18. Dezember 2023

"Er war immer wie ein Licht"

Interview geführt von

Während der ewige Prinz des Funk, Prince Rogers Nelson, an seiner Trilogie "Lotusflow3r" bastelte, stand ein Wechsel in seiner Band an, der New Power Generation. Einer der Besetzungswechsel: Olivia 'Liv' Warfield stieg als Background-Sängerin ein und verblieb bei ihm fürs letzte Jahrzehnt seines Schaffens.

Den Großteil ihrer Zeit bei Prince sang sie in der Konstellation mit Ida Nielsen als Bassistin, Cassandra O'Neal als Keyboarderin, Shelby J. und Elisa Fiorillo als weiteren Background-Sängerinnen und erst Cora Coleman, dann Hannah Ford-Welton als Schlagzeugerin in einer überwiegend weiblichen Band. Ab 2012 stieß die vom Trompeter Philip Lassiter dirigierte elfköpfige NPG Hornz-Section dazu.

Liv Warfield nutzte die enge tägliche Arbeit für ein Solo-Album 2014, für das Prince ihr beratend zur Seite stand. Trauerarbeit nach Princes plötzlichem Tod, ein anderes Bandprojekt, der Lockdown und Tourneen ließen viel Zeit bis zum nächsten Album verstreichen. Das Warten hat sich gelohnt, für einen Funkrock-Diamanten, der z.B. mit einem ungewöhnlichen Cover von "Another Day In Paradise" aufwartet. Die anderen Songs schrieb entweder Liv oder ihr aktueller Gitarrist Ryan. Der Titel-Track von "The Edge" ist ein bisschen Prince gewidmet. Als Dankeschön, dass er sie aus ihrer Komfortzone schubste. Ich traf Liv an einem völlig verregneten Tag, doch im Talk mit ihr fühlte sich der Regen schnell purple an.

Liv, dein Album wurde als 'Funk'n'Roll' angekündigt. Was ist eigentlich Funk? Seun Kuti gab mir kürzlich seine Definition: 'Funk steckt in der Fähigkeit, die eigenen Gefühle ausdrücken zu können. Im Grunde sprechen wir von Funk, wenn die Musik von jemandem dessen höheres Selbst verwirklicht.' - Was bedeutet Funk für dich?

Interessant, okay, ich weiß dass Funk definitiv für jeden etwas anderes bedeutet. Für mich ist es eine Energie oder ein Vibe, der jeden anspricht. Vielleicht ist es ... ich weiß nicht ... wie eine Energie, die jeder spürt und die man nicht vermeiden kann. Sie geht energetisch durch den Kopf, den Körper und die Seele. Wenn du es beschreiben müsstest, dann so: Es ist eine Energie und eine Verbindung.

Eine Lebensenergie unter den Musiker*innen und dem Publikum?

Absolut! Eine Lebensenergie!

Und wie würdest du's musikalisch definieren?

Die Sache ist, dass heutzutage, im Vergleich zu den 70ern und 80ern, Musik und Genres von der Gesellschaft komplett anders definiert werden. Der Funk heute kann so verwendet werden, wie die Leute es wollen. Aber ich bin mit dem Funk der 70er und 80er aufgewachsen, ich kenne dessen Kraft und daher ist meine Definition eben meine subjektive, persönliche Definition, und heutige Generationen sind da ganz anders. Wir spüren alle Elemente, die im Funk enthalten sind, wenn wir in einem Raum zusammen Zeit verbringen - so ist es einfach: Der Rhythmus, die Texte, und so weiter.

Und hat es für dich auch etwas damit zu tun, dich selbst zu befreien? Wenn ich darüber nachdenke, was ich über deine Familie gelesen habe, die von strengen Regelungen, etwa aus der Pfingstkirche geprägt ist. Das, was ich über deine Kindheit gelesen habe, wirkt für mich, als ob es dir verboten gewesen sei, Funk, Musik aus der Disco-Welle, den Sound des 'Black Power Movement' und diese Musikrichtungen zu hören.

Ich bin mit hervorragenden Gospel-Artists aufgewachsen. Zum Beispiel Yolanda Adams oder Reverend James Cleveland. Ich durfte keinen Funk hören, aber hin und wieder konnte ich das umgehen und aus den Vorschriften ausbüxen und die Musik hören, die mein Vater mal gehört hatte und die man zu der Zeit halt hörte, aber die meine Eltern dann als 'weltlich' abtaten. Für mich war und ist es immer noch sehr befreiend, diese Musik auf meine eigene Art und Weise zu entdecken.

Ich habe Etta James und Nat King Cole für mich entdeckt, das waren die ersten, denen ich zugehört habe, um mich von der Kirche zu befreien und in die ich mich verliebte. Ich dachte mir: 'WAS ist DAS?!' Es hat sich eine neue Welt für mich eröffnet. Zum Bespiel Etta James' Stimme ist so beeindruckend für mich, hart, soft, ihrer Textur. Ich habe mich gefühlt, wie wenn ich direkt neben ihr auf der Bühne stünde. Wie wenn ich alles von ihr auf allen Ebenen verstehen würde, in ihren verschiedenen Ton- und Stimmlagen.

Etta James ist natürlich eine riesige Stimme. Wie auch Prince. Wir kommen nicht umhin, über ihn zu sprechen, wenn wir über dein Album reden - du hast knapp zehn Jahre mit ihm gearbeitet, bis zu seinem Tod. Vermisst du ihn?

Ich vermisse ihn. Ich vermiss die 4, 5 Uhr-früh-After-Show-Partys. Ob ihr's glaubt oder nicht. Ich vermisse diese Energie. Weil da einfach eine Sehnsucht nach Musik ausgelebt wurde. Und es gibt zwar heute Leute um mich herum, die so ähnlich sind, aber nicht so wie bei ihm: Prince, das war einfach konstant, konstant Musik. Sie erschaffen, sie aufnehmen.

Im Paisley Park zu sein fühlte sich als sicherster Ort für uns Musiker*innen und Kreative an. Weil alles, was wir in diesem Gebäude taten, Kreativarbeit war. Proben, Üben, Aufnehmen, Reden über Musik. Über Gott reden, über das Leben, übers Business. Ya know? Das ist es, was ich vermisse. Es fühlte sich easy an, gemütlich und sicher.

Wird denn der ganze Gebäudekomplex heute nicht mehr genutzt?

Oh doch, natürlich. Da können Leute hin gehen und sich das Museum anschauen, was ich auch empfehlen kann. Und sie haben Events im Paisley Park.

Welche Erfahrung hattest du, bevor du da da hin gingst? Man schreibt, du hast ein Demo eingesandt?

Nein, nein. (lacht) Er fand mich durch eine andere Background-Sängerin, ihr Name ist Marva King. Sie hörte auf mit ihm zu singen, und ohne dass ich es wusste, schickte sie ein Bühnen-Video von mir an ihn. Als sie mir das erzählte, sagte ich, 'oh nein, mach das nicht!' Ich hatte überhaupt keine Erfahrung mit Background-Vocals. Und dann noch an so jemanden das verschicken ... also ich wusste, dass ich nicht die Richtige war. Nicht professionell genug dafür. Auch nicht fähig genug, für diese Position (lacht).

Ziemlich bescheiden ...

Aber sie hatte ihm das trotzdem geschickt. Drei Monate später bekam ich einen Anruf. Prince sagte: 'Im Grunde mag ich deine Stimme. Möchtest du in den Paisley Park kommen und möchtest du in L.A. singen?' - Und ich war überrascht und meinte einfach nur 'Yeah. Hell-yeah?!' - Aber den Termin in L.A. schaffte ich nicht, da konnte ich nicht. Dann traf ich ihn also das erste Mal im Paisley Park.

Wo wohntest du denn damals?

In Portland. Naja, und ich - puh - musste 30, 40 Songs auswändig lernen, in gerade mal drei Tagen. Aber ich wollte einfach vorbereitet sein (lacht laut). Okay, ich kannte die Hits, dadurch dass ich mit ihnen aufgewachsen bin, natürlich. Die lernte ich dann schon schnell.

Dann traf ich ihn in Paisley Park, er machte selbst die Tür auf, also: (flüstert) er. selbst, er. traf. mich. an der Tür.

Er fragte mich 'Hast du Hunger? Möchtest du was essen?' Ich meinte, 'nein, nimm mich einfach mit zu dem Raum, wo das Vorsingen ist.' - Und er antwortete: 'Calm down. Lass uns was essen, lass uns reden.' - Das in diesem Moment zeigte mir eine Menge über sein Herz. Er wollte über MICH etwas wissen. Er stellte mir Fragen über meine Familie, woher ich komme, einfach: allgemeine Fragen, so wie du und ich jetzt diese Konversation haben. Wir hatten so ziemlich dasselbe Gespräch. Wir chillten einfach.

Und danach griff er in die Tasten, setzte sich ans Klavier (schnauft) und in dem Moment, war's als ob mein Herz explodiert (lacht laut). Ich fror irgendwie ein, weil er anfing zu spielen. So eine ganz bestimmte Energie stieg auf von ihm ... jedes Mal, wenn man ihn traf, gab es diesen Moment, wo man sich nur 'oah' dachte, 'oah', und ich musste mich wirklich irgendwie raus schnippsen aus dieser Situation, (schnippst mit dem Finger), denn ich war ja bei einer Audition. Aber dann machte er's mir leicht. Wir sangen alle zusammen, Shelby, Marva, ich, wir gingen ins Studio, machten ein paar Songs gemeinsam.

Er sagte: 'Ich liebe deine Stimme. Willst du mitkommen auf Tour?' - Und ich so: 'Aah, ich hab selbst einen Gig morgen, ich kann da nicht, ich kann nicht noch was anderes zusagen.' - Und er: 'Oh, okay, okay, okay' – und: the rest is history.

Meine erste Show mit Prince und der New Power Generation war dann im Nokia-Theatre in Los Angeles, und es waren drei Shows: je eine mit Funk, Jazz und Rock. Es war cool! Und ich wurde direkt diesem purpurfarbenen Prince-Kosmos vorgestellt, es war einfach der Wahnsinn und so anders. Es war alles wie eine Familie. Ich war so stolz, ein Teil davon zu werden.

Diana Ross zog mich an, Prince war wie ein Lehrer, der an mich glaubte.

Wie war Prince denn so als Mensch und als Chef?

Er war immer wie ein Licht. Er musste nie etwas dafür tun, sein Licht zu verbreiten. Er hatte ein großes Herz, und dafür liebe ich ihn. Er ist immer so lustig gewesen, hat so viele Witze gemacht und er hat uns immer supportet. Er hat uns immer von neuen Künstler*innen erzählt, er hat es geliebt, die zu entdecken und neue Richtungen zu finden.

Jazz, R'n'B, einfach alles, ...

Genau, einfach alles. Das war ihm sehr wichtig.

Also wie ein Talentscout?

Mh, ja, schon. Ich meine: Gute Musik ist gute Musik, und dafür hat er immer gesorgt.

Du hattest laut Internet schon mal 2007 ein Solo-Album gemacht, bevor's bei Prince richtig los ging...

2006!

… und dann 2014, als du schon etliche Jahre bei ihm warst. Online findet man davon zwar kaum noch eine Spur, als Label ist aber, wenn man etwas findet, manchmal 'New Power Generation' angegeben. Aber das war doch eigentlich kein Label?!

Das habe ich total indie gemacht, das ist also auf keinem Label bzw. meinem. Aber Prince war der Executive Producer.

Habt ihr damals dafür ein paar der Musiker*innen von der New Power Generation engagiert?

Nur die Blechbläser, zum Beispiel Philip Lassiter. Für die Trompeten und Saxophone auf meinem Album. Aber die Band war ansonsten meine Band aus Portland, Oregon. Prince hatte mich gefragt, wo ich es machen will, und ich sagte: 'In Portland'.

Manchmal habe ich mit ihm telefoniert, und er hat mir dann sein Feedback gegeben. Da meinte er dann, 'oh, du könntest das oder jenes ausprobieren', und dann tat ich das. Er hat mich nach meiner Vision für das Album gefragt. Und ich sagte, dass ich gern etwas wie "Cleopatra Jones and the Casino of Gold" machen würde, wie diesen Score, etwas mit einem ähnlichen Vibe. (Anm. d. Red.: Ein Geheimtipp: Den Soundtrack komponierten Hollywood-Arrangeur Gershun Levene und der Akkordionist Dominic Frontiere im Jahr 1975.)

Das brachte uns auf "Your Show". Den Track haben Prince und ich zusammen gemacht, das war dann eine wirkliche Kollabo. Hatte was ... Der Song hat mich an eine Filmszene aus den 70ern erinnert. Ich liebe diesen Song so sehr. Mein Favorit, super cool!

Prince hat mich dann gefragt, ob ich eine Idee für den Titelsong des Albums hätte. Ich hatte keine Ahnung. Er raunte dann, 'wart mal, ich zeig dir morgen was'. Er kam dann echt am nächsten Tag drauf zurück.

Mit etwas, das meine Vorstellungskraft überstieg. Er hatte eine fertige Nummer mit seiner Band 3rdEyeGirl, und ich wunderte mich: Das ist doch so bad-ass gut, und wir können DAS für MEIN Album verwenden? Ich habe dann meine Version, "The Unexpected", davon gemacht, er fand das eine gute Idee, und er hatte seine Fassung, die hieß "Wow". Die Arbeit daran war der Wahnsinn. (Anm. d. Red.: Prince packte die andere Version zeitgleich auf sein Album "Plectrumelectrum" als Opener).

Ich liebe mein Album "The Unexpected". Damit habe ich mir selbst was bewiesen. Ich konnte weitermachen, auch weil jemand an mich geglaubt hat. Und zwar daran, es so umzusetzen, wie ich es vor mir gesehen habe. In einem ausgeprägten Lernprozess.

Prince war also wie ein Lehrer für dich, während er dein Executive Producer war?

Oh ja, mit Sicherheit. Er hat mir sehr dabei geholfen, mein Album zu kreieren und in die eine oder andere Richtung zu schleifen, manche Änderung im Arrangement an mancher Stelle, doch er ließ mich in erster Linie authentisch so sein, wie ich war.

Und er gab dir die Zeit…

Die Zeit, die Energie, den Support. und ich schätze ihn dafür sehr. Und bin dankbar. Ich habe das zwar für mich gemacht und mein Herz und meine Seele da rein gesteckt, aber zum Teil auch ein bisschen für ihn. Weil ich mich so gefreut habe, ihn, meinen Lehrer, beeindrucken zu können, und ihm die Zwischenergebnisse zu zeigen, und zu sagen, 'hier, schau, der nächste Song ist fertig'. Und ich habe sehr viel während der Aufnahmen gelernt. Ich meine, es war ein absolut fantastisches Album, und es hat mir dabei geholfen, mich selbst damit vertraut zu machen, wer ich war.

Seither ist dann viel Zeit verstrichen. Aber live gespielt hast du viel, und es gibt auch ein Live-Album, zumindest als mp3. Machst du das lieber als ins Studio zu gehen?

Es ist interessant, weil ich in meine Bühnen-Performances zwar mit einer Intention reingehe, aber die kann sich beispielsweise zwei Tage vor der Show ändern. Gerade, weil ich so eine 'Energie'-Person bin. Definitiv machen wir live sogar jedes Mal eine etwas andere Setlist, und ich mag es sehr, mit der Energie und dem Flow des Raumes und meines Publikums zu gehen. Manchmal mag ich es zu covern - manchmal nicht so. Es kommt immer drauf an. Ich frag meine Musiker, die auch meine Freunde sind, aber manchmal will ich es trotzdem einfach so machen, wie ich es in dem Moment will. (lacht)

Aber wir haben sehr viel Spaß dabei, zu entscheiden, wie die 'Reise' verlaufen soll. Ich mag es nicht, eine Maske für die Performance aufzusetzen, da mir jede Show persönlich etwas bedeuten muss. Jede einzelne Show.

Ich hänge mein Herz daran, weil die Bühne im Gegenteil zum Studio für mich der sicherste Platz ist. Im Studio fühl ich mich unsicher und gestresst, der Ort flößt mir Angst ein. Das hab ich an mir selbst festgestellt. Weil ich mich unter Druck fühle, als ob jemand dauernd über mich urteilt.

Erst jetzt bei dem Album "The Edge" hatte ich zum ersten Mal ein besseres Gefühl dabei. Dass ich einfach mache und meine Gefühle raus lasse. Ich liebe dieses Album so sehr, weil es sich so real und wie mein Leben anfühlt, ohne dass ich mich 'beurteilt' fühle.

Oh, ich glaube, ich kenn dein Gefühl. Ich sende zum Beispiel im Radio viel lieber live, aber im Lockdown musste ich immer wieder vorproduzieren, um Kontakte in den Sendestudios zu vermeiden, und dabei entwickelte sich dann so ein überkritischer Perfektionismus. Live ist dagegen einfach live…

Ich glaube, es dauert seine Zeit, bis man sich selbst loslassen kann und frei zeigen kann, so wie man ist. Ich spreche hiermit nicht für jeden, aber so ist es zumindest bei mir. Jetzt bin ich viel weniger kritisch mit mir selbst, ich versuche nicht immer jeden Take so und so oft zu machen, sondern probiere mittlerweile mehr nach meinem Herz und meinem Gefühl zu gehen.

Dies hat vor allem mit diesem Album, also "The Edge", geklappt, weil ich mich selbst nun viel besser verstehe und mir selbst sehr viel näher gekommen bin. Das liegt vor allem daran, dass ich jetzt seit sehr langer Zeit in dieser Musikindustrie arbeite. Aber es hat lange gedauert, an diesen Punkt zu kommen.

War der Lockdown ein guter Zeitpunkt dafür für dich? Hat er dir bei deiner Selbstreflektion geholfen?

Oh ja, ja natürlich. Es war in diesem Punkt für alle gut, dass wir die Möglichkeit hatten, uns Zeit zu nehmen, um über uns und unser Leben zu reflektieren. Ich wusste gar nicht, ob ich überhaupt noch ein Album veröffentlichen will. Ich meine, seit meinem letzten Album sind neun Jahre vergangen. Das ist eine lange Zeit im Musikbusiness. Aber ich dachte mir: Da ist kein Wettrennen, das ich gewinnen muss. Wenn die Zeit kommt, kommt sie. Ich habe viel durchgemacht, nicht nur ich, sondern wir alle während der Pandemie. Es war zwar für mich lange schwer, meinen Platz zu finden, aber ich habe es geschafft. Ich habe nie aufgehört, sondern immer weitergemacht.

Hast du denn, früher als Kind oder später, irgendein Instrument erlernt? Oder war es immer klar, dass du singen willst?

Meine Mutter legte mir mit sieben eine Geige in die Hand und ließ sie mich spielen. Bis ich 14 war. Ich wusste allerdings immer, dass ich eine Performerin bin, da mir das jeder aus meiner Familie gesagt hatte. Um mich zu beruhigen, wenn ich mal weinte, hat meine Mutter mir Diana Ross vorgespielt. Von VHS-Videokassetten. Ich habe sie angehört und ihr aufmerksam zugeschaut. Mit all ihren Kostümwechseln. Und war einfach beeindruckt.

Da dachte ich: 'oh, das will ich auch machen!' - Meine Eltern haben gesagt, dass ich so getan hätte und im Haus rum gelaufen wäre, als wie wenn ich Diana wäre, aber sie meinten, dass ich das nicht als Beruf machen soll, dass ich das doch nicht ernsthaft wollen könne.

Diana hat dich also sehr beeindruckt.

Diana Ross war die, die mich immer am meisten beeindruckt hat. Michael Jackson hin und wieder, und Janet war wirklich 'a big thing' für mich.

Naja, für wen auch nicht, oder?!

A BIG thing!

Welche Diana hat dich am meisten beeinflusst? Die Supremes-Diana? Die Motown-Solo-Diana, oder die Disco-Diana oder ...

(unterbricht singend, in hoher Stimmlage) 'Oooh-oooh-oo-oh-ooooooh ...' Diese Diana! (lacht) Die Motown-Diana, die Billie Holiday-Diana, vielleicht die "I'm Coming Out"-Diana… Denn ich bin 1979 geboren, und in den 80ern, ungefähr in der Zeit, war sie einfach großartig. Ich erinnere mich an ein TV-Special, das sie damals machte, und wie Schwerkraft zog mich das an. Und dann gab's auch "Electra Company" ... Das ist so 'ne US-Sache - kennt ihr das hier?

Die Plattenfirma Electra?

Nein, "Electra Company", das war eine Fernsehshow für Kinder, und ich sog sie auf. (singt das Intro) one-two-three-four-five / six-se-ven-eight-ni-i-ine! / e-le-ven-twelve, und sie hatten da echte Musiker, wunderschön komponiert, und du hörtest das Xylophon. Und in den 80ern wurde sogar in Werbespots richtige Musik von echten Musiker*innen gespielt. Werbung damals war filigran komponiert. Ya know!

Viele Menschen verbergen hinter einer Maske auf Social Media Schmerz und Leid.

Zeigen dir Menschen manchmal, was es da alles mittlerweile mit Autotune, Clap-Hi-Hats, Effekt-Tools und sonstigem auf Spotify so massenhaft gibt, aktuelle Urban Music zum Beispiel?

Die Sache ist: Manches davon mag ich. Einen guten Timbaland-Beat mag ich, SiR, DJ Battlecat (Anm. d. Red.: Producer z.B. für Snoop Dogg), aber es gibt auch genug, was mich nicht berührt. Autotune kann ich gar nicht ab, ich weiß nicht warum, es ist einfach so. Obwohl mein Ehemann sehr hiphoppig drauf ist.

Du meintest ja, dass du manchmal in Cover-Laune seist, manchmal nicht so. Auf "The Edge" coverst du den großen Phil Collins-Hit "Another Day In Paradise". Welche Chancen hat der in deinen Live-Sets?

Manchmal ruft etwas danach, eine Bestimmung, und verlangt nach diesem Song. Ich liebe dieses Lied! Musikalisch und lyrisch! Die Melodie, den Inhalt.

Magst du Collins' eigene Version?

Absolut tue ich das. Aber für mich bedeutet er ein bisschen was anderes. Ich wählte den Song, um die Frage zu stellen, ob wir aktuell wirklich im Paradies leben. Genau jetzt. (überlegt eine Weile) Das war die Bedeutung, die der Song für mich angenommen hat - wobei ich hoffe, dass ich ihn auf eine Art interpretiert habe, dass das Gefühl dabei rüber kommt und Menschen sich selbst diese Frage stellen.

Weil sich unsere Welt so sehr verändert hat. Klar, er hat diesen Song vor so vielen Jahren geschrieben, und unsere Welt hat sich definitiv verändert, und mein Gott, in welcher Weise, das ist frustrierend. Und ich wollte den Ansatz haben, dass wir alle quasi darüber nachdenken, über diese Lyrics nachdenken: 'It's just another day for you and me in paradise'. - Im Sinne von: 'Hey, in welcher Welt leben wir diesem Moment gerade wirklich?'

Und Ryan Waters, mein Gitarrist, hat dieses Gefühl wirklich gut rübergebracht. Wie ein Weinen, ein kleiner Schrei - so fühlt es sich für mich an, jedes Mal, wenn ich ihn das Gitarren-Solo spielen höre. Da ist Schmerz, da ist Verletzung, aber umgesetzt auf eine wunderschöne Art und Weise. Das war alles, was ich wollte: Zu reflektieren.

Ein Katharsis-Tune. Und ich war etwas überrascht, wie er dann aufhört. Oder hätte ich erwartet, dass das Solo und der Song dann länger dauern.

Ja, wir haben das absichtlich gemacht, und zwar mit mehreren Songs auf dem Album: Damit du sie dir mehrmals anhören musst und genauer auf dich wirken lässt. Du musst dir die Lyrics und all ihre Schichten anhören, und ich wollte die Hörer*innen zum Nachdenken verleiten.

Auf mich hatte der Song diesen Effekt, und ich ging immer wieder zum Anfang zurück. Das Stück wird natürlich bei vielen Leuten in Deutschland Erinnerungen auslösen, die in den 80ern schon dazu im Club getanzt haben, denn es war hier ein richtig großer Hit. Dieses Album bedeutet dir offenkundig sehr viel

Ja, es kam nicht über Nacht, es brauchte einen langen Vorlauf und nahm ganz viel von mir. Aber für einen guten Zweck. (flüstert) Es ist sehr gut geworden...

Ja, es ist wirklich sehr gut.

(lacht) Danke! Ja, es war ein weiter Weg, zu diesem Ergebnis zu gelangen. Auch tränenreich. Dabei wollte ich es auch 'happy' klingen lassen und damit eine Geschichte erzählen.

Erzähl mal diese Geschichte, bitte, insbesondere den Nicht Native-Speakers, die nicht fließend Englisch verstehen.

Also einfach gesagt: Gib mehr Liebe! Hab mehr Spaß! Sei ehrlich mit dir selbst und deinen Gefühlen, okay?! Außerdem: Sei aufmerksam gegenüber deiner Umwelt, die dich umgibt! Und zudem: Mach dir bewusst, dass du ehrlich gesagt alles dafür hast, um dir ein Leben zu bereiten, welches sich für dich lohnt, und es entsprechend so zu drehen, dass es passt. Ich muss das Gefühl haben zu leben!

Bei meinen anderen Alben war dies nicht so, beziehungsweise rückblickend erkennst du sozusagen keine Emotion in meinem Gesicht, wenn du die Alben hörst, selbst wenn sie fantastisch sind. Leute, die mich kennen, finden, dass ich immer ein Lächeln auf den Lippen habe, dass das zu mir gehört. Das ist mein wahres Ich. Heute fällt mir auf, dass ich das damals nicht so rüber gebracht habe. Und Bekannte von mir sagen, 'ach, schau an, jetzt traust du dich auch auf dem Album-Cover diese Person zu sein, die wir kennen, und du hast dafür so lange gebraucht?!' Und ja, das hat so lange gedauert, und das ist okay, weil ich wie gesagt kein Wettrennen laufe.

Aber hey, es gibt so viele Menschen, auch solche denen ich konstant auf Social Media folge, die wählen bestimmte Bilder aus und präsentieren der Welt eine Maske oder eine Fassade, die annehmen lässt, dass jeder von ihnen das beste Leben lebt. Aber man weiß nicht, was wirklich bei ihnen abgeht.

Deshalb habe ich "Bloom" geschrieben, was darauf hinweist, dass hinter dem Schleier der Gesellschaft Schmerz und Leid verborgen ist, aber ich verspreche dir, ich gebe dir das Versprechen, dass am Ende alles gut wird und alles aufblüht, wenn du es wirklich willst: Wenn du dir Zeit nimmst und dir deinen eigenen Wert beimisst. "Bloom" sagt, du wirst zu voller Blüte aufblühen, wenn du dir wirklich so viel Zeit für deine Entwicklung nimmst, wie du brauchst. Das will ich Menschen vermitteln, damit sie wahrnehmen: Sie leben ihre eigenen Leben.

In manchen Momenten klingst du wie eine Zähne fletschende Löwin, flankiert vom Wah-Wah-Bass mancher Tracks wie "Get 2 Know", da verbreitest du Rock-Feeling...

Ja, ich würde es als Alternative Soul mit einer Prise Rock'n'Roll beschreiben. Ich bin von vielen Sounds beeinflusst, und 'Rock mit Soul' trifft es denk ich am meisten. An der Weggabelung meines Lebens, wo ich jetzt stehe.

Ich gehe meistens mit dem Flow und der Energie, die ich von anderen erhalte. Zum Beispiel hat mein Gitarrist "Stairs" geschrieben. Das ist einer meiner Favoriten auf dem Album, weil er so tolle, intensive Energie hat, und mich reißt er da mit.

Wirst du auch in Deutschland performen?

Oh ja, natürlich. In Leverkusen, im November, für den 'Rockpalast', und auch in Münster. Darauf bin ich gespannt.

Und ihr macht alles mit organischen Instrumenten, oder? Keinerlei Effekte, Samples und Laptop-Tools dabei?

Ja, genau.

Ziemlich rar heute.

Danke! (lacht)

Es gibt Momente wie "Maybe They'll Take Your Picture", wo ich das Gefühl hatte: Prince wäre stolz auf dich. Was mich sehr beschäftigt hat, als ich so dachte, 'wie wird das, dich zu treffen?', war: Erinnerst du dich an den Tag, als Prince starb? Als du davon erfahren hast?

Ich kann darüber nicht sprechen. Sorry. Ich meine, für mich ist seine Energie immer da. Ich hab immer das Gefühl, er sendet irgend welche Zeichen oder so etwas. Wenn die Musik von ihm aufpoppt, etwa weil sie im Radio läuft, dann ist das immer wie so ein Flash, fühlt sich gut an, nah, als ob er räumlich und menschlich da wäre. Und zu dir sagt 'du bist gut'.

Dieses Gefühl von einem Brother, meinem Mentor, meinem Meister und besten Lehrer, das ist die Energie, die ich will. So möchte ich ihn in Erinnerung behalten. Ich erinnere mich daran, wie wir lachten, wie er Späße machte (lacht) die besten Lehrstunden, die besten After Shows ... Dafür erinnere ich mich an ihn. Seine Musik bedeutet mir alles, steht für das Leben, und ich hasse es über seinen Tod nachzudenken, weil es sich für mich immer noch nicht real anfühlt und nicht stimmig. Natürlich spüre ich den Schmerz, wer tut das nicht? Immerhin hat er die ganze Welt beeinflusst, aber es ist hart zu verarbeiten.

Okay, dann beenden wir unser Gespräch besser mit einer schöneren Frage.

(lacht) Ja!

Ich weiß nicht so viel über deine Heimat Illinois, als Staat. Was ich weiß, ist, dass es viel Platz für Künstler gibt, vor allem in Chicago. Aber dass die Stadt andererseits einer der härtesten Schauplätze für Segregation ist, etwa auf dem Wohnungsmarkt. Es ist der Ort, an dem Barack Obama in einem Kanzleibüro erstmals Michelle traf, aber abgesehen von all dem: Was sollte man über Illinois wissen?

Ich finde, dass Illinois ein wundervoller, unglaublicher, aber leider unterschätzter Ort ist. Vor allem in Bezug auf ganz viel Musik, insbesondere House. House!Mu!sic! Chicago ist die Stadt dafür. Eine feine Stadt. Lass die Welt kein falsches Bild davon zeichnen, weißt du, was ich meine?

Ich bin nicht in Chicago aufgewachsen, aber ich komme aus dem Umland, zwei Stunden entfernt von Chicago, aber es zog mich immer dort hin, ich wollte immer die Energie dieser City spüren, und die Stadt ist voll davon, wenn man so Events nimmt wie die Silver Room Block Party. So viel Housemusic auf einem Fleck hab ich noch nie gesehen, einen ganzen Strand entlang, eine Ansammlung von Leuten, die ihre beste Zeit haben, so viele Club-Sections und Tanzflächen. Und ich liebe die Black Community in Chicago liebe. Da bin ich eingetaucht, und ich will das alles auf jeden Fall weiter entdecken.

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