laut.de-Kritik
Lachen, weinen, abfeiern, aggro schieben: Alles geht.
Review von Dani Fromm"Zu 'Schall & Rauch' kann der Hörer lachen, weinen, abfeiern, aggro schieben, Gänsehaut bekommen und melancholisch sein." Dass die Verfasser von Presseinfos den Mund gern ziemlich voll nehmen, sollte bekannt sein. Klotzen statt Kleckern gehört schließlich zu ihrem Job. Im Falle Medizin Mann handelt es sich aber zur Abwechslung nicht um leere Versprechen. Wenngleich man einige der Ansagen vielleicht besser als Drohung verstehen sollte.
Der Medizin Mann besitzt ganz ohne Zweifel ausgeprägte Entertainer-Qualitäten. "Bioladen, Ökokiffer, Sojalatte, Gammellook, Bionade, Ökohipster, retro, zweite Hand, Birkenstock, reiner Hanf, Achselhaar extralang, Ökonazi, Ökopunk." Kein Problem, diese Schlagwort-Kollektion des Grauens endlos fortzusetzen und in einen Strauß frischer Beleidigungen für Röhrenhosenträger und Mateteetrinker umzumünzen. "Jutebeutel immer bei."
"Öko" rechtfertigt ein Grinsen allemal. Für schallendes Gelächter haben zuvor schon des Medizin Manns Gäste in "Der Letzte Engel" gesorgt. Jene retten die eigentlich schlimm kitschige Ballade an die Eine mit schrägen, Reggae-infizierten Zwischenrufen und rühmen die richtigen Qualitäten einer Angebeteten: "Wir haben immer viel zu lachen. Wir beide albern gerne rum. Sie ist die beste Bäckerin und Köchin auf der Welt ... und auch Fußball findet sie ganz toll." Glückwunsch, was sollte da noch schiefgehen?
Lachen? Check! Weinen? Auch kein Problem: Mehr als einmal wandelt der Medizin Mann auf der schmalen Brücke zwischen Vernunft und Trieb, als die schon Rammstein den Wahnsinn identifizierten, und handelt sich beim Spiel mit dem Feuer wiederholt verbrannte Hände ein. "Tränen Trocknen", alles wird gut - oder doch nicht? Immer wieder macht er den inneren Zwiespalt zum Thema, das fortwährende Ringen mit den "Stimmen", von denen man sich nie ganz sicher sein kann, ob einem das Gewissen zuflüstert oder doch nur eine Psychose, zumal sie gar nicht sooo furchtbar vertrauenswürdig klingen ...
Medizin Mann schildert die Problematik so anschaulich und entsprechend berührend, dass der Verdacht nahe liegt: Er weiß ganz genau, wovon er spricht. Ebenfalls aus erster Hand scheint er die Aussicht "Über Den Horizont" zu kennen: Seine doch eher (und im wahrsten Wortsinne) ernüchterte Feststellung "Wenn die Realität zurückkommt, wird es wieder kalt" beißt sich allerdings inhaltlich ein wenig mit der von "Pillen, Pulver, Dope, Alk" befeuerten Scheißdrauf-Attitüde, die des Trailerparks Basti vor sich her trägt: "Seit 13 Jahren auf Drogen, und bereue keinen Tag." Aber vielleicht gehört diese Haltung ja bereits zum Punkt Abfeiern.
Zweifellos in diese Kategorie fallen das thematisch eher primitive, einem bouncenden Club genau deswegen vermutlich bestens entsprechende "Schamanismus" oder die "Affenbande", in deren Reihen gemeinsam mit dem Gastgeber dessen alte Weggefährten Basstard und Kaisa durch den bratzigen Bass-Dschungel marodieren. "Dit is Berlin, Atze. Vastehste?" Wo, wenn nicht hier, dürfte man auch einmal gepflegt aggro schieben? Fehlen von den eingangs versprochenen Emotionen nur noch die Gänsehaut und die Melancholie. Ja, Mensch ... von beidem hätte es deutlich weniger getan.
"Wo Sind Die Männer"? Die Frage darf man angesichts der überreich vertretenen Konkurrenz, die gezupfte Augenbrauen, modellierte Muskelpartien und Designerchic offenbar für Eckpfeiler der Maskulinität hält, durchaus stellen. Die akustische Grausamkeit von einem 80er-Jahre-NDW-Pillepalle-Beat dazu generiert trotzdem Gänsehaut von den Ausmaßen mehrerer Fußballfelder, ähnlich wie die Pop-Schlager-Instrumentierung samt schauderhaft schmierigem Gesang in "Ich Mal Dich An" oder die autogetunete R'n'B-Hook im nächsten Stück. "Ich Flieg Davon", das erscheint mir angesichts dessen tatsächlich wie eine verlockende Option.
Eher melancholisch stimmt dagegen die durchgehend billige Produktion - vermutlich ein Produkt der Umstände. An musikalischen Ideen mangelt es den Kollegen an den Reglern nämlich keineswegs. Die Tracks glänzen - außer mit Variantenreichtum - mit vielen, vielen guten Ansätzen, weisen grummelnden Bässen und Elektrofrickeleien genau so einen angemessenen Platz zu wie einer E-Gitarre. Es fehlen bloß überall Wucht und Nachdruck. Schade, zumal des Medizin Mannes Rap-Skills ein breiter gebautes, wenigstens etwas wertigeres Beatkorsett durchaus ausgefüllt hätten. Damit er sich das beim nächsten Mal leisten kann, werdet ihr die Platte wohl kaufen müssen.
Man kann dem Kerl ohnehin selbst die schlimmsten musikalischen Vergehen nicht richtig krumm nehmen, so entwaffnend, wie er die verzweifelte Frage nach dem Warum mit "Oooch, ich hatte Bock drauf!" abbügelt. Ganz egal, ob - ganz alte Horrorkore-Schule - frostige Nebelschwaden um die Füße wabern oder sich - wie in "Goldrausch" – schier unverschämt sonniger Chillout-Sound ausbreitet: Irgendwie wirkt, allen Gegensätzen zum Trotz, alles echt. Oder, wie es Kaisa bereits für Berlin formulierte: "Meine Stadt verstellt sich nicht", und der Medizin Mann eben auch nicht.
1 Kommentar
gewohnt gute rezi, madmoiselle vielen dank ich werd sicher irgendwann mal reinhören. aber ich komm auf medmann nicht immer klar. meist hör ich ihn nur wegen den feats. aber basstard und kaisa feat klingt viel versprechend. da hör ich mal rein