laut.de-Kritik
Olivia Chaney und die Decemberists schaffen ein Folk-Juwel.
Review von Yannik GölzAusgerechnet durch einen Tweet kamen zwei Parteien durchaus unterschiedlicher Herkunft zusammen: The Decemberists, eine seit 2000 in der Szene verankerte Indie-Band aus Portland begegnen Olivia Chaney, einer Britin, die gerade erst 2015 mit ihrem Solodebut "The Longest River" begann, sich einen größeren Namen in der internationalen Folk-Gemeinschaft aufzubauen. Dennoch schien die Synergie von Anfang an zu stimmen, so dass das kollaborative Synonym Offa Rex entstanden ist: Das gemeinschaftliche Projekt soll dem Neofolk zuzuordnen sein, allerdings durch psychedelische Anleihen die Handschriften der beiden Seiten homogenisieren. Durchaus ein Wagnis für die beiden Acts also, das jedoch auch einiges an kreativem Potential mit sich bringt.
Das Ergebnis beeindruckt: Über elf Titel spinnt Offa Rex ein Aufgebot traditionell klingender Songs, das experimentierfreudig genug anmutet, um über die Spieldauer immer wieder überraschende und erfrischende Momente zu bieten und dennoch ein kohärentes, fast cineastisches Hörerlebnis darstellt. Dies kommt allen voran durch das hervorragende Zusammenspiel der Protagonisten zustande, das allerdings vielleicht doch weniger überraschen sollte, als man es zunächst vermutet.
Nicht zuletzt titelten The Decemberists im Jahre 2009 ein ganzes Album "The Hazards of Love", ein Zitat der legendären Folk-Sängerin Anne Briggs, die zum Ende der Sechziger ihre eigene Debut-EP unter diesem Namen veröffentlichte. Anne Briggs inspirierte aber nicht nur die Band, auch Olivia Chaney wurde immer wieder der ikonische Einfluss Briggs nachgesagt. Mehr noch: In Kreisen der Neofolk-Szene gilt Chaney zeitweise sogar als die Anne Briggs ihrer Generation. Eine Inkarnation der eigenen Muse als Sängerin für ein komplettes Projekt zu gewinnen? Das klingt nach genügend Anreiz für ein ausgereiftes Album – und genau das wird dem Hörer mit "Queen of Hearts" geboten.
Es wird schnell spürbar, dass alle Beteiligten absolute Könner in Sachen Songwriting und Komposition sind, denn über die Dauer der Platte zeigen sich zahlreiche Facetten ausgefeilter Instrumentierungen und Melodiestrukturen, stets von handwerklich begnadeten Händen ausgeführt. Auch wenn gerade die zurückhaltenderen Balladen im Mittelteil ihre längeren Passagen mit sich bringen, machen viele spannende Momente dies mehr als wett: Die fantastisch ausproduzierten Gitarrenläufe, die sich durch "Blackleg Miner" ziehen, der Tempowechsel auf "Constant Billy" und der überraschend rockig anmutende Einstieg in "Sheepcrook and Black Dog" bleiben im Gedächtnis und machen im Lauf von "Queen of Hearts" immer wieder Spaß. Gleichzeitig überzeugt die zurückhaltende, traditionell einsteigende Dramaturgie des Albums besonders dann, wenn sie gegen Ende des Projekts zunehmend experimentierfreudiger und vielfältiger ausfällt. So fühlt sich der Schlusstrack "To Make You Stay" fast wie ein vollständiger Indie-Titel an, während "Constant Billy" irgendwo zwischen Pagan und irischem Volkslied anzusiedeln wäre.
Insgesamt stellt "The Queen of Hearts" von Offa Rex eine erfrischende Darbietung von traditionellem Stil zwischen England, Irland und Schottland dar. Das Album fühlt sich unangestrengt gemütlich an, lässt sich Zeit, eine natürliche Atmosphäre zu entfalten und zeigt viel Liebe zum Detail für Komposition und Songwriting. Insbesondere die Akzentuierung von Chaneys eindrucksvollem Gesang durch die vereinzelten Vocals von Decemberists-Frontmann Colin Meloy sorgt für eine Kombination, die so schnell nicht langweilig wird.
Noch keine Kommentare