laut.de-Kritik
Trash-Teen-Operetten mit lebensrettender Wirkung.
Review von Artur SchulzEin echter 'Burner': Seit der Veröffentlichung von "Bat Out Of Hell" im Jahr 1977 zieht das schreckliche Höllen-Ungetüm noch immer seine flammenden Bahnen. Doch an dessen Beginn stand zunächst ein eher unscheinbares Lagerfeuer. Erst viel später holt das Biest zum wahren Chartsbrand aus. Dafür aber ausdauernd und beharrlich: Bis heute stehen über 43 Millionen verkaufte Tonträger zu Buche. In der Beurteilung sieht sich der Meat Loaf/Jim Steinman-Wurf zwischen den extremen Polen von kultischer Verehrung und totaler Verachtung.
Nach einer erfolgversprechenden Kombination sieht sah zunächst auch gar nichts aus: Ein überkandidelter, von Richard Wagner inspirierter Songwriter trifft auf einen stimmgewaltigen Rocker, der nach seinen Konzerten unter dem stets bereitstehenden Sauerstoffzelt japst. Doch zwischen dem Komponisten und dem Sänger stimmt die Chemie von Beginn an. Schon lange sucht Steinman nach einem adäquaten Interpreten für seine eigenwillige Vorstellung von Rockmusik, und findet sie in Gestalt des massigen Texaners.
Hinter dem martialischen Friedhofs-Cover und dem effektvoll inszenierten Bat-Mythos verbirgt sich die künstlerische Auseinandersetzung mit den großen Gefühlen der Teenagerzeit. Nie taumeln persönliche Emotionen intensiver und verwirrender zwischen Himmel und Hölle als in den jungen Jahren - weil irgendeine finstere Fledermaus immer wieder dazwischenfunkt.
Lediglich sieben Songs umfasst das Werk. Davon laufen vier eigentlich nur begleitend um ein herausragendes Song-Dreigestirn herum. Der titelgebende Opener dient quasi als Ouvertüre. Geklaubt aus der handelsüblichen Rock-Kiste mit ziemlich dünn aufgetragenem Heavy-Anstrich.
Doch dann tauchen sie auf, die "Words Right Out Of My Mouth", und fortan sitzt man unrettbar in einer Geisterbahn mit unbekanntem Ziel gefangen. Die einen an "Orte führt, an denen du niemals warst", wie die spätere Borg-Queen Alice Krige in der Verfilmung von Peter Straubs "Ghost Story" ihrem angstvoll verwirrten Liebhaber einst zuflüsterte.
Allein gesprochene Intro-Zeilen wie das lüsterne "On a hot summer night. Would you offer your throat to the wolf with the red roses?" und die gehauchte weibliche Antwort "Yes": Teen-Essenz pur. Bis hin zum abschließenden Höhepunkt: "I bet you say that to all the boys." Besser kann man die Begierden eines jungen Erwachsenen kaum illustrieren.
Erst dann legt der Song richtig los - mit einer wuchtigen Mischung aus Rock, Pop und Opern-Pathos. Und bietet weiter in die Musik-Annalen eingegangene, genialische Zeilen: "You were licking your lips and your lipstick shining / I was dying just to ask for a taste" fasst essentiell den Kern dessen zusammen, worüber manch andere ganze Bücher schreiben.
Das atmosphärisch-balladeske "Heaven Can Wait" und das zügig abrockende "All Revved Up With No Place To Go" fungieren als vorbereitende Zwischenspiele hin zum nächsten Höhepunkt. "Two Out Of Three Ain't Bad" zieht als wehrlos machendes Konglomerat aus Kitsch, Streicher-Tsunamis und mitten aufs Hörerherz zielendem Pathos unwiderstehlich in seinen Bann.
"I want you / i need you" schluchzt Meat mit einer Inbrunst, als gelte es, mitten in der Hölle dem Teufel eine gestohlene Jungfrauenseele seinen Klauen zu entreißen. Mehr Dramatik und Tränenschmerz bieten auch einschlägige Streifen wie "Pretty Woman" oder "Schlaflos In Seattle" nicht.
"Paradise By The Dashboard Light" entpuppt sich als trashige Teen-Operette in drei Akten. Als Partnerin sorgt hier Rock-Röhre Ellen Foley für reichlich Dampf in der Beziehungskiste. Auf die Frage, ob Meat sie ewig lieben wird, antwortet er nur lakonisch "Let me sleep on it". Doch damit gibt sich Ellen natürlich nicht zufrieden - bis sie schließlich ihr Ziel erreicht, und er vor ihr auf die Knie sinkt: "I started swearing to my god and on my mother's grave / That I would love you to the end of time".
Doch auch die Ewigkeit dauert nicht für immer und mündet schließlich in der Erkenntnis: "It was long ago and it was far away / and it was so much better than it is today". Das über achtminütige Drama gilt zu Recht als unantastbares Highlight im gesamten Meat-Output.
Damit ist der Alben-Höhepunkt überschritten. "For Crying Out Loud" entlässt den inzwischen völlig aufgewühlten Hörer mit einer weiteren Balladen-Partitur Steinmans, die in wagneranischen Bombast mündet - und ein Gefühl der Beglückung hinterlässt. Aber ja: "Bat Out Of Hell" ist in erster Linie eine gezielte Attacke auf Emotionen. Rationalität hat keine Chance -bei kaum einem anderen Album gelingt die Vermengung von Kopf und Herz mit derart ergreifenden Resultaten.
Als gemeinsame Produzenten erschufen Todd Rundgren (der zunächst dachte, es handele sich beim Vorhaben um eine Springsteen-Parodie), Jim Steinman, Meat Loaf und Jimmy Iovine ein Werk, das nachhaltig seinen Platz auf dem Rock-Olymp behauptet. Die Songs sind oft lang, weisen aber nie Längen auf.
Das Zusammentreffen zweier so unterschiedlicher Charaktere wie Meat Loaf und Jim Steinman stellt einen Glücksfall dar. Der eine in-, der andere extrovertiert, bringen beide ihre Vorzüge im Verbund mit den konträren Eigenheiten des Partners voll zur Entfaltung.
Steinmans spinnerte, abgehobene Kompositionen veredelt Meat durch nimmermüden Einsatz als stimmgewaltiger, emotionaler Caruso des Pomprock. Im Zuge des späten Nachfolgers "Bat Out Of Hell II" (1993) entert das Original erneut weltweit die Charts und läutet Meat Loafs umjubeltes Comeback ein.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
29 Kommentare mit 43 Antworten, davon 4 auf Unterseiten
43 Millionen verkaufte Tonträger!!!!!!!!!!!! Alte Scheiße.. und das mit 7 (!) Songs.. Aber eher nicht mein Ding.
Alles Gute zum Geburtstag, Sancho.
Danke
sehr geiles Album, und der Titeltrack tatsächlich das einzige Lied, das mir die Tränen in die Augen treibt.
Bei Meat Loaf dürfen auch echte Kerle weinen. ^^
Das stimmt.
Besonders, wenn er einem mal aufn Fuß tritt.
Nee, ist schon n Guter.
Total gut so.
Kann man albern finden, aber ich bin ja der Meinung, dass sich unter all die geschmacklich trittfesten Steine gerne mal einer aus schimmerndem Granit, wie es gerne für künstliche Springbrunnen mit Gartenzwerg/Glasdelphin-Deko nebst Carport auf dem penibel gestutzten Rasen eingesetzt wird, mischen darf. Wider die Geschmackspolizei und pro gerahmtes Sonnenuntergangspuzzle. Soll ja alles auch seine Vertretung haben.
oh je, eine pathetische unerträglichkeit ohne ende. war noch nie mein fall.
"Paradise by the Dashboard Light" ist immer noch ein verdammtes Meisterwerk.
Habs aus gegebenem Anlass auch die Tage wieder paarmal in der Rotation gehabt. So viel wie das Album und im Speziellen die Nummer einem in der richtigen Stimmung geben, konnte einem das Deppentum des Marvin Lee Aday gar nicht wieder nehmen, finde ich. Er hätts meinetwegen trotzdem gar nicht erst versuchen müssen.