laut.de-Kritik

Die Verrenkung stand der Eleganz nicht im Weg.

Review von

Niconé, der Berliner Hans Dampf in allen Gassen, erlitt im letzten Sommer eine Verletzung bei einem, im wahrsten Sinne des Wortes, Auftritt in Köln. Diagnose: Luxation, "ein vollständiger oder unvollständiger (Subluxation) Kontaktverlust gelenkbildender Knochenenden". Zwar kein Beinbruch, aber in der Konsequenz noch viel beschissener.

Mit geschientem Fuß drei Monate ruhig sitzen und liegen: für einen Workaholic und Jetsetter wie Niconé wahrlich ein hartes Brot. Er hat es aber zum Glück in Wodka getunkt, sich seinem Schicksal gestellt und alle Energien in ein Albumprojekt gesteckt. Dass er dem Werk dann auch noch den zugegebenermaßen schicken Titel seiner Pein verpasst, zeugt von einer angenehmen Portion Selbstironie.

Die Jungs um Dirty Doering boten eine passende Labelstruktur für das erste Albumrelease auf Katermukke überhaupt. Irgendwie auch logisch, da sich die Wege von Niconé und den Katermukkern schon seit Bar25-Zeiten bei gemeinsamen Gigs oder Remixen füreinander ständig gekreuzt hatten.

Das ihm entgegengebrachte Vertrauen belohnt Niconé mit elf elegant zart-bitteren Stücken. "Real Me" mit Aquarius Heaven lässt einen die Luxation sogleich ob seines fetten Basses und der hypnotischen Delay-Vocals vergessen, was bei "Dawner" nur noch geiler wird. Knallharter Deep Goa oder so, konterkariert mit supertighten Drums und 80er-Jahre-inspirierten Lead Sounds. Geht richtig ab. Das Arrangement setzt auf einen langsamen, druckvollen Aufbau, der die Ekstase immer noch weiter treibt.

Den Pakt mit dem Schicksal und die Hingabe zum Album hört man definitiv heraus. Die gezwungenermaßen eingegangene Symbiose mit Stuhl, Bett und Couch verpasst "Luxation" ein rundes Finish. Das Ergebnis ist ein richtiges Künstleralbum, viel mehr als eine behelfsmäßig zu einem Album geschnürte reine Ansammlung von Singles, wie es in der elektronischen Musikwelt so viele gibt.

Dass Niconé der Dresdner Techno-Szene entstammt und dort auch Residencies in Läden wie der legendären Showboxx seines Kumpels Gunjah innehatte, wird bei Nummern wie "Gamma77" deutlich. Viva la Technobude! Natürlich funktioniert der Track aber auch in Berlin, wo sein Urheber schon seit langem lebt, und sonstwo.

Hierbei kommt ein weiteres Talent Niconés zum Tragen: die Vereinbarung von harter Tanzmusik und melodiösen, poppigen Elementen. Man munkelt ja, er habe auch schon Erfahrung im Pop-Electro-Bereich gesammelt, die hat mit diesem Projekt aber so gut wie gar nichts zu tun. Tracks wie "Cause I Want You" reichen über die pure Funktionalität eines Techno-Stücks hinaus und bieten dem Hörer und Tänzer Lieder mit Ohrwurmcharakter.

Von tontechnischer Seite gibts ebenfalls nix zu meckern. Die Tracks sind super produziert, bieten Tiefe und funktionieren im Club, aber auch auf dem Handy-Soundsystem am Privatstrand. Mit Sascha Bremer arbeitet Niconé schon länger zusammen, ihr gemeinsamer Track "Camille" entpuppt sich als ein weiteres Schmankerl. Das könnte sich nahtlos in die Riege von Hits wie "Caje" einreihen und funktioniert sicherlich auf Open Air-Festivals sehr gut.

So sehr sich die drei luxatischen Monate für den Menschen Niconé als Qual dargestellt haben mögen, so sehr haben sie auch seine künstlerische Weiterentwicklung befruchtet und dieses klasse Album hervorgebracht.

Trackliste

  1. 1. Real Me feat. Aquarius Heaven
  2. 2. Dawner
  3. 3. Still Young feat. ABBY
  4. 4. Gamma 77
  5. 5. Cause I Want U
  6. 6. In Other Words
  7. 7. Kill the Groove feat. MLND
  8. 8. Like How
  9. 9. Imagine feat. Danroeschen
  10. 10. Luxation
  11. 11. Camille feat. Sascha Braemer

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