laut.de-Kritik
Großstadtpoesie zwischen Pop und Kammermusik.
Review von Martin LeuteNiels Frevert ist ein Großstadtpoet, der ganz beiläufig Baukräne, halbleere Waschmaschinen oder beschlagene Brillengläser als ausdrucksstarke Metaphern für emotionale Befindlichkeiten in den Raum wirft. Ein melancholischer Sinnsucher, der seine Reflektionen über die menschlichen Stimmungen aus schlichten Alltagsbetrachtungen filtert.
Im Gegensatz zu seiner Nationalgalerie-Zeit und seinen beiden Soloalben handelt es sich bei "Du kannst Mich An Der Ecke Rauslassen" um ein akustisches Werk mit eher leisen Tönen, die aber weit davon entfernt sind, der Schwermut zu verfallen. Die Streicherarrangements vom Easy Listening-Altmeister Anthony Ventura fügen sich dabei wunderbar in dieses behagliche Ambiente aus Gitarre, Bass, Drums und Keyboard.
Der Opener "Baukran" wird getragen von der gezupften Akustikgitarre, und es ist äußert sympathisch, wenn Niels' warmer Gesang in der Zeile "Und an der Stelle, wo die Sonne eben war, bleibt ein Punkt, ein heller, ein türkisfarbener" an die Klangfarbe des eines Udo Lindenbergs erinnert.
Der Titeltrack spiegelt charmant die Ambivalenz des eigenen Gefühlshaushalts wieder; das im Original von Hildegard Knef stammende "Ich möchte Mich Gern Von Mir Trennen" kommt als beschwingte Jazznummer daher.
Mit der "Der Typ, Der Nie Übt" reflektiert er zur geschlagenen Akustischen, Bass und Schlagzeug sein Dasein als Musiker. "Mit einem blassen Schimmer/ die Frage ist wie immer/ wie es weiter geht/mit dem gewagten Plan/ und der leisen Ahnung/ worum es eigentlich geht", singt er und verweist wie in allen Songs auf die Unbestimmtheit des Lebens, ohne eine Antwort zu anzubieten. Aber immer mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ein hübsches Synthesizer-Arrangement trägt "S.O.S.", das den Liedermacher als gewitzten Zweifler am Wort und der sprachlichen Aussagekraft offenbart. Das wunderbare "Niendorfer Gehege" beschreibt die Eigenart und Zärtlichkeit des Gefühls, einen Freund nach langer Zeit wiederzusehen.
Und wenn er charmant die Hookline von "I Was Made For Loving You" summt, scheint er sich nostalgisch und ehrlich an den einstigen gemeinsamen Tanz auf diese Lied zu erinnern. Selten klang die Artikulation des Fremdseins und der Sehnsucht nach Geborgenheit sanfter als in "Aufgewacht auf Sand", das Niels Frevert nur zur Akustischen intoniert und damit das Album abschließt.
Gewohnt starkes Songwriting, wunderbare Melodien und feinsinnige Arrangements mit kammermusikalischem Flair. Und immer ein Hauch von Wehmut. Was will man mehr?
Blumfeld gibt es nicht mehr, also verdient der Hamburger neben anderen deutschsprachigen Künstlern wie Tom Liwa, Ben Kaan, Tilman Rossmy oder der Paul Dimmer Band unsere ganze Aufmerksamkeit.
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