laut.de-Kritik

Gelungenes Update zum Klassiker.

Review von

Wohl kein anderes Live-Event, bei dem sowohl klassisches Orchester als auch eine Metalband mitwirken, besitzt so viel Strahlkraft wie Metallicas 1999 aufgenommenes "S&M". Daran hat sich auch über zwanzig Jahre später nichts geändert. Zum Jubiläum wollten Metallica im Herbst 2019 schließlich selbst an das Werk anknüpfen und kamen erneut mit der San Francisco Symphony zusammen. Das Ergebnis ist weniger Sequel, mehr Update des Originals. Und das funktioniert.

Die größten Unterschiede entstehen aufgrund natürlichen Fortschritts der Band. Das frisch eröffnete Chase Center bietet ungleich mehr Platz als das zwölf Automeilen entfernt liegende Berkeley Community Theatre, wo "S&M" stattgefunden hat. So spielen Metallica diesmal vor weitläufiger Arena-Kulisse, fangen epische Panorama-Shots ein und können ihre berühmte mittig platzierte Bühne trotz Orchester nutzen.

Schon allein das bietet Schauwert. Die klassischen Musiker sitzen im offenen Kreis um die Band herum. James Hetfield, Kirk Hammett, Rob Trujillo und selbst Lars Ulrich bewegen sich frei durch die verschiedenen Sections und spazieren auch mal durch die ersten Publikumsreihen. Wie bei ihren regulären Konzerten verzichten Metallica größtenteils auf Schnickschnack und fokussieren auf die Performance. Die für einen Act ihrer Größenordnung verhältnismäßig dezente Lightshow unterstützt diesen Schwerpunkt und entfaltet ihre Wirkung auch im Heimkino. Ton und Bild der DVD- bzw. Blu-Ray-Version sind dem ursprünglichen "S&M" naturgemäß überlegen.

Im Kern bleiben Metallica dem Setup von 1999 treu. Das beginnt bei der Setlist. Änderungen finden fast ausschließlich zugunsten damals noch nicht veröffentlichter Alben statt. Nur ein im alten Jahrtausend geschriebenes Metallica-Stück, das nicht schon 1999 gespielt wurde, steht im Programm: Cliff Burtons Basssolo für die Ewigkeit, "(Anesthesia) – Pulling Teeth". Dagegen schaffen es einmal "St. Anger" ("All Within My Hands"), zweimal "Death Magnetic" ("The Day That Never Comes", "The Unforgiven III") und dreimal "Hardwired...To Self-Destruct" ("Confusion", "Moth Into Flame", "Halo On Fire") neu ins Programm.

So übernehmen Metallica Stärken und Schwächen des Vorwerks mit auf "S&M2". An "Master Of Puppets" können sie zwar rumdoktern, so viel sie wollen, ohne die Macht des Songs nennenswert zu schmälern, das Orchester bleibt hier jedoch völlig überflüssig und verkommt zum notdürftig eingequetschten Gimmick. Ähnlich "Enter Sandman", wo die Streicher das Arrangement überladen und Druck absorbieren.

Im mit viel musikalischem Raum inszenierten "Outlaw Torn" dagegen geht die Rechnung eindrucksvoll auf. Dank dynamischen Einsatzes des Orchesters gelingt ein filmmusikalisches Epos, das vor Augen führt, welch großartige Songs Metallica auch in der gerne unterschätzten "Load"/"ReLoad"-Ära geschrieben haben. Aus der stammt auch das einst eigens für "S&M" komponierte "No Leaf Clover", das sich auch bei "S&M2" wieder zu einem Highlight der Show entwickelt. Auf einen brandneuen Song verzichten Metallica diesmal, auch das 1999 als zweite Neukomposition vorgestellte und leider eher enttäuschende "-Human" flog 20 Jahre später (zum Glück) aus der Setlist.

Die Ambivalenz der Umsetzung spiegelt sich auch bei den neu aufgenommenen Liedern wider. Bei "Moth Into Flame" stört das opulente Beiwerk eher als Mehrwert zu bieten. Dafür überrascht "All Within My Hands", wo die Band zu Akustikinstrumenten greift und den "St. Anger"-Track zur dramatischen Ballade umfunktioniert.

Neu ist, dass Metallica der San Francisco Symphony mehr Raum auch abseits ihrer eigenen Songs geben. Im Mittelteil der Show spielt das hauptsächlich von Edwin Drinkwater, vereinzelt auch vom Musikdirektor Michael Tilson Thomas dirigierte Orchester Auszüge aus Prokofjews "Skythischer Suite" und Mossolows "Sawod" ("The Iron Foundry, Opus 19"). Beim futuristisch komponierten Nachahmen von Maschinengeräuschen helfen auch Hammett, Hetfield, Trujillo und Ulrich – nette Geste, diesmal sind allerdings die vier Thrasher eher überflüssig.

Apropos Nachahmen: Der Moment des Abends gebührt dem Kontrabassist Scott Pingel. Am elektrischen Kontrabass interpretiert er das komplette Basssolo "(Anesthesia) – Pulling Teeth" von "Kill 'Em All", gegen Ende sogar inklusive Distortion und Wah-Wah-Pedal. Schade nur, dass letzteres nicht Kirk Hammett bedient ... Nicht nur, aber auch wegen dieser Einlage ist "S&M2" mindestens für eingefleischte Metallica-Anhänger unverzichtbar. Daneben öffnet das Livealbum einen Zugang zur Band für Menschen, die gemeinhin eher wenig mit Metal am Hut haben – dank der insgesamt etwas polierteren Songauswahl und Kulisse wahrscheinlich noch mehr als das Original von 1999. Und umgekehrt: Wem die Fusion von Bay Area Kulturgut und Sinfonischem schon damals ein Graus war, macht auch jetzt besser einen Bogen ums Plattenladenregal.

Trackliste

  1. 1. The Ecstasy Of Gold
  2. 2. The Call Of Ktulu
  3. 3. For Whom The Bell Tolls
  4. 4. The Day That Never Comes
  5. 5. The Memory Remains
  6. 6. Confusion
  7. 7. Moth Into Flame
  8. 8. The Outlaw Torn
  9. 9. No Leaf Clover
  10. 10. Halo On Fire
  11. 11. Intro To Scythian Suite
  12. 12. Scythian Suite, Opus 20 II: The Enemy God And The Dance Of The Dark Spirits
  13. 13. Intro To The Iron Foundry
  14. 14. The Iron Foundry, Opus 19
  15. 15. The Unforgiven III
  16. 16. All Within My Hands
  17. 17. (Anesthesia) – Pulling Teeth
  18. 18. Wherever I May Roam
  19. 19. One
  20. 20. Master of Puppets
  21. 21. Nothing Else Matters
  22. 22. Enter Sandman

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8 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Das Album ist seltsam abgemischt, Metallica wirken lustlos und spielen mit wenig Dynamik und James' Stimme ist absolut nicht auf der Höhe. Das Album kann man getrost im Laden stehen lassen und dafür lieber zum ersten S&M greifen.

  • Vor 3 Jahren

    "Zum Jubiläum wollten Metallica im Herbst 2019 schließlich selbst an das Werk anknüpfen ..."

    Hätten die Thrasher das mal nur getan. Statt anzuknüpfen machen sie einfach noch einmal das Gleiche. Damals hat das einschlagen, heute wirkt es lau aufgewärmt.

    Dann noch die Setlist: 11 vonn 22 Lieder waren schon auf S&M1 zu hören, 4 weitere sind Orchesterstücke. Bleiben 7 neue Metallica-Versionen... Ggf. ist das Ganze auf BluRay noch ganz interessant anzusehen, weil bessere Filmtechnik als damals, aber das interessiert mich letztlich doch zu wenig für einen Kauf.

  • Vor 3 Jahren

    Wie schon bei S&M1 funktionieren manche Songs gut und manche weniger. Die in der Review genannten MoP und Enter Sandman gehören in der Tat zu den letzteren. Richtig gut, wie bereits 1999, hingegen passt es bei The Call of Ktulu, Outlaw Torn und Nothing Else Matter. Mit Confusion hatte ich allerdings schon auf Hardwired so meine Probleme. Da hätte es sicherlich deutlich bessere Songs gegeben. Dass dem Orchester diesmal mehr Raum zur Darstellung des eigenen Könnens gegeben wurde, finde ich gut, auch wenn ich mit reiner Klassik selbst nicht viel anfangen kann.
    Der Sound ist fett. Aber ja, stimmlich war James schonmal fitter. Alles in allem aber ein gelungenes Konzert.

  • Vor 3 Jahren

    Eigentlich kein schlechtes Livealbum, ähnlich wie der Vorgänger von 1999. Damals wie heute scheiden natürlich die Klassik-Anleihen die Geister, auch und vor allem in der Metallica-Fanbase. Best-of-Alben mit Orchesterbegleitung stehen sowieso (und meist zurecht) im Ruf, eher an Gewinnmaximierung interessiert zu sein als an der eigenen künstlerischen Vision. Den Anspruch, originell zu sein, hab ich bei Metallica aber heute auch nicht mehr, nach bald 40 Jahren im Musikgeschäft ist da dieselbe Routine eingekehrt wie bei den meisten derart betagten Acts. Dieses Album ist also, wie alle Vorgänger seit dem Black Album (für mich persönlich seit AJFA) alles andere als essentiell. Was mich in der Tat ärgert, ist, dass die Tracklist recht ähnlich zu S&M I ausfällt und man es erneut verpasst hat, "Orion", "Fade to Black" oder "Welcome Home" drauf zu packen. Immerhin ist der Versuch enthalten, mal tatsächlich klassische Stücke zu interpretieren und damit dem Orchester mehr Raum zu geben. Daher 3/5.

  • Vor 3 Jahren

    Metallica zelebrieren die perfekte Symbiose von Klassik und Metall und bewegen sich in Bereichen der E-Musik. Davon kann die Konkurrenz nur träumen. 5/5

  • Vor 3 Jahren

    Symbiose ? Ernsthaft ? Wenn ich ein gelungenes ZUSAMMENSPIEL von einer Metal-Band und Orchester hören möchte lege ich "Score" von Dream Theater, Therion oder auch mit Abstrichen die aktuelle Blind Guardian auf. Hier spielt ne Band Ihre Songs genauso wie auf Platte und das Orchester bringt da neue Akzente rein. Hört sich teilweise echt nett an, aber mehr auch nicht. Lars hat immer noch Timing Schwierigkeiten wenn's mal schneller wird, der Gesang von Hetfield ist maximal Durchschnitt, einzig Kirk hat die musikalische Klasse sich ein wenig aufs Orchester einzulassen.

    • Vor 3 Jahren

      Amen. Finde Metallica ist ohnehin keine gute Live-Band. Hab sie 2 mal gesehen und es war beide male sehr lau. Bei aller Liebe zum Frühwerk, ich werde mir diesen Schmonz hier nicht antun.

      Ungehört 1/5

    • Vor 3 Jahren

      das liegt mE an den begrenzten Fähigkeiten von Ulrich und dem nachlassenden Können von Hammet.

    • Vor 3 Jahren

      Dream Theater...die für mich überbewertetse Band auf diesem Planeten; klar sie sind Ausnahmenmusiker aber irgendwie fehlen mir (ehrliche) Emotionen. Irgendwie kommt es mir vor als müssten sie ständig beweisen was nicht für brilliante Musiker sie sind. Dream Theater Musik hören ist für mich wie stundenlanges Vögeln auf Koks...klar ist sensationell nur so ganz ohne Höhepunkt auch irgendwann mal fad. Nach fast 40 Jahren Metallica ist es eigentlich scheissegal ob Lars Timing Schwierigkeiten hat oder nicht...sein Spiel gehört einfach zu Metallica. Und Hetfield und durchschnittlicher Gesang? Erntshaft? Alleine was er bei The Unforgiven 3 aus sich rausholt ist doch wirklich sensationell. Von der Bass Darbietung bei Anesthesia (Pulling Teeth) rede ich gleich gar nicht...Cliff hätte seine helle Freude gehabt. Somit ziehe ich S&M 2 aufgrund der "echteren" Darbietung der Socre und auch der neuen Guardian (und von denen bin ich ein Riesenfan) vor.

    • Vor 3 Jahren

      ...und wenn schon Prog dann Pain of Salvation

    • Vor 3 Jahren

      joa, aber dann macht man kein Album zusammen mit einem Orchester die vom Blatt auf den Punkt spielen. Wer kam auf die Idee? Geld?

    • Vor 3 Jahren

      natürlich gehts ums Geld, muss es ja auch. Ne Band dieser Größenordnung zu unterhalten ist teuer.

    • Vor 3 Jahren

      Ok, joa. Sollen andere kaufen ;-)

    • Vor 3 Jahren

      Jesses. Ich werde die jetzt bestimmt nicht mit anderen Bänds vergleichen, die sprechen für sich, oder besser gesagt gegen sich. In zwei Lieder reingehört/gesehen und wieder ad acta gelegt. Der Däne ist dermaßen limitiert, dass es einem Progger und Melo-Death-Feeen wie mir fast schon weh tut.

    • Vor 3 Jahren

      Meinst du den Lars oder den Dänen an sich? Da Dänemark nur eine Landgrenze besitzt, wäre die von Dir angesprochene Limitierung ja auch irgendwie offenkundig. Will sagen: auch wenn Dein Ansatz relativ komplex ist, kann ich ihn durchaus nachvollziehen. Interessant.