laut.de-Kritik
Taron Egerton auf Augenhöhe mit Elton John.
Review von Ulf KubankeNachdem Dexter Fletcher bereits mit dem Queen-Biopic "Bohemian Rhapsody" ins Schwarze traf, rollt sein "Rocketman" nun den roten Teppich für Elton John aus. Fletcher, den Filmfreunde seit gut 20 Jahren auch als "Soap" in Guy Ritchies "Bube, Dame, König, Gras" kennen, stellte eine gelungene Besetzung zusammen, in der Taron Egerton die Titelrolle übernahm. Doch nicht nur das: Für den Film samt vorliegendem Soundtrack nahm man kurzerhand etliche Klassiker des Meisters neu auf und überließ dem Hauptdarsteller das Mikro.
Bei Fans der Originale führt solch ein Konzept in der Regel bestenfalls zu Skepsis und schlimmstenfalls zu vehementer Ablehnung. Freilich wäre nichts furchtbarer als halbgare Interpretationen ebenso ambitionierter wie überforderter Filmsternchen. Bislang gab es lediglich zwei rühmliche Ausnahmen: Val Kilmer, der als Jim Morrison in "The Doors" brillierte sowie Matt Damon, der als talentierter Mr. Ripley eine lupenreine Chet Baker-Imitation hinlegte. Kann Egerton an derlei Glanztaten anknüpfen?
Und wie! Wohltuend balanciert Egerton auf einer feinen Trennlinie zwischen Verkörperung und eigener Identität. Seine Darstellung geht einerseits bis hin zu Elton-John-esker Betonung einzelner Worte und Silben, obwohl er nicht über Sir Eltons maskuline Kraft im Timbre verfügt, die trotz aller Queerness zu seinem Markenzeichen gehört. Doch an genau diesem Punkt macht Egerton alles richtig, verlässt den Pfad absoluter Nachahmung und gönnt sich das notwendige Quentchen eigene Deutung. Besonders anschaulich gelingen ihm solche Akzente in balladesken Tracks wie "Your Song" ("Elton John", 1970) oder "Tiny Dancer" vom grandiosen 1971er Frühwerk "Madman Across The Water".
"Crocodile Rock" ("Don't Shoot Me ...", 1972) lebt seit beinahe fünf Dekaden vom Gegenpol Muppet-Show-artiger "Laaaa-Lalalala-Laaaa"-Chöre. Der 1976 mit Kiki Dee eingesungene Welthit "Don't Go Breaking My Heart (Interlude)" funktioniert als Neuinterpretation auch dank Rachel Muldoon, die im Film Dee darstellt. Die Stehaufmännchen-Hymne "I'm Still Standing" ("Too Low For Zero", 1983) reinkarniert 2019 als opulente Semiballade.
Desweiteren setzt die Zusammenstellung erfreulicherweise auf Juwelen aus der zweiten Reihe, die auch jenen Hörern gefallen sollten, die stets mehr von Johns Singer/Songwriter-Seite fasziniert waren. Als Anspieltipp dient hier der wundervolle "Border Song" ("Elton John", 1970); ein Lied über Einsamkeit und Entfremdung, das zeigt, welch großartiger Texter sein Musikgatte Bernie Taupin bereits als 20-Jähriger war.
Für den brandneuen Exklusivtrack "(I'm Gonna) Love Me Again" taucht der Geehrte dann höchstpersönlich für ein Cameo-Duett auf. Leider ist die Nummer der einzige totale Reinfall im Gefüge. Willig, die niederste aller musikalischen Unterhaltungsformen - das Musical - zu bedienen, erstarren diese vier überflüssigen Minuten zum plakativen Gay-Disco-Klischee, dessen zweitklassige Melodie Eltons wichtige Rolle als emanzipatorische LGBT-Ikone zur Persiflage verkitscht.
Und dann gibt es da noch dieses eine Lied, dessen emotionale Kraft bis in alle Ewigkeit den künstlerischen Höhepunkt im Katalog von John/Taupin bildet: "Sorry seems to be the hardest word". Es stammt vom großartigen 1976er Doppelalbum "Blue Moves", das aufgrund seines melancholischen, ungewohnt dunklen Grundtons seinerzeit sträflich unterschätzt wurde. Der mitreißenden Urfassung können Egerton samt Team zwar keine Sekunde lang das Wasser reichen. Umso cleverer, wie der Schauspieler hier einen theaterhaften Monolog anlegt, der zwischen Piano und Streichern alles andere als ineffektiv wirkt. Schlussendlich erweist sich dieser Soundtrack somit als perfekter Appetitanreger, um in Elton Johns umfangreiches Gesamtwerk einzutauchen oder es wieder zu entdecken.
8 Kommentare mit 20 Antworten
Diese Biopics nerven nur noch. Elton John ist natürlich trotzdem ein toller Künstler.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Kann mit Biopics auch überhaupt nichts anfangen. Einzige Ausnahme wäre da "Control", der sehr intim ist und sich nicht nur damit begnügt, schnell die wichtigsten Karrierestationen abzuklappern und billiges Mythenfutter in Hochglanz zu liefern. Und "Amadeus", der natürlich vor der großen Welle war, und allein schon dadurch die elenden Populärlegenden meidet, daß er in einer völlig anderen Ära spielt.
ich liebe "Mythenfutter in Hochglanz"; eine art marvelkino für musikfans
Sehr richtig Ulf. Guter Vergleich mit Marvel. Ich freu mich auf den Film wie ein kleines Kind.
Amadeu ist aber kein Biopic, sondern weitgehed fiktiv.
Whiplash fällt mir noch ein bei weitgehend fiktiv. Geiler Film trotzdem und der Sound ist über jeden!
@Der Schwinger: Fiktiv sind sie doch alle.
Ich werfe mal noch Gundermann in die Runde, ebenfalls tolle Neuvertonungen.
Im zweiten Absatz fehlt "Walk The Line". Und der Streifen mit Jamie Foxx als Ray Charles war zwar bissl lahm, aber musikalisch konnte man dem Mann da nichts vorwerfen.
ja, gute ergänzung. danke
Das mit Chet Baker hab ich überhaupt nicht verstanden, ehrlich gesagt!
https://de.wikipedia.org/wiki/Liberace_%E2… passt auch. Leider keinen Verleih gehabt.
"Das mit Chet Baker hab ich überhaupt nicht verstanden, ehrlich gesagt!"
damon spielt den tom ripley von patricia highsmith. das war ende der 50er schon mal delon (nicht ganz so gut), zwischendurch dennis hopper und die malko-witch (beide top!) und daneben damon.
innerhalb des films unterstreicht damon den gefäßartigen charakter ripleys und bringt einen chet baker-song, in dem er bakers gesangsstimme so täuschend echt intoniert, dass man gänsehaut bekommt.
hier: https://www.youtube.com/watch?v=PSeN7fgJZyY
Aufgrund einer sehr guten Kurzgeschichte von, dem sehr lesenswerten, thom Jones aus dessen Sammlung "ruhender Faustkämpfer" habe ich einen Narren an rocketman gefressen
Danke für den Tipp, habe mir den Band besorgt und bin begeistert.
warum steht hier als künstler elton john und nicht taron egerton
Aus dem selben Grund, warum hier Stroh liegt!
@Gleep, was meint die Pfeife eigentlich? Verzweifelt nach dem Koks umschauend!
ah sie habens geändert in original soundtrack ihr schwulis
Der Film macht vieles richtig. Folgt zwar recht treu der typischen Musikfilm-Formel (schönes Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=K3q3LEaK7_U), aber alles in allem solide umgesetzt. Und es macht definitiv Spaß, Taron Egerton zuzusehen.
"Seine Darstellung geht einerseits bis hin zu Elton-John-esker Betonung einzelner Worte und Silben, obwohl er nicht über Sir Eltons maskuline Kraft im Timbre verfügt, die trotz aller Queerness zu seinem Markenzeichen gehört."
Als würde Queerness Maskulinität ausschließen. Mehr kann man nicht verdeutlichen, dass man als Autor von dem Thema keine Ahnung hat. Typische Cis-Mann-Kritik.
Du hast bestimmt vor Wut geweint, oder?
"Typische Cis-Mann-Kritik."
Du trollst doch.