mal für aufgelöst.
Dementsprechend tut sich die Australierin in den letzten Jahren immer wieder mit anderen Künstlern zusammen, die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit können aber an das Genius ihrer früheren Schaffenskraft nicht anknüpfen. Aktuell ist das der Neo-Klassik-Künstler Jules Maxwell, der zuvor Keyboarder bei Dead Can Dance war. Zusammen veröffentlichten die beiden 2021 (das jedoch schon 2015 aufgenommene) "Burn", und dessen Songs samt dem neuen "A Blessing" erscheinen nun als "One Night In Porto" - also als Livealbum.
Es wurde oben schon erwähnt: Gerrard spielt als Sängerin in einer Liga, in der sie die meisten Opernsängerinnen in der Pfeife raucht, weil sie extrem gekonntes Handwerk mit Pop-Pathos verbindet. Darin lag auch immer der Charme von Dead Can Dance, deren Dark Wave mit Neoklassik und Avantgarde-Anspruch sich am Ende des Tages wie Pop anhörte. Pop mit anderen Mitteln, darum ging es bei den Totentänzern, ob bewusst oder nicht.
Auf "Burn" scheint diese Faszination nur hin und wieder durch, im Wesentlichen handelt es sich um ein eher unterkühltes, dank der dominanten Keyboard-Beats an Wave gerierendes Album, das so aus der Zeit gefallen nicht ohne Charme ist. Das relativ flotte Tempo wirkt nicht immer so, als wäre die Musik primär auf Gerrard ausgerichtet, was auch mit der Schaffensweise zu tun haben mag – die beiden Musiker und der Produzent waren jeweils in anderen Ländern und trafen sich zur Erstellung nie.
"One Night In Porto" funktioniert ziemlich deutlich anders. Gerrard und Maxwell übten die Lieder für eine Portugal-Tour erst mal ein und schrieben sie dabei nach ihrem Gusto um. Das Ergebnis gerät durchaus episch. "One Night In Porto" ist ein ausgreifend gestaltetes Neo-Klassik-Album, dessen Musik zumeist als Hintergrund für Gerrards Stimme dient, die Balance verschiebt sich deutlich in Richtung der Sängerin und gewinnt auch eine esoterische Komponente hinzu. Das war auch im Aufbau des Konzerts so angelegt: Maxwell am Grand Piano, ihm gegenüber Gerrard in wallender Robe, Finsternis abgesehen von den Spots auf die beiden. Produzent James Chapman und Dead Can Dance-Drummer David Kuckhermann spielen mit, sind aber zumeist nicht zu sehen.
Das Konzept von "One Night In Porto" geht dann auf, wenn die Beteiligten ihre (vermeintlichen) Stärken nicht nur konservativ ausspielen, sondern so wirken, als seien sie richtig bei der Sache. Wo das der Fall ist, überzeugt die Live-Umsetzung mehr als die Studioversion von "Burn". Der Opener "Heleali (The Sea Will Rise)" packt einen direkt mit atmosphärischem Beginn, der genau zum richtigen Zeitpunkt den Weg frei macht für den wogenden Track. Maxwell macht seine Sache als Begleitsänger nicht schlecht. "Aldayveem (Time To Dance)" hält das Niveau des Beginns nicht ganz, ist aber trotzdem eine feine Nummer, auch wenn der treibende Part mehr Komplexität vertragen hätte, was "Keson (Until My Strenght Returns)" mit seinem Indianertechno noch besser macht. Das Highlight "Orion (The Weary Huntsman)" fällt gar faszinierend aus und zeigt das Potenzial dieser Kooperation in ganzer Schärfe. Eine Oper in sieben Minuten, gleichzeitig bedrohlich und erhaben, rundum zu empfehlen.
Auf "Noyalain (Burn)" wirken die Beteiligten dagegen etwas pflichtschuldig, der Beginn gerät zu langsam, der Durchbruch zu gewollt kathartisch, und dann führt er nirgendwo hin. "Deshta (Forever)" ist ein arg simpel gestricktes Ethno-Liedchen, das mehr kokettiert als überzeugt. Auch "Do Yo Sol (Gather The Wind)" wirkt nie rund und kommt über Demo-Charakter nicht hinaus, trotz schönem Loop zu Beginn. Im Mittelteil übertreibt Gerrard es mit dem atonalen Gurren, und Maxwell fällt dazu wenig ein. Das war es dann auch, was oben mit "(vermeintlichen) Stärken" gemeint war, denn auch das schönste Organ der Welt mag im Kontext benutzt werden.
Das tut Gerrard im Closer "A Blessing", der nicht nur heraussticht, weil es sich um das einzige neue Lied handelt, sondern auch wegen der sparsamen Instrumentierung und einer perfekten Harmonie zwischen den beiden Hauptkünstlern. Eine wunderschöne Elegie.
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