laut.de-Kritik

Therapeutische Klänge für den bevorstehenden Shoppingkampf.

Review von

Wer hätte gedacht, dass ein Weihnachtsalbum nicht nervig sein muss, sondern auch tatsächlich richtig schön sein kann? Inmitten all dieser Glitzer-Kitsch-Alben einer Kelly Clarkson oder eines Roland Kaisers sticht Norah Jones' gemütliche Jazz-Version definitiv heraus. "I Dream Of Christmas" ist eine wunderbare Mischung aus Weihnachtsoriginalen von Jones und Covern verschiedener mehr oder weniger bekannter Weihnachts-Klassiker. Statt eines Nervenleidens stellt sich dabei eine wohlige Wärme ein.

Das könnte daran liegen, dass Jones sich wohl ihre eigene Erfahrung mit Weihnachtsmusik zum Vorbild genommen hat. Denn wie den meisten Menschen auch machte ihr die Pandemie-Situation im vergangenen Jahr sehr zu schaffen. Trost fand sie dabei in ihrem sonntäglichen Ritual, James Browns "Funky Christmas" sowie Elvis' "Christmas Album" zu hören. "Im Januar 2021 kam mir die Idee, ein eigenes Weihnachtsalbum zu machen. Das verschaffte mir eine spaßige Beschäftigung, auf die ich mich freuen konnte", so Jones im Pressetext zu "I Dream Of Christmas".

Ihre Originale stehen im Zeichen von spaßigen, leichtverdaulichen Songs, die die Hoffnung auf eine Zeit voller Freude und Zusammenhalt in den Mittelpunkt stellen: "I wanna hear the music play / I wanna dance and laugh and sway / I wanna happy holiday for Christmas" heißt es im Opener "Christmas Calling (Jolly Jones)". Die einzige Singleauskopplung gehört mit seicht trabenden Drums, lieblichen Klaviermelodien und eingängigem Refrain zu den poppigeren Tracks auf der Liste. Trotzdem strahlt er eine wohlige Gemütlichkeit aus, die ganz ohne überkandidelten Kitsch auskommt.

"Christmas Glow" reiht sich in diese Kamin-Atmosphäre ein und sprüht förmlich über vor freudiger Erwartung: "I want that dizzy little smile / Wanna roll around in the snow [...] / It's time we found some fun". Glücklicherweise serviert sie dazu keine pompösen Klangbilder, sondern eine filigrane Klavierstimme und leise flirrende Percussion. Alles andere würde in Kombination mit den Lyrics auch zu überladen wirken.

"Christmastime" zeigt sich von seiner souligen Seite, was maßgeblich an den Backing Vocals liegt. Durch die glockenklare Intonation bringen sie den Song erst so richtig zum Schwingen. Dabei glänzt Jones aber nicht nur mit ihrem Gesang, sondern auch mit ihrem Können an den Tasten. Hin und wieder blitzen anspruchsvolle Arpeggios durch, die nicht sauberer sein könnten; ebenso die Läufe in der Cover-Version von "White Christmas", die sie einfach mal aus der Hüfte schießt, als wäre nichts dabei.

Neben "White Christmas" hüllt Jones noch weitere olle Kamellen in neue Gewänder: "Blue Christmas" hört sich plötzlich an wie eine ruhige Jazz-Impro; "Winter Wonderland" bekommt durch das durchgängige Pizzicato einen sehr feinen Anstrich. "Run Rudolph Run" nimmt sie den Wind komplett aus den Segeln und macht daraus eine entspannte Bar-Nummer. Ihr süffisantes Chipmunk-Cover "Christmas Don't Be Late" kombiniert kristallklare Pianoeinwürfe mit einem feierlich-quäkendem Blechbläserchor.

Jones' samtige Soulstimme kommt dabei besonders an Stellen mit weiten Sprüngen zur Geltung, da sie dabei nicht nur ihre einwandfreie Technik demonstriert, sondern auch Zartgefühl und Intensivität einfließen lässt ("We can hardly stand the wait / Please, Christmas, don't be late"). Von schnarchigen Covern ist hier nichts zu spüren. Daher heißt's nun: Kopfhörer rein, tief durchatmen und auf ins Einkaufsgetümmel.

Trackliste

  1. 1. Christmas Calling (Jolly Jones)
  2. 2. Christmas Don't Be Late
  3. 3. Christmas Glow
  4. 4. White Christmas
  5. 5. Christmastime
  6. 6. Blue Christmas
  7. 7. It's Only Christmas Once A Year
  8. 8. You're Not Alone
  9. 9. Winter Wonderland
  10. 10. A Holiday With You
  11. 11. Run Rudolph Run
  12. 12. Christmas Time Is Here
  13. 13. What Are You Doing New Year's Eve?

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