Musikjournalist Matt Karpe zeichnet die Karriere der Nu-Metal-Pioniere minutiös nach. Ein kurzweiliges, aber nicht makelloses Schmankerl für Fans.

Winterthur (gbi) - "Stimmt, das war ja wirklich mal ein Ding!" Bei diesem Gedanken ertappt man sich bei der Lektüre von "Korn On Track: Every Album, Every Son" (Sonicbond Publishing,‎ 123 Seiten, Taschenbuch, 19 Euro) immer wieder. Wie der Untertitel dieser Buchreihe verspricht, beleuchtet jede Ausgabe jeweils die Karriere einer Band respektive eines Künstlers oder einer Künstlerin Album für Album, Song für Song. Im Falle von Korn hat gerade der Rückblick auf die Hochphase der Nu-Metal-Bewegung etwas Amüsantes, zeigt sich daran doch, wie sehr sich die Musikszene seit den Neunzigerjahren verändert hat.

Dass fünf Jungspunde mit verfilzten Dreadlocks sich erdreisteten, Metal-Riffs, Funk-Bass, Hip Hop-Elemente und Dudelsack zusammenzuklatschen, war einst ein echter Aufreger in Metalhausen. Und erst noch diese Trainingsanzüge! Dass sich die Jungs aus dem kalifornischen Bakersfield mit dem Schlabberlook sogar vertraglich ausstatten ließen, mutet im Rückblick ebenso schräg an wie die Tatsache, dass Album-Releases panisch verschoben wurden, weil Leaks ihren Weg ins Internet fanden. Aber klar, Alben gingen damals ja noch für gutes Geld physisch über den Ladentisch.

Reminiszenzen zuhauf

Der britische Musikjournalist Matt Karpe lässt solche netten Reminiszenzen zuhauf in das Buch einfließen, das die Karriere vom ersten Demo "Neidermayer's Mind" von 1993 bis zum 2019er-Album "The Nothing" umfasst. Auch Soloprojekte, Bonustracks und Soundtrack-Beiträge finden Erwähnung, was Gelegenheitshörer*innen das eine oder andere Fundstück garantiert. "It's Me Again", ein Special-Edition-Track von "See You On The Other Side", übertrifft das eher öde reguläre Album beispielsweise bei Weitem, findet sich aber nicht einmal auf Spotify.

Nebst der Musik geht es, wo relevant, auch um Privatangelegenheiten der Musiker. Wobei streng genommen nur zwei im Fokus stehen: Sänger Jonathan Davis, der seine psychischen Probleme und inneren Dämonen nie verheimlicht hat, und Gitarrist Brian "Head" Welch, der zwischenzeitlich aus der Band ausgestiegen war und seine Drogensucht gegen ein ebenso suchtartiges Abspacen in den christlichen Glauben getauscht hatte. Wie sich die daraus resultierenden Animositäten zwischen den beiden auf diversen Korn-Tracks auswirkten, erfährt man im Buch natürlich auch gleich.

Worüber jammert der da?

In kurzen Kapiteln und leicht verständlichem Englisch zeichnet Karpe den Aufstieg der Nu-Metal-Pioniere auf, die eher orientierungslose Phase ohne Head sowie den zweiten Frühling jüngerer Jahre. Die Kapitel folgen einem fixen Aufbau: Erst erläutert er in einer Einleitung die Hintergründe einer Platte, danach geht er diese Track für Track durch – wobei es zu manchen mehr zu erzählen gibt, zu manchen weniger. Aber gerade die Inspiration für die Lyrics liest sich oftmals interessant. Zumindest mir war nicht bewusst, worüber Davis da in vielen Songs genau klagt und jammert.

An die Aufnahmen zum Durchbruchsalbum "Follow The Leader" erinnert sich Davis etwa wie folgt: "People were getting blow jobs right behind me, there was girls banging each other in front of me, people getting boned in the closet behind me, it was the craziest shit I've ever seen in my life, and I sang this song." Gemeint ist "It's On!", übrigens. Mal sehen, ob ihr seine Verwirrung jetzt raushört.

Schon gewusst?

Was es mit Videoclips (von denen Korn unfassbar viele produziert haben), Tourneen und Albumcovern auf sich hat, alles wird abgedeckt. Und Trivia erst! Schon gewusst? Der Song "Seed" wurde nie live gespielt, weil einige der verwendeten Gitarreneffekte nach den Aufnahmen verloren gingen. Lyrisch besingt Davis hier seinen neugeborenen Sohn Nathan und sinniert darüber, ob er den Ruhm überhaupt noch braucht, da er eine Vaterrolle zu erfüllen hat und darin Erfüllung findet. Schon gewusst? "Starting Over" vom namenlosen 2007er-Album behandelt die Diagnose von Idiopathischer thrombozytopenischer Purpura beim Frontmann, eine Krankheit, die die Blutgerinnung beeinträchtigt.

Schon gewusst? "Did My Time" war eigentlich für "Untouchables" gedacht, aber weil dessen Produzent Michael Beinhorn darin kein Potenzial sah, fiel es erstmals durch. Korn gruben es für das Folgealbum "Take A Look In The Mirror" aber glücklicherweise wieder aus. Da daraus ein Hit im Bandkatalog wurde, war das definitiv kein schlechter Move.

Durch die dicke Fanbrille

Doch hat das Buch auch seine Schwächen, die im Schreibstil von Matt Karpe liegen. Der Journalist trägt nämlich eine dicke Fanbrille. Jedem Korn-Fan ist klar, dass nicht jedes Studioalbum der Bakersfielder ein Volltreffer war. Pardon, das war jetzt ebenfalls zu euphemistisch: Manches Werk ist einfach Mist. Der Dubstep-Rock-Bastard "The Path Of Totality" gehört definitiv in Kategorie Flop. Doch Karpe packt die nötige Kritik daran in Watte: "Containing a mix of mellow and upbeat numbers, which Davis later declared were 'Future Metal', the reviews for 'The Path Of Totality' were polarising, to say the least." Ja, sag auch. Klartext wäre hier echter Leser*innenservice gewesen.

Nun könnte man darüber hinwegsehen und es als professionelle Distanz des Autors ansehen, würde sich Karpe bei den gelungeneren Werken ebenso zurückhalten. Doch nach oben ist das Spektrum offen. Beispiel "Victimized" von "The Paradigm Shift": "Dazzling futuristic keyboards accompany a monstrously powerful guitar chug on a stunning opening before spritely verses flow effortlessly into a powerful chorus." Hui, klingt ja nach einem zweiten "Freak On A Leash". Auch sonst wimmelt es auf den Alben nur so von unterbewerteten Glanzstücken. Die Euphorie-Balance stimmt also nicht ganz.

Etwas mehr Tiefgang, bitte!

Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Aufnahmesessions mit Ross Robinson, der für die beiden ersten Alben "Korn" und "Life Is Peachy" sowie das spätere Retrowerk "Korn III - Remember Who You Are" verantwortlich zeichnet. Zwar wird mehrfach angedeutet, dass der Produzent die Band und speziell Jonathan Davis mit schikanösen Psychospielchen an ihre Belastungsgrenzen brachte, was aber genau darunter zu verstehen ist, bleibt offen. Hier wäre etwas mehr Tiefgang – gerade was die legendären Erstwerke angeht – erhellend gewesen. Ansonsten aber lässt der Mann wirklich kaum etwas unerwähnt.

Wer sich die Leselust trotz solcher Mängel nicht vermiesen lässt, wird mit "Korn On Track" gut unterhalten. Der kompakte, gleichwohl umfassende Karriererückblick liest sich flott, wartet mit viel Hintergrundwissen auf und eignet sich somit auch gut als Nachschlagwerk. Und was noch wichtiger ist: Es macht definitiv Lust, die alten Alben nochmals durchzuhören.

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Matt Karpe - "Korn On Track: Every Album, Every Song"*

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Fotos

Korn

Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Korn,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

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3 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    I feel like this could have been something cool, I even pre-ordered this book directly from the UK because I thought it was going to be full of something worth reading. Unfortunately, it is just every song and album typed out with what this book author thought of the song.
    I should have waited until it was available in the states and looked at it in person. Had I flipped through this at the store, I would have saved $20

    • Vor 2 Jahren

      "Unfortunately, it is just every song and album typed out with what this book author thought of the song."

      Talk about misleading titles...!

    • Vor 2 Jahren

      i know a personal background story, once i met jd from korn and he told me that the song "hate me (not)" was originaly meant to get on the album follow the leader but the dj of the band was against that, so they made a remix and put it on follow tha leader (its the one track that finally ended up with the nas feature)

  • Vor 2 Jahren

    another interessting moment, jd told me about, was when i met him backstage: he told me the song "am i going crazy" was a live recording, when her realy thought hes about to "go crazy" why? because he took so much crystal meth, it was sick times - i tried meth only once - never again! worse thant covid

  • Vor 2 Jahren

    Die Schilderung, wie es bei den Aufnahmen zu "Follow the Leader" wie in Sodom und Gomorra zuging, zeigt Parallelen zu den Amigos.