Weltuntergang oder Statement für Toleranz? Europa spricht über die bärtige Eurovision-Queen.

Kopenhagen (mab) - Conchita in aller Munde. Einigermaßen verdient gewann sie am vergangenen Samstag den Eurovision Song Contest in Kopenhagen - die Reaktionen folgten natürlich prompt: Während etwa der russische Popguru Filipp Kirkorow Conchita im Staatsfernsehen (!) feiert ("Ob er einen Bart hat oder keinen Bart, ob er Mann ist oder Frau - das ist unwichtig, es ist ein Wettbewerb. Der Song ist sehr schön"), disqualifizieren sich Politiker seiner Nation einmal mehr durch heftig überzogene Statements.

Das Ende Europas?

So konstatierte der Chef der rechtsextremen russischen Partei LDPR, Wladimir Schirinowski: "Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas!" Dann setzte er noch eins drauf: "Vor 50 Jahren hat die sowjetische Armee Österreich besetzt, es freizugeben war ein Fehler, wir hätten dort bleiben sollen. Da unten gibt es keine Frauen und Männer mehr, sondern stattdessen ein Es".

Die deutsche ESC-Jury – bestehend aus Sido, Madeline Juno, Jennifer Weist, Tim Bendzko-Manager Konrad Sommermeyer und Andreas Bourani – sieht sich Kritik ausgesetzt, weil sie Conchita keinen Punkt gab, während die Drag Queen im Telefonvoting auf Platz 1 rangierte. Unsere Experten hatten dagegen einstimmig für Gastgeber Dänemarks "Cliché Love Song" gevotet.

Er, sie oder es?

Die Kritik der Netzgemeinde richtete sich besonders auf die im deutschen Vorentscheid gescheiterte Newcomerin Madeline, die sich im Vorfeld unglücklich über die spätere Siegerin äußerte und sie als "Er-sie-es" bezeichnet hatte. Dass sich Barbara Schöneberger das Artikelspiel ebenfalls nicht verkneifen konnte, interessiert offenbar keinen. Sie hat ja auch nicht abgestimmt.

Jedenfalls entschuldigte sich Juno in einem langen Statement via Facebook und verteidigt die Mittelfeld-Platzierung für Wurst: "Die Menschen denken nun automatisch, man entscheide aus Intoleranz oder Homophobie. Mir gefielen einfach andere Dinge musikalisch besser."

Keine Kichertussi!

Da Conchita Wurst den ersten Sieg für Österreich seit 1966 einfuhr, waren natürlich alle gespannt, was Udo Jürgens zu Tom Neuwirth aka Conchita sagt. Er gewann vor 48 Jahren mit "Merci, Chérie" den Grand-Prix für unsere Nachbarn: "Ich war schockiert, als ich die Frau mit Bart zum ersten Mal sah. Dann habe ich sie in einer Talkshow gesehen, wo sie kluge Antworten gab und sich alles andere als oberflächlich gab. Sie ist anders als andere, aber sehr ernsthaft – überhaupt keine Kichertussi. Das ist ein wichtiges Signal an die Welt! Ich habe gestaunt."

Ganz nebenbei bescherte die österreichische Latina dem deutschen Rundfunk die besten Song Contest-Einschaltquoten seit Lena Meyer-Landrut. Ganze neun Millionen Zuschauer sahen bei dem Pop-Overkill zu. Auch die Gewinnerin von 2010 gratulierte per Facebook: "Herzlichen Glühstrumpf, Conchita Wurst!". Sogar die russische Operndiva Anna Netrebko mag den Bart im Abendkleid ("Brava Conchita!!!"), was bei ihren Fans jedoch nicht nur auf Gegenliebe stieß.

Der Rest der Welt

Die Siegerin selbst will jedenfalls ihre Liebe weiterhin mit der ganzen Welt teilen. "Wir werden uns jetzt sicher nicht ausruhen. Es geht gleich weiter. Ich habe ja noch den Rest der Welt zu beglücken", sagte Conchita. "Wir sind unaufhaltsam!"

Hier könnt ihr euch Conchitas Finalauftritt noch mal ansehen: Für Volksmusik-Rock'n'Roller Andreas Gabalier die "mit Abstand beste Performance" des Abends. "Megamäßig gesungen, ein verdienter Sieg! Ein echter Gänsehaut-Auftritt!" Kein Wunder: Der Sohn von Kinderlied-Imperator Rolf Zuckowski half beim Komponieren.

Die Mädels von Elaiza sind derweil froh, dass sie für Deutschland nicht Letzte geworden sind und freuen sich mit Österreich: "Wir freuen uns sehr! Es ist eine ganze krasse Aussage der Toleranz. Wir freuen uns total, dass Europa wirklich schon so weit ist."

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