Porträt

laut.de-Biographie

Mykki Blanco

Der Diskurs über die Queer-Thematik bedeutet einen radikalen Paradigmenwechsel im Hip Hop. Eine ganze Riege junger Rapper_innen überschreitet in den 2010ern die Aufmerksamkeitsschwelle des Mainstreams mit Lyrics, Performances und Looks, die die oft homophoben Stereotype der Hip Hop-Kultur aufbrechen. Protzige Goldketten und Lipgloss, Federboa und aggressives Auftreten bilden keine (vermeintlichen) Widersprüche mehr.

Doubletime: Manchmal helfen Schellen
Doubletime Manchmal helfen Schellen
Yakary lernt, dass Worte Konsequenzen haben. Bushido flirtet mit Marvin. Bözemann boxt mit Nazis. Unschöne Reaktionen auf den Nahost-Konflikt.
Alle News anzeigen

Was Missy Elliott noch für unmöglich hielt - "Hip Hop würde sowas niemals tun", kommentiert sie 2003 den publizitätsträchtigen Kuss von Madonna, Spears und Aguilera - ist im Zuge des öffentlichen Diskurses über Gleichstellung und Gendertheorie in der Poppraxis angekommen. Das Klima hat sich gewandelt, was nicht nur das positiv aufgefasste Outing des R&B-Stars Frank Ocean unterstreicht.

Zu den Protagonisten des neuen LGBT- und Queercore wiederum zählen 2014 die Künstler_innen wie Zebra Katz, Azealia Banks, Brooke Candy, Angel Haze und Mykki Blanco. Michael Quattlebaum Jr. bzw. sein weibliches Alter Ego Mykki Blanco (Jahrgang 1986) bezeichnet sich jedoch nicht ausschließlich als Musikerin.

Auch als Poetin und Performance-Künstlerin überkommt ihre Bühnendarbietung althergebrachte Tabus, indem sie gleichgeschlechtliche Liebe, den Kampf um deren Anerkennung und generell emanzipatorische Selbstbehauptung in den Fokus rückt. Sexualnormen und traditionelle Gender-Zuordnungen werden, ähnlich wie in der Riot Grrrl-Bewegung, textlich wie optisch von der Drag Queen aufgehoben.

Wobei Make-up und Frauenkleider keineswegs ein unverrückbares Prinzip für Quattlebaum darstellen. Als Künstlerin in stetem Genderwandel taucht sie mal maskulin und oberkörperfrei, mal in exaltiertem Aufzug bei Konzerten auf. Festlegung ist der Entertainerin größtes No-go. "Meine Mutter meint, ich solle mich für einen wiedererkennbaren Look entscheiden", erklärt Blanco. Ihre Antwort laute: "But Mom, I'm not Katy Perry. I'm not Rihanna. Ich brauche kein festgelegtes Äußeres, an dem mich die Leute leicht erkennen. Ich will, dass die Leute wissen, dass Mykki Blanco die Wildcard ist."

Eindeutig fällt hingegen die Namensgebung aus: Die Rapperin referiert mit ihrem Pseudonym auf Lil' Kims Alter Ego Kimmy Blanco. 2010 inszeniert sie Mykki Blanco zunächst via YouTube-Kanal als Teenage-Mädchen-Karikatur. Da hat die Amerikanerin, die in North Carolina und Kalifornien aufwächst, bereits eine aufreibende Geschichte hinter sich.

Als Zwölfjähriger steht der sich damals noch männlich präsentierende Kinderschauspieler bei Open Mic-Nächten am örtlichen College auf den Brettern, mit 15 gründet er ein Performance-Kollektiv. Als 16-Jähriger läuft er von zuhause weg und lebt eine Zeitlang auf der Straße. Später sagt Quattlebaum aus, als Kind missbraucht worden zu sein.

Nach Aufenthalten in Kalifornien und New York setzt Blanco sich dann vorwiegend als Frau in Szene. Sie schreibt sich an der Chicagoer Kunsthochschule ein, steigt aber nach nur zwei Semestern 2006 wieder aus. 2011 veröffentlicht sie nach zwischenzeitlichen Industrialrock-Ausflügen mit der Band No Fear den Gedichtband "From the Silence of Duchamp to the Noise of Boys", bevor sie sich verstärkt der Rapkarriere zuwendet.

Ende 2012 erscheint Mykki Blancos erstes Mixtape "Cosmic Angel: The Illuminati Prince/ss". 2014 folgt das LP-Debüt auf dem Indielabel UNO NYC. Zwischendurch lässt sie sich von Starfotograf Terry Richardson ablichten, twittert mit Azealia Banks und steht mit Grimes und Death Grips on stage. Dort macht der Transvestit keine Gefangene: Regelmäßig arten die Liveshows zu schweißtreibenden Exzessen aus, bei denen sich der Crossdresser ins Publikum stürzt und an Nachdrücklichkeit nichts vermissen lässt. Heftige Trap-Beats, messerscharfe Synths, Militärdrums und Wonky-Samples begleiten den Punkrap-Vortrag.

"Man nimmt mich als solch eine Außenseiterin im Hip Hop wahr, dass ich mich in Bezug auf Rap beinahe wie eine Terroristin fühle", sagt die Künstlerin dazu. Nicht umsonst bezieht sich Quattlebaum u.a. auf Marilyn Manson als Vorbild. Aber auch den französischen Dichter Jean Cocteau ("Les Enfants Terribles"), Kathleen Hanna und Schwulenporno-Ikone Bruce LaBruce gelten ihr als wichtige Einflüsse.

Letztlich strebe sie ungeachtet ihrer extraordinären Persönlichkeit jedoch nach Akzeptanz. "Ich möchte angenommen werden. Aber bin ich bereit, dafür Kompromisse einzugehen? Nein." Eines Tages, so hofft Blanco, werde sie so viel Musik veröffentlicht, so viele verschiedene Projekte durchgeführt und mit so vielen Facetten gespielt haben, dass der Begriff 'Queer Rap' irrelevant geworden sein wird.

News

Alben

Surftipps

Noch keine Kommentare