Drei Tage Stoner, Doom und Räucherstäbchen mit John Garcia u.v.a. Fotogalerie und Review.
Berlin (mab) - Gäbe es so etwas wie ein deutsches Mekka für Stoner-Doom-Anhänger - am letzten April-Wochenende 2017 wäre es das Berliner RAW-Gelände gewesen. Internationales Publikum pilgerte auf die sechste Ausgabe des Desertfests. Die 3-Tages-Tickets waren bereits Monate im Voraus vergriffen – kein Wunder, wenn sich mit John Garcia und Sleep gleich zwei Eckpfeiler der Szene die Ehre geben.
Insgesamt über 40 Bands bekommt das Publikum serviert – dieses Jahr erstmals auf vier Bühnen. Hier kommt den Veranstaltern die reichhaltige Konzertclubkultur des RAW-Geländes zugute. Innerhalb von zwei Minuten lässt sich die Strecke zwischen Main und Foyer Stage, zugehörigem Festivalcourt und den ums Eck gelegenen Nebenbühnen im Badehaus und Cassiopeia zurücklegen.
Zwar sind Letztere gerne mal hoffnungslos überfüllt und lassen vor allem Fotografen verzweifeln, die zwischen den Arealen hin- und herpendeln. Überschneidungen gehören auf einem Festival ab einer gewissen Größe eben einfach dazu, und das Desertfest entschied sich bewusst, den Schritt in diese Richtung zu unternehmen.
Was man in Zukunft besser machen könnte: Das ständige Rein/Raus mit Einlasskontrollen, um von der Fressmeile und Main Stage im Astra Kulturhaus zu Cassiopeia und Badehaus zu gelangen, nervt. Zumal man sich in einer Welt außerhalb der gewohnten Festivalsphäre bewegt: Bei den Nebenbühnen herrscht nicht etwa Rahmenprogramm, sondern drumherum findet einfach normaler RAW-Betrieb statt.
Touristen und Clubgänger mischen sich unter die Reefer und keiner weiß so recht, was eigentlich Sache ist. Freilich wäre der logistische Aufwand immens, angesichts der großen Nachfrage aber wohl nicht undenkbar, bei einer künftigen Ausgabe das komplette RAW-Gelände anzumieten.
Zwischendurch eine kleine Skate-Session?
Doch wo Schatten, ist auch viel Licht: Denn so viele andere Festivals findet man nicht, bei denen man zwischendurch mal Skatern beim Halfpipe-Rutschen zusehen kann, ein Flohmarkt am Sonntag aufpoppt, ein paar hundert Meter weiter am Boxhagener Platz SPT auftritt (gebt das mal bei gewissen Videoportalen ein) und kurzum: das Berliner Stadtleben beginnt.
Sollte das für die Größe des Courts ziemlich variable Essensangebot vor dem Astra wider Erwarten nicht ausreichen, unternimmt man eben einen kurzen Abstecher nach Friedrichshain. Stadtfestival at its best. Und eh, durch den Eingang kriegt man die Mega-Bong zwar nicht: Eine zweite Chill-Area unmittelbar davor zu gründen, ist aber auch kein Problem. "Das ist das coole an so 'nem Stoner-Festival", philosophiert man dort. "Super Gelegenheit die Schöne mal auszuführen."
Bongzilla geben am Freitag auf der Main Stage das Startsignal, die Meute antwortet mit einstimmigem Klicken. Die Amis haben keinerlei Probleme, das bereits zahlreich vertretene Hauptbühnenpublikum mit ihrer durch und durch grünen Heaviness zum ersten Höhepunkt zu fuzzen. Wenn Muleboy sich in Zeitlupe in die iffs wirft und mit gequetschten Stimmbändern ins Mikro krakelt lassen sich in Duktus und Sound gewisse Ähnlichkeiten mit dem japanischen Namensverwandten nicht leugnen.
Die Qual der Wahl
Es nahen die ersten Überschneidungen: Entweder man bleibt am Court und gibt sich in Hinblick auf die in den kommenden Tagen herrschende Stoner-'Doominanz' die Kommunen-Blackgazer Wolves In The Throne Room (mit Räucherstäbchen statt Dübel, noch weniger Bühnenlicht als alle anderen Acts, dafür musikalisch ein großes Ausrufezeichen) oder man gönnt sich mit Ruby The Hatchet eine – zumindest auf den Bühnen massiv unterrepräsentierten – Damenstimme und fröhnt im Cassiopeia den tollen Elephant Tree.
Dann allerdings verpasst man mit Toundra eine der interessantesten Bands des Festivals: Die Spanier verwandeln die Foyer Stage in eine Tanzfläche und kombinieren ihre progressiv-psychedelischen Post Rock-Kompositionen mit spanischer Extrovertiertheit. Auch ohne Mikro lässt sich wunderbar mit dem Publikum interagieren. Gitarrist Esteban reibt sein Werkzeug am Boxenturm, in der ersten Reihe schlägt sich ein Headbanger den Kopf blutig. Dabei sind manche Stellen doch so lieblich…
Einen Headliner brauchts im Anschluss daran zwar fast gar nicht mehr, Saint Vitus werden dieser Rolle aber dank jahrzehntelanger Erfahrung mehr als gerecht, karren für den einmal mehr als Wino-Ersatz mitgereisten Scott Reagers Tee auf die Bühne und haben mit "Sloth" eine echte Rarität im Gepäck. Parallel ist es bei Yuri Gagarin im Cassiopeia ebenfalls brechend voll. Die Schweden werden dem Vorab-Hype zwar nicht ganz gerecht, bieten mit Michel aus Lönneberga am Keyboard aber wenigstens einen Hingucker.
Der Samstag: Sleep, Sleep, Sleep
Wüstenflair ist ob der frischen Temperaturen natürlich schwierig, dafür lässt sich am Fuzz-Verkaufsstand mit eigenen Riffs einheizen und mittels Bandname-Generator schon mal der nächste Trip planen. Drei Räder zum Glück ergeben Wüstenmacher namens High Acid Ritual, Mystery Bong Troll oder Weird With Penis. Gut mit Letzterem müsste man sich dann wohl eher Richtung Porngrind orientieren. Auch ein schönes Tool für Gruppenbefragungen so ein Bandname-Generator – fanden wir jedenfalls und haben das Ding als Rubrik in den Desertfest Stoner-Poll aufgenommen, für den uns einige Bands und Besucher Rede und Antwort standen. Check it:
Mars Red Sky hatten den Generator zwar schon ohne unser Zutun entdeckt, wollen statt Burning Goat Satan aber ohnehin lieber was mit Penis und diskutieren anschließend den Drehbuchentwurf für einen zugehörigen Spielfilm. Sollte das nächste Musikvideo der Franzosen feuerspeiende Ziegengenitalien in trippigen Pilzlandschaften enthalten, wisst ihr, wo es seinen Anfang nahm.
Auf der Bühne sorgt das Trio mit Videoprojektionen und der eigenständigen Songs für Atmosphäre (die leider durch die Basslastigkeit des Sounds im Astra etwas an Intensität verliert). Eine Blockade seiner Hand zwingen Bassist Jimmy Knast und damit auch die Band allerdings zum Konzertabbruch. Schade, gute Besserung!
Wucan profitieren davon, dürfen ihr Set verlängern und ziehen bereits beim Turbo-Soundcheck die Zuschauer auf ihre Seite. Zu verdanken ist das besonders Frontfrau Francis Tobolsky, die nicht nur singt, zwischen Gitarre, Theremin und Querflöte hin und her wuselt, sondern auch mit lässiger Hand das Publikum dirigiert.
Selbiges erledigt sich bei Sleep später von ganz allein. Den ganzen Tag (pardon: eigentlich das gesamte Festival über) besteht kaum ein Zweifel, warum viele anwesend sind. Wenn Matt Pike, Al Cisneros und Jason Roeder die Greenlights anschmeißen, braucht es weder Worte noch Bühnenshow noch sonstige Sperenzchen. Hier gilt schlicht: Riffs, Riffs, Riffs, Mythenpflege und Heiligenverehrung.
Manch einem kippt gar der frisch gedrehte aus dem verzückten Mundwinkel, als "Dragonaut" erklingt. Matt Pike trägt heute sein Lieblingsshirt und präsentiert stolz Rückentattoo, Boxer-Short-Bund und Frontplauze. Al Cisneros lässt seinen Bass über fünf Amps gleichzeitig laufen und befindet sich irgendwo hinter dem Vorhang aus Haaren in einer ganz eigenen Sphäre.
Lowrider stehlen John Garcia die Show
Ähnlichen Kultstatus, wenn auch weniger legendenbehafteten genießt John Garcia, der am Sonntag die Main Stage beschließt. Ganz so andächtig wie bei Sleep am Vortag ist die Stimmung zwar nicht, nicht wenige feiern seinen Auftritt trotzdem frenetisch ab. Wobei man das Gefühl hat, dass die meisten vor allem 'den Mann von Kyuss' dort oben stehen sehen. Entsprechend fallen auch Rufe aus: "‚Space Cadet', please!" Garcia, der gerade eine Slo Burn-Reunion-Show absolvierte, kümmert das wenig und rockt sich durch sein Klassiker-meets-new-stuff-Set.
Allerdings kann seine hervorragende Vocal-Performance nicht darüber hinwegtäuschen, dass es seiner Begleitband bisweilen an Tightness fehlt. Was das angeht, war man am Abschlusstag bei anderen Acts besser aufgehoben: Ur verwandelten das Cassiopeia zu (für Desertfest-Verhältnisse) frühen Stunde in einen Drone-Tempel – schwärzer gings nicht mal mehr bei den Nebelmaschinen-Fetischisten Downfall Of Gaia zu.
Mother Engine vertreten die familiär bedingt abwesenden Stoned Jesus würdig und füllen das Astra problemlos. Den Gipfel der Lässigkeit erreichen dann Lowrider, die die Größe der Hauptbühne spielend leicht handlen und die wohl smootheste Performance des ganzen Drei-Tages-Runs hinlegen. Da reut es gleich noch mehr, dass das vorabendliche Special der Nordmänner im Sleep-Rausch unterging. Apropos Rausch: Vor Garcia wollten Cosmic Dead mit ihrer weirden Jam-Performance gar nicht mehr aufhören und mussten wohl irgendwann gewaltsam von der Bühne gekehrt werden, als wir längst nur noch Augen für die noch leere Garcia-Stage hatten ...
Lange Spiel-, kaum Wartezeiten
Dabei dürfte eigentlich niemand unzufrieden mit den zugestandenen Spielzeiten gewesen sein. Sie sind einer der größten Pluspunkte des Desertfests: Egal wie früh im Billing eine Band steht – eine knappe Stunde ist immer drin. Ebenfalls fanfreundlich: Durch die abwechselnde Bespielbarkeit der jeweils benachbarten Foyer Stage/Main Stage und Cassiopeia/Badehaus fallen quasi keine Wartezeiten zwischen den Acts an.
Auch die Schließung der Main Stage nach jeder Performance zahlt sich aus. Zwar staut es sich dann vor der Foyer Stage ziemlich, sodass der Gang zur Bar zum Abenteuer werden kann. Dafür muss man nicht Stunden vorher anstehen, um eine Chance zu bekommen, den Headliner seiner Wahl aus nächster Nähe zu sehen.
Trotz kleinerer Mängel (etwa die Entscheidung, die im Vorfeld noch angekündigten Fotogräben völlig zu knicken), die vielleicht auch nur den Schreiberling aus der Ruhe brachten, war das Berliner Desertiert 2017 ein voller Erfolg. Nicht zuletzt dank der stonigen Dreifa-L-tigkeit: Line-Up, Leute, Lowrider. Genrefreunde bekamen eine breite Auswahl an Ikonen, Geheimtipps und Überraschungen, Downfall of Gaia und Wolves In The Throne Room lockerten mit Stilbrüchen auf, Sleep zermalmten alles.
Und die dazugehörige Community zeichnet sich durch kumpelhaften Umgang miteinander aus (nicht selten hörte man: "Das ist wie ein Familientreffen"), dem auch viele Bands beiwohnen. Mammoth Mammoth sind am Freitag quasi überall, Saint Vitus-Sänger Scott Reagers mischte sich genauso wie Wucan auf einen Plausch unters Volk. Die trotz viel Sonnenschein fehlenden Wüstentemperaturen machte man so eben durch 'Stoner-Herzenswärme' wieder wett. So lebt man High Life.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Das Lowrider-Special am Samstag während dem Sleep Konzert war ganz und gar kein Akustik Set, wie hier fehlerhaft schon im Vorfeld angekündigt wurde. Es gab die volle Fuzz-Dröhnung im Cassiopeia vor vergleichsweise wenig Publikum, da wohl die meisten beim Sleep-Gig am einschlafen waren.
So ein klasse Gig in so einem intimen Rahmen habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Lowrider rules!
Saint Vitus, endlich! Gott, was habe ich nach diesem Namen gesucht, Danke! Direkt loaden. Vor Ewigkeiten mal live gesehen, war völlig begeistert, dann Hirnschaden und absolute Vergesslichkeit..
born too late:
https://www.youtube.com/watch?v=lpVUMuLLqug
Der John Garcia-Auftritt war schrecklich, es war seine miese Coverband + unmotivierter Sänger. Sein neues Material ist einfach schlecht.
Ja. Bin so froh ihn nochmal mit Garcia plays Kyuss gesehen zu haben vor k.A. 5-6 Jahren, sehr geil - wenn man Kyuss slebst nie gesehen hat.
Ja, leider, auch wenn ich kein Mitspracherecht besitze.
Kann dem Spochtreporter nur zustimmen. Garcia als Headliner war alles andere als ein schöner Abschluss.