Die großen Plattenfirmen sehen im Kunden nur noch den Räuber. Und gebärden sich wie Raubtier-Kapitalisten.

Düsseldorf (joga) - "Noch viermal singen!". Happy Birthday vor der Gefängnismauer. Noch vier lange Jahre muss der Papa sitzen, denn er ist ein böser Raubkopierer. Und Raubkopierer sind Verbrecher. Die klare Rollenverteilung zwischen Gut und Böse suggeriert ein Werbefilm der großen Medienkonzerne mit drei kleinen, naiven, bemitleidenswerten Kindern an der Hand einer vom Leben gezeichneten Mutter, den fast jeder Kinogänger kennt. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Mit einer Spyware fremde Rechner unerkannt zu infizieren, zu vom Besitzer nicht gewollten Aktionen veranlassen und möglicherweise zu beschädigen, ist kein Kavaliersdelikt. Sondern eine ernste Sache, die den Ruf jeder seriösen Firma ruinieren kann. Doch das Label Sonymusic, das das unerwünschte Programm auf Musik-CDs an ahnungslose Käufer ausgab, denkt nicht etwa an eine Entschuldigung. Die Konzernzentrale beharrt auf ihrem Recht, mit allen Mitteln gegen Raubkopierer vorzugehen, und führt die Politik der Kriminalisierung der eigenen Kunden fort.

Auch eine Woche nach der zufälligen Entdeckung des spionierenden Kopierschutzes, der nicht nur Rechner beschädigen kann und Missbrauch durch Hacker begünstigt, sondern auch regelmäßig Nutzerdaten an das Label sendet, verweigert Sonymusic jede Auskunft über die Anzahl der betroffenen CDs und Interpreten. Statt dessen bietet man einen Uninstaller an, der nach Medienberichten seinerseits sehr unzuverlässig funktioniert. Den Schaden hat außer den Kunden die einzige bisher bekannte betroffene Band und die gesamte Branche. Die Bewertungen des 'kopiergeschützten' Van Zant-Albums "Get Right With The Man" bei Amazon sacken ins Bodenlose, und Emimusic sah sich bereits genötigt, sich vom Verhalten des Major-Konkurrenten zu distanzieren und zu erklären, dass man derartige Software selbst nicht verwende.

Dabei ist es ja nicht so, dass die Labels keine Schuld an der Beliebtheit von Filesharing und Raubkopiererei trügen. Seit bald zehn Jahren bleiben sie nicht nur ein schlüssiges Download-Konzept schuldig. Mit ihrer völlig realitätsfernen Preispolitik machen sie auch jedem unabhängigen Anbieter vernünftiges Wirtschaften unmöglich. Selbst Apple, der Shootingstar unter den Download-Shops, verdient sein Geld nicht mit Songs, sondern mit dem Abspielgerät dafür.

Doch zu Selbstkritik scheinen die Branchenriesen nicht fähig. Lieber investieren die großen Konzerne ihre ganze Energie in den angeblich so bedrohten Schutz ihres Eigentums. Zu diesem Zweck entwerfen sie fragwürdige Kopierschutz-Systeme, lancieren Kampagnen wie "Copy Kills Music", schicken ihre Künstler zu Aufklärungszwecken auf Schulhöfe, schalten Webseiten wie www.hartabergerecht.de und betreiben massive Lobby-Arbeit. Mit Erfolg, wie das Einknicken des Gesetzgebers vor den Forderungen der Industrie beweist: Seit der letzten Reform des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) ist sogar das Recht auf die Privatkopie stark eingeschränkt, das bisher auch deshalb als sakrosankt galt, weil der Staat nicht in jeden einzelnen Haushalt spähen wollte. Das übernehmen nun die Labels gleich selbst, mit Spionage-Software wie der von Sonymusic, oder indem sie Provider auf die Zuordnung von IP-Adressen verklagen.

Wie willkürlich die Labels bei ihrem Feldzug vorgehen und wie wenig Mühe sie sich geben, zwischen echten Straftätern, Trittbrettfahrern und naiven Musikliebhabern zu unterscheiden, zeigen allein schon die nackten Zahlen. Seit September 2003 hat die Labelvereinigung RIAA nach einem Bericht des Tonspion gegen mehr als 14.800 Tauschbörsennutzer wegen Urheberrechtsverletzung Klage eingereicht. Von den Beklagten wurde bislang noch niemand verurteilt, nur ein knappes Drittel soll einem außergerichtlichen Vergleich zugestimmt haben. Die Zahl der Musikfans, die sich juristisch erfolgreich zur Wehr setzen, steigt dagegen ständig.

Die in den USA gängigen Verfahren mit drastischen Strafandrohungen gegen willkürlich ausgewählte Filesharer sind in Europa noch Einzelfälle. Sie mögen eine abschreckende Wirkung erzielen. Doch sie zeigen die Verkäufer der Musik als unbarmherzige Verfolger des eigenen Vorteils, die es nicht schert, wenn sie eine Spur des Elends hinterlassen. Oder wahlweise, im aktuellen Fall, der illegalen Beschädigung fremden Eigentums. Ohne jedes Zeichen von Reue. Sicher, Geld regiert die Welt. Aber bettelt die Ware Musik mit ihrer einenden Kraft nicht geradezu darum, mit einem Lächeln verkauft zu werden? Anstatt mit gefletschten Zähnen?

Französische Musiker gingen gegen diese Labelpolitik auf die Straße, wie es eben in unserem Nachbarland so üblich ist. Die italienische Bürgerrechtsorganisation ALCEI hat bereits eine Klage gegen Sonymusic wegen der Verbreitung eines Virus angekündigt, und auch amerikanische Bürger werden sich wohl bald vor Gericht gegen immer neue Label-Zumutungen wehren. Kein Wunder also, wenn sich die Krise bei den großen Plattenfirmen ständig weiter verschärft, während viele kleine mit immer größerem Erfolg stabile Interessen- und sogar Fan-Gemeinschaften um sich scharen. Die Marktanteile der kleinen Labels wachsen stetig, und wenn alle Beteiligten so weiter machen, gibt es bald nur noch kleine.

Kommt, Kinder, wir singen jetzt dem bösen, alten Labelonkel ein Lied. Der muss nämlich bald sterben. Hoffentlich kommt der Papa vorher noch raus, damit er das erleben kann.

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Manu Chao

Manu Chao,  | © LAUT AG (Fotograf: ) Manu Chao,  | © LAUT AG (Fotograf: ) Manu Chao,  | © LAUT AG (Fotograf: ) Manu Chao,  | © LAUT AG (Fotograf: ) Manu Chao,  | © LAUT AG (Fotograf: )

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