Sun Diegos Biografie steckt voller Action, Drama und Comedy. Erstaunlich, was für ein sterbenslangweiliges Buch sich daraus machen lässt.

Osnabrück (dani) - "Wie ich neulich einen unerwarteten Bestseller schrieb", durfte Dennis Sand, der Hauptautor von "Yellow Bar Mitzvah", unlängst bei seiner Heimat-Postille Die Welt über sein eigenes Werk plauschen. Um in seinem Sprachmodus zu bleiben, müsste dieser Artikel heißen: "Wie ich neulich ein erstaunlich langweiliges Buch las". "Yellow Bar Mitzvah: Die sieben Pforten vom Moloch zum Ruhm" (von Sun Diego und Dennis Sand, riva Verlag, 224 Seiten, gebunden, 19,99 Euro) steckt voller Action, Theatralik und Comedy. Eigentlich. Daraus eine derart dröge, absehbare, oberflächliche Veranstaltung zu machen: ein echtes Kunststück.

"Yellow Bar Mitzvah" mag vieles sein. Das, als das es der Leser verkauft bekommt, ist es ganz sicher nicht. Es handelt sich zunächst einmal nicht um die "Autobiografie" von Dimitri Chpakov, der als Rapper wahlweise unter dem Namen Sun Diego oder, im Schwammkostüm, als SpongeBozz operiert. Dafür hätte dieser seine Lebensgeschichte - die Bedeutung des lateinischen Präfix' "auto-" bitte nachschlagen - selbst verfassen müssen. Hat er aber nicht, was "Yellow Bar Mitzvah" bestenfalls zu seiner Biografie macht.

Kumpelfilzchen

Chpakov ließ viel mehr schreiben. Seinen Haus- und Hofjournalisten Dennis Sand, nämlich. Der ist, wie er inzwischen gerne erwähnt, ganz tief im Thema drin: "Dima und ich kennen uns seit sieben Jahren, und über diese Zeit hatte sich zwischen uns eine enge Freundschaft entwickelt." Schön, freut mich für beide. Noch schöner hätte ich das gefunden, wenn Sand diese Offenheit schon an den Tag gelegt hätte, als er, ebenfalls für die Welt, seinem Busenkumpel die Jubelarie "Warum Sun Diego der beste Rapper ist, den Deutschland derzeit hat" auf den kostümierten Leib schrieb. Dann hätte das vielleicht nicht ganz so sehr nach Kumpelfilz gestunken. Aber, gut. Besser spät als nie.

Anders als bei einer Beurteilung von Skills nach angeblich "objektiven Kriterien", schadet es beim Verfassen einer Biografie nun wenig bis gar nicht, einigermaßen dicke mit dem Gegenstand seiner Berichterstattung zu sein. Im Gegenteil: Als Freund erfährt man vermutlich Details, die nicht jeder dahergelaufene Gegenüber aufs Brot geschmiert bekommt. Mit einem Freund teile ich Gedanken und Gefühle. Gerade auch solche, die vielleicht nicht ins Bild passen, das die Öffentlichkeit von mir haben soll. Ein Freund blickt tiefer, aus einer anderen Perspektive. Ein Freund kann ein wesentlich facettenreicheres Porträt von jemandem zeichnen als sonst irgendjemand. So er es denn kann.

"Yellow Bar Mitzvah" lässt nun zwei Schlüsse zu: Entweder ist es mit der Freundschaft so furchtbar weit nicht her, oder Sand kanns halt einfach nicht. Chpakovs Geschichte, ob wahr, gut zurechtgelegt oder komplett zusammenphantasiert, hat im Grunde alles, das großen Romanstoff ausmacht: eine Familiengeschichte mit Krieg und Vertreibung. Eine nicht gerade rosige Kindheit. Opfer und Täter. Dummheit, Drogen, Drama ... geradezu verblüffend, wie sich aus so vielen Actionfilm-Bauklötzchen ein derart lahmer Plot stricken lässt.

Der Erzähler betont ständig die eigene intellektuelle Überlegenheit, ein IQ-Test ergab angeblich einen Wert von 131. Nun, dumm ist immer noch der, der Dummes tut: Albernes Heranwachsendengebaren, eine geschmissene Schullaufbahn, diverse kriminelle Machenschaften, die entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen, eine ungewollte frühe Vaterschaft und eine Situation nach der anderen, in der er sich ausnutzen lässt, weil er ein ach so guter Freund ist, deuten nicht gerade überdeutlich auf die hellste Kerze auf der Torte hin.

Unnormal schwul, das

Gleiches gilt für die Sprache: Für jemanden, der sein Geld mit Worten verdient, wirkt schon ganz schön armselig, dass als einzige Steigerungsform "unnormal" und zum Beleidigen neben "behindert" im Grunde ausschließlich verschiedene Variationsformen von "schwul" dienen, hin und wieder höchstens noch eine "Fotze". Keine Ahnung, ob Sun Diego wirklich so redet oder ob es das ist, was Dennis Sand für Szene-typische Sprache hält: es wirkt äußerst platt.

Noch platter: die kindische Verballhornung von Namen. Durchgehend "Kollegahmade" statt Selfmade zu schreiben und deren Labelchef Omerbegovic "Geldgier" statt Elvir zu nennen: beinahe so originell, wie seine Lehrerin mit einem nassen Schwamm zu bewerfen.

Die Auswahl der Fotos übrigens, die das Buch etwas aufhübschen sollen, erscheint ausgesprochen langweilig, passt somit perfekt zum Rest. Der erste Bilderseiten-Block birgt eine Handvoll antike Aufnahmen plus etliche mehr oder weniger verwackelte Schnappschüsse aus dem Familienalbum, wie sie jeder zu Hause hat. Gefolgt von mehreren Seiten mit Shots von Videodrehs. Öde, aber immer noch interessanter als Bilderseiten-Block zwei: Der zeigt auf zwölf Doppelseiten nichts weiter als abfotografierte Gerichtsunterlagen, Vorladungen und ähnlichen Kram. Soll wohl die Authentizität der Geschichte belegen. So flach, wie die erzählt wird, ist mir aber halt bloß scheißegal, ob sie stimmt oder nicht. Die Story, die ein amtliches Schreiben spannender macht, muss aber wohl erst noch geschrieben werden.

So reden und denken Kinder?

Der Exkurs in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, in denen des Protagonisten Urahninnen vor den heranrückenden Wehrmachtssoldaten flohen, liest sich, wie für ein Referat für den Geschichtsunterricht zusammenrecherchiert. Dimitri Chpakovs eigene Geschichte beginnt, als er etwa drei Jahre alt ist. Die Erzählung scheitert völlig daran, sich auch nur ein bisschen in die Gedanken- und Gefühlswelt eines Kindes zu versetzen. "Am meisten Angst machten mir seine Augen. Sie waren komplett leer." "Ich war mir selbst nicht ganz sicher, ob ich die erste Woche Deutschland überleben würde." Als Fremde in die Wohnung eindringen und die Mutter bedrohen: "Ich hatte keinen Nerv, sie jetzt mit den komischen Typen alleine zu lassen, aber ich verstand auch, dass es der falsche Zeitpunkt war, irgendwie rumzudiskutieren." So reden und denken Kindergartenkinder? Hoffentlich nicht!

Willkommen im Neandertal

Noch viel trauriger finde ich, welche Akzeptanz und ehrfürchtige Bewunderung sich doch eigentlich erwachsene Männer für kriminelles Gebaren und brutale Selbstjustiz bewahrt haben. Nicht nur Betrug, Einbruch, Erpressung, Diebstahl und Drogenhandel stellt "Yellow Bar Mitzvah" als völlig akzeptable Verhaltensweisen dar. Seitenlang schwelgt das Buch gegen Ende noch in Bewunderung für Salah Saado, wohl eine eindrucksvolle Gestalt in der Türsteherszene, mit offenbar noch eindrucksvollerer Großfamilie hinter sich. Einen Hauch von Zweifel an seinen Aufräum-Methoden ("Die Security-Jungs lagen alle am Boden. Sie krümmten sich vor Schmerzen. Einige bluteten. Einer hatte noch ein Messer im Bein stecken. Der Typ, der gegenüber Salah und Akay die dickste Fresse hatte, wurde mit sechs Stichen im Krankenhaus eingeliefert. Mehrere im Hals.") hätte ich schon irgendwie angebracht gefunden. Aber, nö. Respekt verschafft man sich mit Gewalt. Willkommen im Neandertal.

Die Mär beginnt und endet mit einer Razzia der Steuerfahndung, die durch Chpakovs Wohnung tobt, angereichert um eine (wie sich herausstellen soll: wiederkehrende) Traumgestalt, die der ansonsten komplett absehbaren Story vermutlich ein mystisches Element mitgeben soll. Ein unbekannter Zweimetermann im Pelzmantel, so, so. Echt? Ein drogeninduziertes Hirngespinst? Das personifizierte Judentum, das verzweifelt Eingang in die Geschichte verlangt? Könnte mir egaler kaum sein.

Ganze zwei Seiten "jüdische Identität"

Womit wir bei der zweiten Sache angelangt wären, die "Yellow Bar Mitzvah" nicht ist: "Besonders auffällig war, welches Thema aus dem Buch die Kollegen besonders interessierte", schreibt Sand selbst. "Nicht die Mafiastorys. Nicht die Geschichten über arabisch-libanesische Großfamilien. Nicht Rapmusik. Es war die jüdische Identität von Chpakov." Kann ich kaum glauben. Falls doch, sollten besagte Kollegen schnell fertig geworden sein: Um irgendjemandes "jüdische Identität" dreht sich dieses Buch nämlich nicht die Bohne. Dass Chpakov Jude ist, kommt zehn Seiten vor Schluss auf zwei Seiten zur Sprache. Wie man damit "einen Juden als Identifikationsfigur" etablieren und "ein selbstbewusstes Statement (zu) setzen" will, bleibt das Geheimnis der Autoren.

Ich, ich, ich!

Der Klappentext behauptet, "Yellow Bar Mitzvah" handle unter anderem von der "Liebe zur Musik". Auch hier gilt: Wenn dem so sein sollte, fehlen dem Gespann Chpakov/Sand offenbar die Mittel, um diese Liebe zu transportieren, auch nur irgendwie nachempfindbar zu machen. Viel deutlicher als ein Faible für die Sache an sich tritt ein geradezu grotesk übersteigertes Selbstverständnis zutage. "Dieser Diss lebte nur von meinen Skills. Deswegen hat er auch historischen Wert." "Ich habe Autotune nach Deutschland gebracht." "Ich habe die Internet-Battle-Kultur durchgespielt."

Ich, ich, ich. Schon komisch, dass diese Verdienste um den deutschen Rap offensichtlich so wenige Stellen (an)erkennen, dass Dennis Sand die Lobhudelei auf dem Umschlag auch noch selber schreiben musste: "Sun Diego ist der beste Rapper, den Deutschland derzeit hat", zitieren sie da, was wie unabhängige Kritik aussehen soll. Stammt aber wieder aus der Welt, aus einem Artikel von ... na, so ein Zufall! Von Dennis Sand.

Weiterlesen

laut.de-Porträt SpongeBozz

"HÄHÄÄ!" Ja, bitte? "Ich fick' Karrieren, ficke jeden, auch wenn ich mit dem Rücken zum Business stehe." Mit einem ziemlich breiten Rücken. In Gelb.

11 Kommentare mit 8 Antworten