laut.de-Kritik

Musikalische Aufarbeitung eines Traumas.

Review von

Fast genau ein halbes Jahr nach dem Suizid von Linkin Park-Frontmann Chester Bennington veröffentlicht Bandkollege Mike Shinoda erstmals neue Musik. Die drei Songs der komplett in Eigenregie produzierten EP "Post Traumatic" schlagen dabei in eine ähnliche musikalische Kerbe wie Shinodas Projekt Fort Minor, das der MC, dessen Rap-Parts in Kombination mit Benningtons gesanglicher Bandbreite den Sound der Amerikaner prägten, 2005 aus der Taufe hob.

Die Songs auf "Post Traumatic" setzen sich, wie der Titel schon andeutet, explizit mit dem Tod seines Freundes auseinander. In drei Tracks pendelt Shinoda wahlweise in Gefühlswelten zwischen Trauer, Resignation und Wut, die sich in insgesamt knapp zehn Minuten entladen.

Zum Auftakt versucht er sich im durchweg ruhigen "Place To Start" als Sänger und verleiht damit seinen Gefühlen Ausdruck: "I don't wanna know the end / All I want is a place to start." Nach dem plötzlichen Ende des regulären Songs erklingen dann noch private Botschaften von Shinodas Anrufbeantworter, in denen sich Freunde und Bekannte nach seinem Wohlbefinden erkundigen. Das wirkt schon sehr dick aufgetragen.

"Over Again" mäandert zwischen kitschig klingendem Pop und wütenden Rap-Parts, die die drückende Atmosphäre noch befeuern und Shinodas Stärken, im Gegensatz zum gesungenen Refrain, gekonnt ausspielen. Bei dieser Gelegenheit holt er sogleich zum Rundumschlag aus: "And everybody that I talk to is like 'Wow, must be really hard to figure out what to do now.' / Well thank you genius, you think it'll be a challenge? / Only my life's work hanging in the fucking balance." Da ist einer aber mächtig sauer auf seine Mitmenschen.

In "Watching As I Fall" adressiert er, einmal in Fahrt, auch gleich die kritischen Stimmen, die Linkin Park seit Jahren Sellout vorwerfen und den Output der Band an ihren ersten beiden Alben messen: "Still upset from shit that's 15 years old / I don't know what it takes to make me let go." Weniger zutreffend wird die Kritik dadurch allerdings leider auch nicht.

Der letzte Refrain auf "Post Traumatic" bezieht sich abermals auf den verlorenen künstlerischen Gegenpart in seiner Band: "They're watching as I fall, they're staring as I go / I gave until my soul hurt, and never told them so / They're watching as I fall, to somewhere down below / But maybe I'm just falling, to get somewhere they won't."

Nach mehreren Durchgängen bleibt trotz aller Emotionen aber ein fader Nachgeschmack. Die Fans dürften Shinoda für seine schonungslose Katharsis Respekt zollen, doch irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass es etwas weniger Pathos auch getan hätte.

Ein abschließendes Fazit fällt in diesem Fall schwer. Die selbstproduzierten Beats klingen erstaunlich satt, die Rap-Parts gewohnt solide. Alleine die Richtung, die Shinoda einschlägt, will nicht recht gefallen. Wüsste man nicht, was für ein heikles Thema hier verarbeitet wird, hielte man die EP aufgrund ihres hohen Pop-Appeals wahrscheinlich für herkömmliche Chartmusik.

Mike Shinoda hat für sich die öffentlichste aller Methoden gewählt, um den Tod seines Freundes zu verarbeiten. Das ist selbstverständlich legitim und ein nachvollziehbarer Weg für einen Musiker. Für die Fans dürfte die Botschaft, die in den drei Songs steckt, ohnehin einen größeren Wert haben als die qualitative Komponente, die stellenweise doch zu wünschen übrig lässt.

Trackliste

  1. 1. Place To Start
  2. 2. Over Again
  3. 3. Watching As I Fall

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LAUT.DE-PORTRÄT Mike Shinoda

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7 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Als ich die Review in der Liste sah, fragte ich mich sofort, wie man daraus wohl einen Selloutvorwurf stricken könnte. Klingt also wie Chartmusik, sagt der Autor. Dadurch haben wir etwas gelernt, nämlich, dass der Autor einen erhobeneren Geschmack hat. Man sagt nicht "gefällt mir nicht", sondern "das ist unter meinem Niveau" oder anders ausgedrückt "klingt wie Chartmusik". Was der Autor in seiner erlesenen Wahl von musikalischer Beschallung wohl lange nicht mehr getan hat, ist: Chartmusik hören. Diese Songs sind ja wohl echt nicht radiotauglich und auch keine typischen Charthits.

    • Vor 6 Jahren

      Ja, das hat mich am Review auch gestört. Ein wohl begründetes "Gefällt mir nicht, weil" respektiere ich. Ein schlecht begründetes "Ist qualitativ minderwertige Chartmusik" als wäre es eine ansteckende Geschlechtskrankheit, wirkt nicht wie eine ausgereifte Meinung sondern wie schlechter Stil.

  • Vor 6 Jahren

    Von mir 4/5 Punkten. Echt klasse EP, die Shinodas Gefühlswelt ziemlich gut zum Ausdruck bringt. Pathos? Vielleicht. Aber in jedem Fall passend. Außerdem alles schön kurz und knackig gehalten, was das Hören ziemlich kurzweilig gestaltet. Besonders "Watching As I Fall" lädt ein, den Repeat Knopf zu drücken.
    Rein musikalisch auch eher nicht Fort Minor, da poppiger. Ist definitiv eine EP, die für sich steht und die wir so in der Art auch sicher nicht nochmal von Shinoda zu hören bekommen.

  • Vor 6 Jahren

    "Die selbstproduzierten Beats klingen erstaunlich satt, die Rap-Parts gewohnt solide."
    Also bekommen gute Produktionen hier erstmal 2 Punkte, weil sie voller Pathos und Kitsch sind. Wie kann Mike nur über den Tod seines Freundes singen und rappen.
    Ganz ehrlich ich denke der Autor hat nicht verstanden was mit dieser EP beabsichtigt war. Da gibt es keinerlei Ambitionen Chartstauglich zu sein, würde auch nicht mal im Ansatz in die Charts passen. Linkin Park sind halt eine sehr poppige Band, soll er jetzt plötzlich sein Songwriting komplett ändern nur weil er traurige Songs schreibt?

    • Vor 6 Jahren

      Sein Songwriting wird doch sowieso kritisiert. Haben die zwei Monate vor dem Selbstmord des Sängers Texte über Depression, wird ihnen wegen der Mitarbeit anderer Songschreiber vorgeworfen das ist alles nicht authentisch und seelenlose Plastikware.

      Jetzt ist der Sänger tot (war wohl doch was dran) und sein Freund schreibt Texte mit weniger frohem Inhalt und im Review wird das in einem Kontext als "legitim" bezeichnet, in dem "legitim" sowas bedeutet wie "man kanns ihm ja nicht verbieten".

      Ich finde es inhaltlich durchaus konsistent mit dem bisherigen Wirken (ausgenommen mit das fiktive Szenario auf ATS).

    • Vor 6 Jahren

      "Ganz ehrlich ich denke der Autor hat nicht verstanden was mit dieser EP beabsichtigt war."

      Das glaube ich schon, dass er das verstanden hat. Ich glaube sein Problem liegt einfach im Genre begründet. Es ist kein Hip Hop, der sich neu erfindet, sondern solider Pop. Und solider Pop wird gerne mal nicht ernst genommen oder nur minderwertig bewertet, obwohl das eine echt gute Pop-Platte ist.

    • Vor 6 Jahren

      @keroppi meinte mit dem Satz auch eher, dass der Autor nicht versteht, dass die EP vollkommen ohne Ambitionen auf Charts geschrieben wurde. Denn genau das wird hier vorgeworfen. Nach dem Motto: Könnte gut sein, wäre es kein Pop.