laut.de-Kritik
Innovative Remixe sind noch kein Ersatz für das Debüt!
Review von Dani FrommSchon 2005 brachte Marlene Johnson mit ihrer Debüt-EP "Runaway" mein Herz zum Schmelzen. Der Reggae-Sektor quillt vor beeindruckenden Frauen ja nicht gerade über, also hatte die Dame von vorneherein ein kleines Steinchen im Brett. So viel Kraft, gepaart mit Gefühl, immenser Zartheit und Fragilität in einer Stimme hatte ich bis dahin nicht wirklich oft gehört. Zauberhaft, denkt der Redakteur und freut sich auf einen Longplayer.
Das Warten darauf nimmt mittlerweile Dendemann'sche Dimensionen an. Zwei Jahre sind ins Land gegangen. Marlene Johnsons Debüt-Album wird für Frühjahr 2008 versprochen. Eigentlich kann es sich dabei nur um einen schlechten Scherz handeln. Um die Fans bei Laune zu halten, gibt es nun also erst einmal "Remixes". Na, prima - zumindest besser als ein Maul voller Reißnägel.
Der Titel verrät's: Es werden Marlene Johnson-Songs durch die Mangel gedreht. Zwei, um genau zu bleiben: "Your Face" wird in sechs, "Coming Home" gleich in neun Versionen kredenzt. Langweilig, könnte man meinen. Wer will schon ein halbes Album lang das gleiche Stück hören? Die Leistung der Kollegen an den Reglern sowie die überaus geglückte, abwechslungsreiche Zusammenstellung lassen diesen Umstand jedoch beinahe vergessen.
Den Anfang macht "Your Face" in der Original-Fassung: Eine schlichte, schöne, träge Reggae-Nummer, die gerade durch ihren geruhsamen Charakter ihre Wirkung entfaltet. Marlene Johnsons Gesang besteht, keine Überraschung für mich, auch ganz ohne Untermalung, wird dann aber durch behutsame Begleitung, unter anderem von sachten Flötentönen, effektvoll in Szene gesetzt. Let the sun rise!
Die synthetische, fast klinische Umgebung in der Version von Max & Sy lässt der Stimme weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Doch auch in dieser reduzierten Umgebung kommt Marlene Johnson bestens zurecht. Sie fügt sich mit einer wesentlich schnelleren Performance, die im Vergleich zur Vorlage eine völlig andere Stimmung kreiert, in das veränderte Umfeld ein. Hut ab! Noch eine Spur härter geht es in Ray Craigs Fassung zu: Für meinen Geschmack zwar zu techniod und hektisch, dennoch sehe ich mich beeindruckt von einer Fülle von Klangeindrücken und nicht zuletzt der lasziven Sinnlichkeit, die Miss Johnson selbst dieser stressigen Interpretation einhaucht.
Andreas Wendland greift die Flöte aus dem Original wieder auf und stellt den Gesang in den Vordergrund. Sehr im Gegensatz zu Robert Stanleys Mix, in dem die Stimme nur ein zu verhackstückendes Element unter vielen über einem eisern durchgehaltenen, dancefloortauglichen Rhythmus bildet. Meine Tasse Tee ist das nicht.
Ganz großes Kino dagegen, was Parvez von House of Riddim mit "Your Face" anstellt: Aus einem sphärischen, dicken Soundteppich, der den Gesang unterlegt, statt ihn zu überdecken, erheben sich wie einzeln mit einer Taschenlampe angestrahlt mal Streicher, mal Percussion. Zur Abwechslung schimmert wieder der Reggae-Charakter durch: Überaus gelungen, Gratulation hierzu.
Sam Gilly, ebenfalls bei House of Riddim zu verorten, leitet mit einer Dub-Version die "Coming Home"-Runde ein: Ein wenig traurig, sehr entspannt und mit angemessen viel Raum für Marlenes Gesang, der zwischen den lose arrangierten Soundelementen widerhallt.
Bevor das von einer hübschen Gitarren-Melodie durchzogene Original von "Coming Home" das Album beschließt und zu seinem Ausgangspunkt zurück führt, hören wir eine druckvolle Version der Raggamaffia mit starken Anleihen aus dem Drum'n'Bass, einen überaus clubtauglichen, sonst aber bei allem Bombast eher langweiligen Mix von Jig, eine auf simpelsten 1-2-3-4-Gerüst basierende, von ruhigeren, chilligen Phasen unterbrochene Fassung von Gabriel Le Mar und einen sehr elektrolastigen Body & Soul-Remix.
Meine Highlights in der zweiten Hälfte: Unerwartet und unverschämt mächtige Gitarren von der Sonic Boom Foundation und, allen voran, "ShapeShipna's Zirbenschnaps Remix", der auf Eingängigkeit einen willkommenen Haufen setzt: Bässe tropfen auf schräge Klänge, das Instrumental scheint sich mit den Vocals zu verkanten statt parallel dazu zu laufen: Wirkungsvoller wurde, nach dem Überwinden der anfänglichen Verblüffung, selten Aufmerksamkeit erzwungen.
Die "Remixes" unterhalten bestens, keine Frage. Doch machen wir uns nichts vor: Als Ersatz für ein "richtiges", längst überfälliges Marlene Johnson-Album dürfen zwei Tracks nicht durchgehen.
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