Von der Subkultur nerdiger Teenies zur globalen Marktmacht, wie konnte das passieren? Ein Erklärungsversuch.

Stockholm (dani) - Blut, Feuer, Tod. Dazu auf dem Umschlag ein derart gruselig kostümierter Heini, dass man aufpassen muss, mit dem Cover in der Öffentlichkeit einer Bushaltestelle nicht versehentlich ein Kind zu erschrecken. Ich gebe zu: Ich bin leicht zu ködern. Na, DAS les' ich! Nicht obwohl ich über schwedischen Metal verhältnismäßig wenig weiß. Sondern weil.

Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte: Das Autor*innengespann Ika Johannesson und Jon Jefferson Klingberg rollt das eigentlich uferlose Themenfeld in einer Weise strukturiert auf, dass selbst eine in der Materie eher unbewanderte Zeitgenossin (sprich: die Hip Hop-Tante) zu ahnen beginnt, was sich da im Norden musikalisch so alles abgespielt haben mag.

Bestens betreut

Okay, ganz blank habe ich mich tatsächlich nicht in die Thematik gestürzt. Die Namen der allermeisten Acts, die dieses Buch bevölkern, hab' ich zumindest schon einmal gehört. Ich habe "Metal Evolution" gesehen, vor vielen, vielen Jahren "Lords Of Chaos" von Michael Moynihan gelesen, lass' mich vom Kollegen Manuel Berger immer mal wieder zu (von ihm) ausgewählten Konzerten schicken ... ich hege durchaus Interesse an und Sympathien für Metal, seine Ästhetik und seine Akteur*innen. Ich versteh' halt nichts von der Musik.

Keine Ahnung also, wie die Einschätzung echter Genre-Nerds ausfallen mag. Vielleicht kommt ihnen, was Johannesson und Jefferson Klingberg hier an Wissen zusammentragen, wie ein Stillleben aus kaltem Kaffee und alten Hüten vor. Als interessierter Genre-Noob fühle ich von "Blut, Feuer, Tod" (Hannibal Verlag, 480 Seiten, Taschenbuch, 28 Euro) beim Spaziergang durch die schwedische Metal-Historie allerdings bestens betreut.

Die Einstiegskapitel widmen sich jeweils einzelnen Acts. Ich bekomme Nifelheim, Heavy Load und Bathory vorgestellt, deren Storys mir so liebevoll wie sorgfältig recherchiert erscheinen. Mühelos lässt sich nachvollziehen, wie alles angefangen hat und die gelegte Saat aufging, ehe sie manch einem über den Kopf zu wuchern begann. Was spätestens im vierten Kapitel geschieht, das vom Leben und Sterben von Pelle 'Dead' Ohlin erzählt, einst Sänger von Mayhem.

Hier sprang mich zum ersten Mal der eklatante Unterschied zum erwähnten "Lords Of Chaos" an: Während Moynihan seinerzeit gruselig gefühlskalt berichtete, arbeiten Johannesson und Jefferson Klingberg sensibel heraus, was für eine scheißtraurige Geschichte das eigentlich war. Da starb ein unglücklicher junger Mensch, und die Hinterbliebenen mussten nicht nur mit dem Krater klarkommen, den dieser Verlust in ihr Leben gerissen hat, sondern obendrein mit unangebrachter Verklärung und, noch schlimmer, mit der reißerischen Berichterstattung und der kommerziellen Ausschlachtung seines Todes.

Kein ehrfürchtiges Erstarren im Boah-krass

"Blut, Feuer, Tod" lässt überhaupt angenehm wenig Raum für Erstarren in ehrfürchtigem Boah-krass. Die meisten der zahllosen zitierten Zeitzeug*innen blicken reflektiert und durchaus kritisch auf ihre Vergangenheit zurück. Ohne die künstlerischen und kreativen Leistungen zu schmälern, klingt oft genug durch, was diese medial zum Satanskult aufgeblasene Szene eben auch war: eine Spielwiese gelangweilter Teenager, die sich gegenseitig darin überboten, einer härter, truer, böser als der andere sein zu wollen. Dass in diesem makaberen Wettstreit etliche auf der Strecke blieben: tragisch genug.

Neben solchen über Mayhem, Entombed (respektive der beiden Entombeds), Dissection, Watain oder Kvarforths Shining finden sich Kapitel, die das Schlaglicht nicht auf einzelne Acts richten, sondern auf einen ganzen Themenkomplex. Die Autor*innen beleuchten die Entwicklung von Death, Black und Heavy Metal, nehmen die ambivalente Beziehung zwischen Metal und den Medien unter die Lupe und skizzieren die dem Mangel an adäquaten (oder zumindest angemessen aufgeschlossenen) Strukturen geschuldete Entwicklung eigener Magazine, Labels, Vertriebswege. So lässt sich gut verfolgen, wie sich eine nerdy Subkultur zu einer globalen Marktmacht entwickeln konnte - mit allen positiven wie negativen Belgeiterscheinungen.

Igitt!

Johannesson und Jefferson Klingberg klammern auch unangenehme Themenfelder nicht aus. Homophobie und das teils absurde Männlichkeitsgehabe im Genre kommen zur Sprache, genau wie der (wahrscheinlich immer noch) eklatante Frauenmangel. Ein ganzes Kapitel befasst sich mit rechten Tendenzen. Igitt. Die Übergänge zwischen Liebäugelei mit der Provokation und tatsächlichen menschenverachtenden Überzeugungen verschwimmen da zuweilen dermaßen, dass sie sich kaum noch ausmachen lassen. Für Fans sicher nicht ganz einfach, da persönliche Grenzen zu ziehen.

Ein bisschen schade finde ich, dass "Blut, Feuer, Tod" schon ein wenig Staub angesetzt hat: Die erste Ausgabe erschien bereits 2011. Die umfangreichen Recherchen stammen entsprechend aus den Jahren zwischen 2005 und 2011, haben also inzwischen teils knapp zwanzig Jahre auf dem Buckel. Eine Aktualisierung erfolgt zwar am Ende jedes Kapitels, beschränkt sich jedoch auf jeweils wenige, knappe Zeilen.

Da es sich um eine "Geschichte" des schwedischen Metals handelt, funktioniert das Buch so zwar trotzdem. Ein klein wenig mehr Aktualität, ein etwas direkterer Draht ins Jetzt, hätte mich aber trotzdem mehr interessiert als zwanzig (!) Seiten Interview mit Jon Nödtveidt von Dissection. Ob man einem Typen, der wegen Beihilfe zum Mord an einem homosexuellen Mann zehn Jahre lang hinter Gitter saß, unbedingt eine derart große Bühne für seine kruden Ansichten geben muss ... ich weiß nicht recht. Es lohnt aber auch nicht mehr groß, sich darüber den Kopf zu zerbrechen: Nödtveidt hat den Planeten 2006 von seiner Existenz befreit, auch er hinterlässt traumatisierte Familienmitglieder und trauernde Freunde. Seufz.

So traurig vieles erscheint, birgt "Blut, Feuer, Tod" aber auch reichlich Comedy-Potenzial. Wo, bitteschön, liest man sonst von Menschen, die sich beim Hantieren mit Kadavern auf der Bühne eine Sepsis einfangen, oder von Shows, bei denen es derart stinkt, dass das Publikum kotzend das Weite sucht, noch bevor die Akteure überhaupt auftauchen? Also, ich hab' mich größtenteils prächtig amüsiert. Allen, die keinen allzu sensiblen Magen mitbringen, erteile ich entsprechend eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Kaufen?

Ika Johannesson, Jon Jeffersen Klingberg - "Blut, Feuer, Tod"*

Nachtrag: Sooo wahnsinnig erschrocken erschien mir das unbekannte Kind übrigens gar nicht, das im Bus das Buch in meinen Händen kulleräugig anstarrte. Eher interessiert: "Du? Wer ist der wütende Mann da?" Eine Frage, die ich nicht unmittelbar beantworten konnte: Ich fand in dem ganzen verdammten Band keinen eindeutigen Hinweis auf die Identität des Coverboys. Ich habe also Bilder recherchiert, Nieten verglichen und postuliere nun: Es handelt sich um Pelle 'Hellbutcher' Gustafsson, Frontmann von Nifelheim. Korrigiert mich gerne - oder nennt mich Sherlock.

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Watain, Shining (S) und Co

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