Das Indie-Fest Primavera Sound 2016 in Barcelona glänzte erneut mit fettem Line-Up. Checkt unsere Fotogalerie.

Barcelona (mma) - Den Hinweis auf den Magnetismus, den das Primavera Sound Festival seit vielen Jahren auf das internationale Publikum ausübt, erübrigt sich eigentlich. Katalanen, Spanier, Briten, Schweden, Holländer, Amerikaner, Schotten, Deutsche – sie alle strömen auch zur 16. Ausgabe des Indie-Überevents wieder in den Parc del Fórum an Barcelonas wunderschöner Mittelmeerküste und zu den kostenlosen Konzerten überall in der Stadt (hier toll: das junge Folkpop-Duo Oh Pep!).

An dieser ausnehmend schönen Location zwischen Dünen, brutalistischen Betonstrukturen und weitläufigem Strand (in dieser Ausgabe bespielen elektronische Acts erstmals einen weiteren Floor, den Beach Club) ist bei Traumwetter beste Stimmung sowieso garantiert. Das erste Highlight liefern am Eröffnungsdonnerstag die Soul-Postpunker Algiers aus Georgia. Ihr politisch aufgeladener Auftritt zieht schon am späten Nachmittag die Massen vor die große Bühne. Wer anschließend zu den glücklichen Ticketbesitzern für das Suede-Konzert im anliegenden Auditorium des Naturkundemuseums gehört, spart sich das Anstehen in der Riesenschlange, über die die sonstigen Festivalbesucher Zutritt erhalten. Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel liefern anschließend zurück auf dem Gelände eine souveräne Air-Best of-Compilation mit "Playground Love", "Sexy Boy" und "Kelly Watch The Stars" ab, auf dass kein Auge trocken bleibt.

Hingegen bestätigen Destroyer einmal mehr, eine grandiose Album- und eher durchwachsene Liveband zu sein. Auf der großen Ray-Ban-Stage kommt das melancholische Moment der Indielieblinge nur selten richtig rüber. Umso mehr Bewegungsenergie erzeugt dann Rapper Vince Staples auf der Pitchfork-Bühne. Der Amerikaner weiß wohl von der Hip Hop-Begeisterung der Katalanen und fährt mit gefühlten 20 Bühnenkilometern und Publikumskontakt das volle Programm auf. Tame Impala-Sänger Kevin Parker gibt hiernach bekannt, dass er sich schon seit "viel zu langer Zeit" auf den Primavera-Auftritt gefreut hat.

Konfettikanoneninhalt am mediterranen Nachthimmel untermalt das genauso wie der plötzlich starke Marihuananebel vor den versammelten Tausendschaften zu psychedelischen LCD-Projektionen. Apropos LCD: Bei LCD Soundsystem ist der Fotograben leider schon weit vor Konzertbeginn überlaufen. Nur noch VIP-Bändchenträger dürfen nach vorne, was der sonstigen Professionalität der Primavera-Organisatoren aber nur einen leichten Dämpfer versetzt. Den Abend beschließen Thee Oh Sees. Wie schon bei vergangenen Primavera-Gigs machen die Garagerocker mit zwei Drummern und ekstatischer Performance um 2:30 Uhr in der Nacht ziemlich vergessen, wie spät es eigentlich ist, und wie knapp die Energiereserven.

Festival-Freitag: Savages on top

Kann einen schon fertigmachen, dieses Festival. Da sitzt man eben noch gemütlich am Strand des neu eröffneten Beach Club-Floors, da muss die Badehose auch schon wieder trocken genug sein, um nicht das nächste Bandhighlight zu verpassen. Zum Glück liefern die vier Frauen von Savages an diesem zweiten Primavera-Tag einen derart angespitzten Sound, dass sich das mit der trockenen Unterhose quasi von selbst erledigt. Leadsängerin Jehnny Beth hat heute ganz besonders viel Spaß an Agitation und physischem Einsatz. Gleich mehrmals wirft sie sich in die Massen und lässt sich von einem Publikum auf Händen tragen, dass die Arme vor Euphorie sowieso pausenlos oben hat.

Noch vor dem potenziell legendenbildenden Radiohead-Gig spielen Zach Condons Beirut auf. Zum bereits dritten Mal beim Primavera und dadurch beeindruckend souverän ziehen die Amerikaner ihre Balkan-Folk-Nummern runter und stören sich vermutlich wenig daran, dass große Teile der Zuschauer bereits vorzeitig Richtung gegenüberliegende Bühne abwandern, um sich für Thom Yorke und Co. die besten Plätze zu sichern.

Holly Herndon fordert "Free Chelsea Manning"

Für intellektuelleres Synapsengekitzel sorgt später auf der Pitchfork-Stage Elektronica-Avantgardistin Holly Herndon. Mit VJ und langhaarigem Synthie-Supporter (der wie immer live sein 'Gender is over!'-Shirt trägt) fährt Herndon atemberaubende Visuals und überlebensgroße Bässe auf.

Dass politische Inhalte in der (avancierten) Popmusik auch heutzutage absolut Platz haben, zeigt die Tatsache, dass manch einer im Publikum in Reaktion auf die live eingetippten Screenbotschaften à la "Free Chelsea Manning" erst mal nachgoogelt, wer jene denn noch mal genau ist. "Leave Facebook" proklamiert die LCD-Leinwand am Ende noch, dann ziehen wir weiter zu Beach House.

Beach House und Avalanches bejubelt

Das Dream Pop-Duo leistet sich an diesem Abend ebenfalls keine Makel. Vor allem die live gerenderten Kaleidoskopeffekte, die das dunkel-nebelverhangene Bühnenbild augmentieren, verstärken den schlafwandlerischen Effekt der Musik. Ein Weckruf der pophistorischen Art folgt mit dem Comeback-Gig der indielegendären Avalanches. Die Australier sind vielen im Publikum trotz einer nicht nur gefühlten Ewigkeit seit dem letzten Release ganz offensichtlich bis heute ein Begriff.

Der Act führt seine brandneue Single "Frankie Sinatra" aus dem heiß ersehnten kommenden Album auf, heizt der Menge darüber hinaus mit jeder Menge Latino- und Big Beat-Versatz ein und bringt das angrenzende Mittelmeer kurzzeitig mit "Frontier Psychiatrist" zum Beben. Die Nacht endet mit DJ Koze auf der Pitchfork-Stage. Kozallas Track "XTC" ist ab fünf Uhr in der Früh dann auch tatsächlich absolut programmatisch.

100.000 Fans feiern Radiohead

Mal ohne Faxen: Abseits von Avalanches, Air und Co. hatte es doch vor allem EINEN Grund, warum das Primavera Sound auch in diesem Jahr wieder knapp 200.000 Besucher anzog. Quasi synchron zur Ankündigung des überlebensgroßen Überheadliners Radiohead zerbrachen allerorts die Sparschweine all jener, die für den 3-Tage-Pass zwar zu knapp bei Kasse waren, aber sich zumindest das Tagesticket für den Freitag gönnen mussten. Und was soll man sagen? Selbst die höchsten Erwartungen, die mensch seit 20 Jahren an die Klassenstreber des Alternative Rock stellt, wurden nach Einbruch der Dunkelheit noch übertroffen.

Vor einem unfassbaren Menschenmeer treten Thom Yorke und Kollegen um kurz nach 22 Uhr auf die Hauptbühne und entfachen ein 23-teiliges Feuerwerk, das in Sachen Dramaturgie bis auf Weiteres unerreicht bleibt. Nach dem noch eher zurückgenommenen Song-Quintett von "Burn The Witch" bis "Ful Stop" aus dem neuen Album "A Moon Shaped Pool" servieren Radiohead eine Sättigungsbeilage nach der anderen. Es gibt "No Surprises" und "Karma Police" für die 90er-Nostalgiker sowie "Idiotheque", "Everything In Its Right Place" und "Pyramid Song" aus der Bandphase, die das Genre Indietronics entscheidend mitgeprägt hat.

Mit "Street Spirit" verabschieden sich Radiohead aus dem regulären Set. Da haben die dichtgedrängten Massen unterm Sternenhimmel schon lange Kiefersperre. Überwältigendster Moment des Abends ist dann aber nicht das Encore mit "Paranoid Android", sondern die zweite Zugabe. Thom Yorke verschwindet kurz von der Stage, um sich kurz über die verbleibende Bühnenzeit zu informieren, und überrascht anschließend selbst die eigene Crew. Und zwar mit "Creep".

Erst vor wenigen Wochen hatte die Band die Generationshymne überhaupt das erste Mal in über einer Dekade wieder performt. Rund 100.000 Kehlen lassen den Klassiker jetzt im Chor erklingen, übertönen stellenweise den Sänger und machen die Glückseligkeit perfekt. So bleibt es letztlich nur ein kleiner Wermutstropfen, dass auf den Riesen-LCDs stellenweise kein Bild übertragen wird und die Show optisch dadurch für die hinteren Reihen zur vagen Idee verkommt [aufgrund eines ebenso übernatürlichen Ansturms auf den Fotograben während der ersten drei Radiohead-Songs können wir leider keine Fotos der Show abbilden].

Festival-Samstag: Warten auf PJ Harvey

Bevor Hauptattraktion Polly Jean am dritten und letzten Tag die Bühne betritt, erklärt ihr schon ein anderer die Liebe: Deerhunter Bradford Cox, gleichermaßen passend wie schick gekleidet für die erhöhten Temperaturen, betont beim Set, wie sehr er sich auf PJ Harvey freue. Sie und Beach Boy Brian Wilson seien die großen Inspirationen für seine eigene Band gewesen. Deerhunter wiederum definieren ihren Sound als Ambient Punk und liefern am Samstag eine akustisch wie darbieterisch überzeugende Vorstellung ab.

Trotzdem wartet die Mehrzahl der Zuschauer an diesem Abend natürlich auf PJ Harvey selbst. Die Frau also, von der Produzent Steve Albini (der am Vortag mit Shellac vorbeischaute) gesagt hat, sie habe bei der Produktion des Albums "Rid Of Me" nichts als Kartoffeln zu sich genommen. Heute nun bringt die Grande Dame des Alternative Rock ein insgesamt neunköpfiges Ensemble mit. Während Harvey selbst immer wieder zum Saxofon greift, stellt die Band mit gedoppelten Trommeln, Bläsern und Gitarren den angemessen sinfonischen Rahmen. Unterdessen kreiert die Sängerin mit ihren abstrakten Tanzbewegungen und fester Stimme einen einnehmenden Punkblues, bevor sie mit "To Bring You My Love" schließlich auch die alteingesessenen Fans zufriedenstellt.

Bei Sigur Rós herrscht anschließend Fotografieverbot. Manche Kolleginnenlinse im Publikum wird dennoch ganz schön trüb ob des überwältigenden audiovisuellen Bombardements, das die isländischen Postrocker aufzufahren wissen. Gesamtkonzeptionell kaum noch zu überbieten. Die späten Stunden verbringt das Publikum dann entweder bei Garagerocker Ty Seagall und seinen Muggers.

Der Amerikaner reicht das Mikrofon auf der Primavera-Bühne für gleich mehrere Songs an einen Fan weiter, schubst die Fotografenkollegen im Fotograben und wirft mit Obst um sich. Rock'n'Roll halt. Auf der großen Stage drehen derweil die hiesigen Elektronica-Chartstürmer Moderat an den Reglern. Später sieht man die erfolgreichen Priorityboarder müde am Flughafen von Barcelona rumwitzeln. Ganz bescheiden unters Publikum mischt sich hingegen Whitest Boy Alive Erlend Øye. Wie alle anderen steht der Sänger brav an der Taschenkontrolle und erfreut sich an einem kleinen bisschen Anonymität.

Fotos

Primavera 2016 Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona

Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe) Aktuelle Fotos vom Festival in Barcelona, Primavera 2016 | © laut.de (Fotograf: Matthias Manthe)

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