6. April 2016
"Die Leute haben gar keine Angst"
Interview geführt von Kai ButterweckMarathonmann bringen ihr drittes Studioalbum "Mein Leben Gehört Dir" an den Start. Mit einer ungewohnt düsteren Ausrichtung wollen die Münchner verstärkt zum Nachdenken anregen.
Vor knapp zwei Jahren streuten die Jungs von Marathonmann "splittrigen Post-Punk unters Jute-Volk". Mit ihrem dritten Album "Mein Leben Gehört Dir" legen die Mannen um Frontmann Michael Lettner nun nach. Abermals geht es krachend zur Sache, wenn sich die Bayern mit den Schattenseiten des Lebens beschäftigen. Wir trafen uns in Berlin mit Sänger Michael und plauderten über schwierige Aufnahmebedingungen, fremdgeleitete Menschen und den Himmel auf Erden.
Michael, wenn Gene Simmons von Kiss auf die beiden Ex-Mitglieder Ace Frehley und Peter Criss angesprochen wird, heißt es aus seinem Mund, dass nicht jeder Mensch für einen Marathon geschaffen sei. Manch einer stehe halt nur die Kurzdistanz durch. Ihr habt euch in der jüngeren Vergangenheit auch von zwei Mitgliedern verabschieden müssen. Gehörten Christian (Christian Wölk, Ex-Gitarrist) und Marcel (Marcel Konhäuser, Ex-Drummer) auch eher zu der Kategorie "Sprinter"?
Michael Lettner: (lacht) Ja, das trifft es ganz gut. Allerdings haben sich bei uns alle noch lieb. Auch die, die nicht mehr dabei sind. Es gab keinerlei Streitereien. Bei Marcel war es so, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen wollte. Und Christian wollte sich musikalisch verändern. Das sind alles Dinge, die passieren können. Jeder tickt ja irgendwie anders. Aber so lange man offen und ehrlich miteinander umgeht und die Sachen klar und deutlich auf den Tisch bringt, passt das alles. Dann setzt man sich zusammen, spricht sich aus und fertig. Bei uns war niemand sauer. Es hat halt nur die Produktion des neuen Albums ein bisschen komplizierter gemacht.
Inwiefern?
Nun, unser neuer Drummer Johannes Scheer war ja schon vor den Aufnahmen fest in der Band. Das lief auch alles reibungslos. Gitarrentechnisch hatten wir aber größere Probleme. Christian ist kurz vor den Recordings ausgestiegen. Robin musste letztlich alle Gitarren alleine einspielen. Das ist für jemanden, der nebenbei noch Vollzeit arbeitet, eine ganz schöne Herausforderung. Ich meine, wir malochen alle noch neben der Band. Wir konnten uns immer erst nach Feierabend in Augsburg im Studio treffen. Aber für Robin wars halt doppelt und dreifach schwer. Da ziehe ich echt meinen Hut vor.
Du sagtest gerade, dass bei Johannes alles reibungslos lief. Gabs da nicht auch Eingewöhnungsschwierigkeiten? Ich meine, der Gute kommt doch eigentlich aus dem Metal-Bereich. Stimmt doch, oder?
Ja, das ist richtig. Aber das haben wir uns natürlich schon vorher schriftlich zusichern lassen, dass er da nicht irgendwann mit wilden Doublebass-Attacken um die Ecke kommt (lacht). Im Ernst: Johannes ist ein Schlagzeug-Maniac. Der will eigentlich den ganzen Tag nichts anderes machen. Das hat natürlich unheimlich viel neue Energie mit reingebracht. Wir sind echt happy, dass er bei uns ist.
Neue Besen kehren gut.
Im Fall von Johannes: Definitiv! Aber auch Leo ist ein Gewinn für die Band. Beide passen super rein.
Im Pressetext zum neuen Album heißt es, ihr seid nun endlich "angekommen".
Ich weiß, dass das ein ziemlich ausgewrungener Begriff ist. Aber es stimmt einfach. Ich meine, das erste Album war ne Art Experiment. Wir wollten damals einfach mal gucken, was alles möglich ist, wenn wir zusammen musizieren. Beim zweiten Album war schon ein bisschen mehr Druck im Spiel. Plötzlich haben wir uns Gedanken darüber gemacht, was die Leute von uns erwarten. Da wollten wir es uns und unseren Fans unbedingt beweisen. Und diesmal war es einfach so, dass wir zwar ziemlich viel Stress an der Backe hatten. Aber wir haben uns nicht verrückt machen lassen. Wir haben einfach losgelegt. Es gab kein festgelegtes Sound-Konzept und auch kein thematisches Ziel. Wir haben es einfach laufen lassen.
"Ich will ich sein"
Ich finde ja, dass es ziemlich düster klingt. Da steckt auch keine Geschichte hinter?
Die Grundstimmung war das Einzige, auf das wir uns bereits im Vorfeld geeinigt haben. Wir wollen mit den neuen Songs verstärkt zum Nachdenken anregen. Das klappt meist besser, wenn die Songs nicht zu fröhlich klingen (lacht). Dann achtet man auch automatisch mehr auf die Texte.
Apropos Texte: Lust auf ein kleines Spielchen?
Immer.
Ich stell dir jetzt zu einigen neuen Songtiteln Fragen, die nicht zwingend mit dem Inhalt des jeweiligen Songs zu tun haben. Und du guckst einfach mal, was dir dazu einfällt. Bereit?
Bereit.
Los geht's. Erster Song: "Stand Der Dinge". Frage: Was bereitet dir denn aktuell die meisten Sorgen, wenn du dich morgens beim Zeitunglesen auf den aktuellen Stand der Dinge bringst?
Fehlende Individualität. Ich glaube, das, was mich derzeit am meisten angekotzt ist die Tatsache, dass die Menschen nur noch hinterher rennen. Viele Leute da draußen lassen sich einfach nur noch leiten. Sei es nun von den Medien, von irgendwelchen Bekloppten, die sich pöbelnd auf den Marktplatz stellen oder von anderen "Einflüssen". Es geht nicht mehr um einen selbst. Es geht nur noch um "uns" oder eben "die Anderen". Und wenn ich dann überall lese, dass viele Leute Angst haben, krieg ich erst recht ne Krise. Angst wovor denn? Wenn sich all die vermeintlich Ängstlichen da draußen mal ein paar Minuten Zeit nehmen würden, um sich zu hinterfragen, was oder wer ihnen Angst macht, würde den meisten davon schnell ein Licht aufgehen. Die Leute haben nämlich gar keine Angst. Sie lassen sich aber Angst machen. Das ist ein großer Unterschied. Und das bereitet mir große Sorgen.
Nächster Song: "Blick In Die Zukunft". Was schief läuft, ist klar. Was aber macht dir dieser Tage Hoffnung?
Meine Familie und mein näheres Umfeld. Hier merke und spüre ich jeden Tag, dass es auch anders geht. Menschen können auch offen und herzlich sein. Sie müssen nur wollen. Und in meinem Bekannten- und Familienkreis wollen alle so sein. Das gibt mir Hoffnung.
"Das Leben der Anderen": Gibt es irgendjemanden da draußen mit dem du gerne mal einen Tag lang Körper und Geist tauschen würdest?
Nein. Ich will ich sein. Genau darum geht es ja auch in dem Song. Das ist mein Leben. Und ich hab nur das. Punkt. Aus.
"Ich bereue nichts"
Jetzt habe ich hier zwei Songtitel vor Augen: "Konstante Schmerzen" und "Wunden Und Narben". Gibt es körperliche oder seelische Narben, ohne die du heute nicht der wärst, der du bist?
Das ist eine schwierige Frage. Der Tod meines Großvaters vor sechs Jahren hat mich sehr mitgenommen. Damit hatte ich sehr lange zu kämpfen. Er war immer an meiner Seite. Er hat mir gezeigt, wie man mit Menschen umgeht, wie man durchs Leben geht und wie man lernt, sich selbst wertzuschätzen. Ich habe zwar sehr lange getrauert. Aber mittlerweile spüre ich immer wieder einen neuen Kraftschub in mir, wenn ich an ihn denke.
Kommen wir zum Songtitel "Stillstand/Weiter": Bist du ein Mensch, der die guten Dinge im Leben hegt und pflegt? Oder würdest du dich eher als jemanden beschreiben, der allem Guten noch die Krone aufsetzen will?
Sowohl als auch. (lacht) Ich bin immer bemüht eine Balance zu finden. Ich finde Stillstand ganz schrecklich. Ich bin aber auch kein Schneller-weiter-höher-Typ, der immer mehr will und nie zufrieden ist.
Der nächste Titel: "Die Zeit War". Sicher, ist noch lange hin, aber stellen wir uns den Tag vor, an dem das Marathonmann-Kapitel geschlossen wird. Wie würde ein Absatz weiter gehen, der mit den Worten "Die Zeit war ..." beginnt?
Hmm ... Die Zeit war der Hammer. Sie bleibt unvergessen. Ich bereue nichts. Und ich bin dankbar und glücklich ein Teil davon gewesen zu sein. Das würde ich wohl sagen. Da bin ich mir ziemlich sicher (lacht). Natürlich kann so eine Band auch anstrengend sein. Man investiert viel Zeit, viel Energie und viel Liebe. Und manchmal bleiben da andere Sachen natürlich auch auf der Strecke. Aber im Großen und Ganzen ist es für mich der Himmel auf Erden.
Vorletzter Titel: "Tage Bis zum Sommer". Stehst du auf verschwitzte Herbst-Touren? Oder sind große Festival-Bühnen im Sommer eher dein Ding?
Ich bin eher der Sommer-Mensch. Ich mag es nicht, wenn die Leute böse dreinblicken und eingemummelt durch Schnee und Kälte marschieren. In Bezug auf die Band sind mir Jahreszeiten aber schnuppe. Ich steh total gerne auf Festival-Bühnen. Ich finds aber auch geil, wenn in einem engen Club der Schweiß von der Decke tropft.
Ok. Einen habe ich noch. Und zwar "Mein Leben Gehört Dir". Wem gehört dein Leben?
Mir!
Kurz und knapp.
So ist es. Da bin ich ganz klar.
Michael, das war's. Ich danke dir für deine Offenheit.
Oh, sehr gerne. Hat Spaß gemacht.
Dito.
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