laut.de-Kritik

Die derzeit wohl stadiontauglichste Folk-Gruppe: großartige Atmosphäre, auch ohne Intimität.

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Marcus Mumford steht schnaufend in den Überresten des Schlagzeugs, das er soeben auf der Bühne zerlegt hat. Sichtlich aufgeladen blickt er über die weite Ebene von Pretoria, Südafrika. 50.000 Zuschauer haben sich versammelt, um ihn und seine Folkrock-Truppe live zu erleben. Ein unüberschaubares Meer frenetisch jubelnder Menschen, das die Lightshow mit ihrem Farbenspiel in immer neue Stimmungen taucht. Ein Anblick, bei dem man sich als Künstler ruhig auf die eigene Schulter klopfen und sagen darf: "Geschafft!"

Mumford & Sons bilden die Antithese zu eigenbrötlerischen Folkmusikanten, die ihre einsamen Songs mit zarter Stimme zur Akustikgitarre interpretieren. Wollte man ein wenig ätzen, man könnte auch sagen, man müsse U2s The Edge vor einem Gig einfach mal ein Banjo in die Hand drücken, um den gleichen Effekt zu erzielen. Da mag etwas dran sein, man täte dem Quartett um Marcus Mumford aber Unrecht. Das Songwriting der Band, das auf Platte auch einmal repetitiv und theatralisch wirken kann, findet bei den großen Massen sein Zuhause.

Zum ersten Mal in der Bandgeschichte gastierten Mumford & Sons 2016 in Südafrika. Ein Land, das einen besonderen Ruf genießt, wenn es um atmosphärische Konzerte geht. Als der totgeglaubte Songwriter "Sugar Man" Rodriguez, der in Südafrika über Bootlegs und Raubkopien eine immense Berühmtheit erlangt hatte, erstmals in die Regenbogennation reiste, standen die Leute Kopf. Die Südafrikaner bescherten Rodriguez lange Zeit nach seinem Karriereende unvergessliche Live-Momente. Diese Mentalität erscheint auch bei der Show von Mumford & Sons greifbar.

Die Fans begrüßen jeden neu angespielten Song so, als gäben Radiohead mal wieder "Creep" zum Besten, und erzeugen eine elektrisierende Stimmung zwischen Band und Publikum. Die Stadionatmosphäre passt, was aber auch jegliche Intimität vermissen lässt. Wer sich auf seine liebste ruhige Passage in "The Cave" oder "Awake My Soul" freut, sollte sich auf Zwischenrufe, Jubel und Kreischen einstellen. Während des Gigs kommen Tausende Menschen auch bei den eigentlich besinnlichen Stellen nie ganz zur Ruhe, was bei dieser Masse auch nicht zu erwarten steht. Dafür stellt sich die Frage, warum die Verantwortlichen für die Abmischung des satten Sounds das Publikum nicht stellenweise etwas heruntergefahren haben.

Was die Kulisse an Tönen verschluckt, kompensiert die Band immerhin mit einer durchweg starken Bühnenpräsenz. Auch ohne Schnickschnack wie 360-Grad-Bühne oder Pyro-Effekte transportieren Mumford & Sons ihre energiegeladenen Songs zu den Zuschauern. Dabei steht ihnen die Spielfreude direkt ins Gesicht geschrieben. Wer schlechte Laune vertreiben möchte, sollte besonders auf den Bassisten Ted Dwane achten. Der wirbelt so dermaßen glücklich mit seinem Instrument über die Bühne, dass es ansteckt.

Ansonsten haken Mumford & Sons die gewohnten Checkpoints auf der Einheizen-Liste souverän ab. Bei "Ditmas" badet Marcus Mumford in der Menge, zu "Dust Bowl Dance" und "Lover Of The Light" setzt er sich ans Drumkit und bei einer der angenehm rar gesäten Ansagen muss der Bandleader feststellen, dass die Südafrikaner bei Cricket keinen Spaß mehr verstehen.

Dick Carruthers, der Regisseur des Konzertfilms, fängt dies in vielen, immer wieder interessanten Einstellungen ein. Close-Ups und Kamerafahrten liefern stets einen schönen Eindruck vom Geschehen auf der Bühne und in der Crowd. Dabei passen auch die Schnitte punktgenau. Niemals hat man das Gefühl, Szenen zu verpassen, weil sie zu hektisch zusammengeschnipselt wurden.

So auch bei einem Highlight der Show, dem gemeinsamen Auftritt der Mumfords mit dem senegalesischen Sänger Baaba Maal, dem Musikerkollektiv The Very Best und den Lokalmatadoren von Beatenberg. Miteinander spielen die befreundeten Künstler, die bereits auf der EP "Johannesburg" zusammengearbeitet haben, die Songs "Wona", "Lampenda" und "There Will Be Time". Die Chemie auf der randvollen Bühne bleibt dabei großartig. Nach dem herzlichen Abschied nimmt wohl jeder der Anwesenden viele positive Vibes mit nach Hause. Wer denkt, danach könne nichts mehr kommen, dem servieren Mumford & Sons ihren ersten Reißer "Little Lion Man" und peitschen damit die Gemüter nochmals eine Stufe höher.

Die Briten, die bereits in ihren Anfängen große Massen begeisterten, fühlen sich auf den großen Bühnen pudelwohl. Da macht Pretoria in Südafrika keine Ausnahme. Ein wenig Pathos und etwas hochtrabende Momente gehen dabei voll in Ordnung, "Live From South Africa: Dust And Thunder" bietet eine sauber produzierte, liebevoll gestaltete Live-Dokumentation der wohl derzeit stadiontauglichsten Folk-Gruppe.

Trackliste

  1. 1. Snake Eyes
  2. 2. I Will Wait
  3. 3. Below My Feet
  4. 4. Wilder Mind
  5. 5. Awake My Soul
  6. 6. Lover Of The Light
  7. 7. Tompkins Square Park
  8. 8. Believe
  9. 9. Ghost That We Knew
  10. 10. The Cave
  11. 11. Ditmas
  12. 12. Dust Bowl Dance
  13. 13. Wona
  14. 14. Lampenda
  15. 15. There Will Be Time
  16. 16. Little Lion Man
  17. 17. The Wolf

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