laut.de-Kritik

Irrer Junkie-Trip durch die Pop- und Technowelt der 90er.

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An Underworld kam 1995 kein alkoholisierter Clubgänger vorbei. "Born Slippy" war zu der Zeit die Hit-Single überhaupt und machte das Elektronik-Duo nicht nur in England zum Top-Act der Electro-Dance-Szene. Der Song geht auch heute noch durch Mark und Leber. Vor allem die einsetzende Bass-Drum. Die pumpenden Beats versetzen einen in Hypnose. Das Herz wabert im Rausch der Ekstase - auch ohne Drogenkonsum ein akustischer Super-Trip.

Doch vor allem steht "Born Slippy" für die elendige Abhängigkeit. Abhängig von Drogen, Alkohol, Party und Sex. Underworld-Frontmann Karl Hyde kennt den Abgrund der Sucht. Und dieses Ausgeliefertsein ist auch Thema des Kultfilms "Trainspotting" von 1996. "Born Slippy" spiegelt vor allem die letzte Szene des Films wider. Das rasante Finale, in dem Hauptdarsteller Ewan McGregor (Renton), der immer wieder von den Drogen wegkommen will, sich mit einer Menge Kohle verpisst, ohne seinen Junkie-Kumpels Bescheid zu geben. Und wie dann ein sehr wütender und randalierender Psycho-Alki namens Begbie (Robert Carlyle) das Hotelzimmer auseinander nimmt. Natürlich wird es ein Nachspiel geben (ab Februar 2017 in der Fortsetzung "T2 Trainspotting").

Aber fangen wir doch von vorne an. Danny Boyle ("Slumdog Millionär") verfilmte den gleichnamigen Roman "Trainspotting" (1993) von Irvine Welsh. Ein dreckiges, bedrückendes Drama um eine Junkie-Clique in Edinburgh. Der Roman ist noch um ein Vielfaches beklemmender und abstoßender. Die Jugendlichen hängen nur rum, motzen, pöbeln, stinken und liegen in ihrer eigenen Kotze und Pisse, während der Film den Konsum von Drogen verherrlicht und vor allem Heroin als Partydroge feiert. So oder so, Story und Songs begleiten eine ganze Generation und gelten auch heute noch als besonders wertvoll.

Der Soundtrack vereint die größten Hits und Künstler der 70er, 80er und 90er. Blur, Pulp, Elastica und Primal Scream vertreten den Britpop-Charme, während Underworld und Leftfield für die Techno-Sause sorgen. Lou Reed und Iggy Pop prägen und begeistern mit ihrer Punk-Attitüde noch heute weltweit ihre Fans.

Nicht umsonst wurde das Album 1997 als "Bester Soundtrack" mit dem renommierten Brit Award ausgezeichnet. Man könnte bei der Aufstellung der Musiker und Musikerinnen fast meinen, dass eine langjährige Drogenkarriere oder zumindest ein intensiver Kontakt mit Kokain, Hasch und sonstigen Aufputschmitteln zur Casting-Bedingung gehörte. Aber wir möchten hier mal niemandem etwas unterstellen.

Anders zu sein als die anderen, ein Leben außerhalb der verhassten britischen Gesellschaft leben, ohne Job, ohne Verantwortung und ohne vorgesetzte Regeln. Iggy Pop gilt seit den 70ern besonders in England als Punk-Hero. "Lust For Life" (1977) ist ein Glam-Rock-Klassiker, der für das Lebensgefühl Sex, Drugs'n'Rock'n'Roll steht. Von Freiheit träumt auch "Trainspotting"-Protagonist Renton ("Choose life, choose a job, choose a career, choose a family, choose a fucking big televison ..."), der immer wieder versucht, von seiner Heroinsucht loszukommen, um ein normales Leben zu führen.

Unabhängig von der Gesellschaft, aber abhängig von den Drogen - davon kann auch Lou Reed ein Lied singen. Vor allem die experimentellen Avantgarde-Kompositionen seiner 60er Jahre-Band The Velvet Underground beeinflussen noch heute zahlreiche Bands. Das schwermütige "Perfect Day" erschien ursprünglich 1972 auf Lou Reeds Soloalbum "Transformer". Produziert von Mick Ronson und David Bowie.

Der Song beschreibt den perfekten Tag im Leben eines Heroinabhängigen, oder ist es eher die romantische Sichtweise eines schwer verliebten Mannes? Reeds Text und die melancholische Klavierbegleitung in Moll passt sich auf jeden Fall ideal der Szene im Film an. Wieder gelingt es Renton nicht, mit dem Heroin aufzuhören. Ein Schuss in die Ader und er erlebt einen düsteren Horror-Trip, dabei versinkt er im eigenen Grab und überlebt mit viel Glück die Überdosis. "Just a perfect day / You made me forget myself / I thought I was someone else, someone good."

Um aus der dunklen Lethargie auch mal rauszukommen sind die Pop und New Wave-Stücke auf dem Soundtrack eine erholsame Abwechslung. "Temptation" von New Order begeistert mit dem monotonen Synthie-Sound bereits 1982 ganz England. Da lagen so manche Indies noch als Quark im Schaufenster, aber bei Erscheinen von "Trainspotting" tanzt man längst wie in Trance auf die Club-Revolution aus Manchester. Im Film singt Rentons Freundin Diane (Kelly McDonald) mit kindlicher Stimme einige Zeilen daraus, als er schmerzerfüllt mit Krämpfen im Bett durch die Hölle geht. Seine Eltern sperren ihn in seinem Zimmer ein und der Entzug wird zum fleischgewordenen Alptraum. "You've got grey eyes, and I've never seen anyone quite like you before."

Auf dem Soundtrack vereinen sich auch die Kings & Queens des Britpop. Blur-Sänger Damon Albarn war ja von 1991 bis 1998 mit Justine Frischmann liiert. Musikalisch unabhängig war die Frontfrau schon länger, denn mit ihrer Band Elastica veröffentlichte sie viele Gitarrenbretter, die den Britpop-Sound ihres Freundes oftmals übertönten. Sie ist mehr Punk - und er mehr Pop. Unaufdringliche Stimme und rumpelnder Sound. Demnach passt der Song "2:1" hervorragend in die abwechslungsreiche Tracklist. Aber auch Albarn bringt das gewisse hypnotische Etwas mit: "Sing" vom Blur-Debüt ist der psychedelische Trip durch die versifften Pubs Schottlands.

Zeitgleich stolpert Jarvis Cocker mit seiner ungelenken Körper-Klaus-Haltung durchs Land und bringt eine smarte und tiefgehende Pop-Disco an den Start. "Mile End" ist ein Stadtteil in London. Aber vor allem ist dieser Pulp-Song ein wichtiger Beitrag zur Popkultur. Spätestens seit 1994 gehören Jarvis und Band zur englischen Königsklasse und lassen Oasis und andere Pub-Prolls weit hinter sich. Zu Jarvis muss man Sie sagen. Er verpackt Gedanken, Liebe und Erlebtes in famose Zeilen, die einen bis in die Ewigkeit begleiten ("I want to sleep with common people like you").

Kein Wunder also, dass auch das glockenverspielte "Mile End" auf dem Kult-Sampler Platz findet. Inhaltlich geht es um eine Gruppe von Leuten, die ein 15-stöckiges Haus besetzen. Und achtet man auf den Text, findet man sich in so manchen stinkenden Orten wieder, die auch Teil der "Trainspotting"-Handlung sind. "And now we're living in the sky / I never thought I'd live so high / Just like heaven / If it didn't look like hell / The lift is always full of piss / The fifth-floor landing smells of fish ..."

Die Stimmung des Films lebt nicht nur von seinen großartigen Darstellern, sondern vor allem auch von seiner musikalischen Begleitung. Punk meets New Wave meets Pop meets Techno. Britpop war in aller Munde und die Electro-Dance-Szene explodierte. Ein großes Glück für Underworld, Leftfield, aber auch ältere Semester wie Lou und Iggy, die plötzlich wieder eine neue Fangeneration erreichten. Während zahlreiche andere Soundtracks wie zum Bespiel "Pulp Fiction" oder "The Commitments" im untersten Regal verstauben, steht "Trainspotting" stets griffbereit ganz oben.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Lust For Life
  2. 2. Deep Blue Day
  3. 3. Trainspotting
  4. 4. Atomic
  5. 5. Temptation
  6. 6. Nightclubbing
  7. 7. Sing
  8. 8. Perfect Day
  9. 9. Mile End
  10. 10. For What You Dream Of
  11. 11. 2:1
  12. 12. A Final Hit
  13. 13. Born Slippy
  14. 14. Closet Romantic

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7 Kommentare mit 31 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Leicht überbewertet. Die Technosounds von "Born Slippy" sind hoffnungslos veraltet und die eigenartige Mischung des Soundtracks hat das Potential zu nerven. 3/5

  • Vor 7 Jahren

    ich hatte vor einiger zeit eine sehr surreale "Korrenspondenz" mit einer 17 jährigen (jhg99) und selbst ernannten "sapiosexuellen" bzgl welsh und co, die mir erzählte, man müsse das unbedingt im original gelesen haben und sonst irgendwas...
    Irgendwie hat sich mir der charme von trainspotting nie erschlossen. vllt ist es der mir angeborene abwehrreflex gegen alles, was gehyped wird. Ich fand allerdings Klebstoff ziemlich geil. Und drecksau. porno auch.
    sollte irgendwann der hype bzgl trainspotting nachlassen... werde ich es noch mal versuchen

    • Vor 7 Jahren

      Da war es wenigstens nie so schlimm wie beim furchtbaren 'Fear and Loathing in Las Vegas'.

      Du magst doch Dreck. 'Trainspotting' ist sicher nicht in einer Liga mit 'Hogg', aber wenn du z.B. Selby magst. Einfach dran denken, dass kaum jemand, der 'Trainspotting' damals so gehypet hat und es heute vielleicht auch noch tut, Heroin jemals probieren wuerde. Oder generell auch nicht polytoxikomanisch veranlagt ist.

    • Vor 7 Jahren

      Mich würde ja eher interessieren, ob sie dich ob ihrer Sapiosexualität anziehend oder doch eher als abstoßend empfand.
      Wahrscheinlich so ein Captn Obvious Moment, aber habe bei solchen Geschöpfen stets das Gefühl, dass sie einfach gerne über Literatur und so eine Scheiße reden, mit Intelligenz hat diese Intellektualität nur entfernt zu tun. Aber klingt natürlich besser. :lol:

    • Vor 7 Jahren

      Bin da bei dir, mundi. Gerade, da ich mich zu denjenigen zähle, die (tatsächliche) Intelligenz auch wirklich sehr attraktiv und anziehend bewerten, beim Austausch mit selbsternannten "Sapiosexuellen" aber auch selten umhin komme anzumerken, dass die/der Betreffende Intelligenz mit Belesenheit (die dann oftmals auch noch auf ein spezifisches Interessensfeld begrenzt ist) verwechselt.

      "Echte" Sapiosexuelle können jemanden wie torque (völlig unabhängig seiner äußeren Erscheinung) eigentlich nur attraktiv, mindestens aber faszinierend finden bei dem, was so zwischen seinen Zeilen häufiger mitschwingt. Such a beautiful trainwreck which he got himself for a mind there... :D

    • Vor 7 Jahren

      Sapiosexuell :lol:
      ein weiser Mann sang dereinst:
      "I can't have sex with your personality.
      And I can't put my penis in your college degree."

    • Vor 7 Jahren

      Für spontanen, (relativ) anonymen Sex oder auch "keine Beziehung" als Beziehungsmodell mag das nicht so eine große Rolle spielen, aber längerfristig mit nem Hohlbrot Bett und Leben teilen will dann verständlicherweise auch wieder kaum jemand.

    • Vor 7 Jahren

      Stimmt natürlich, aber der Term "Sapiosexuell" indiziert ja, das Intellekt allein sexuelle Erregung auslösen würde. Wage ich zu bezweifeln. Und wenn es das doch gäbe, könnte man eine Einstufung als Paraphilie in Erwähnung ziehen. Glaube aber eher, dass das nur ein weiterer Versuch der Aufmerksamkeitserhaschung minderjähriger Weiber mit schlechter Vaterbindung und Internetanschluss ist.

    • Vor 7 Jahren

      Nichts gegen schlechte Vaterbindung!

      Daddy issues ♥

    • Vor 7 Jahren

      Schon nervig, dass einige Menschen den Begriff sapiosexuell mit derselben Trennschärfe wie hetero- und homosexuell verwenden.

      Dass mundi ganz auf daddy issues setzt war ja wieder klar. Ich hab Analytikerinnen und TP'ler in meinem Bekanntenkreis die behaupten, ohne Bindungs-, Anpassungs-, Persönlichkeits- und/oder affektiver Störung käme man gar nicht erst in den Club BDSM.

      Aber was wissen die schon, verdammte kindheits- und sexualitätsfixierte Spaßbremsen! :)

    • Vor 7 Jahren

      Haha, so ganz ernst meine ich das natürlich nicht. Und das ist auch keine Masche von mir oder sowas, ich verstelle mich nur ungerne in solchen Angelegenheiten.
      Aber ich kann faktisch nicht abstreiten, dass mir viele angenehme Dinge passiert sind, alleine im letzten Jahr, aufgrund der (zumindest nannten die Betroffenen es so) daddy issues anderer Menschen. Und dass ich wohl zu guten Teilen in deren daddy Schema passe, ist mir inzwischen natürlich bewusst.

      Bloß, wie gesagt, ich spiele lediglich in dem Rahmen damit, der sich für mich natürlich anfühlt und den ich ohnehin selbst auch als angenehm empfinde.

      Allerdings hatte das auch (fast) immer deutliche Kehrseiten, u.a. die massiven Bindungsprobleme eben jener Personen. Und Depressive ziehe ich wohl sowieso an, das hatten wir hier glaube ich schon kurz angesprochen.

      Von demher wäre es mir am liebsten, alle hätten ihre issues bereits überwunden, denn es geht mir nicht darum, das auszubeuten. Dann ließe sich eine gesunde Bindung aufbauen und die Neigung geht ja damit nicht komplett verloren, d.h. ein bisschen DD/LG (musste ich jetzt aus Provogründen so bezeichnen, ich sehe mich da natürlich NICHT zugehörig :D) on the side ließe sich weiterhin ausleben.

    • Vor 7 Jahren

      Schalten sie auch nächste Woche wieder ein für eine neue Folge...

      TRIGGERED!

      :D

    • Vor 7 Jahren

      Ich lasse mich eben ungerne als einseitiger Schuft darstellen. :kiss:

    • Vor 7 Jahren

      Und, Spaß beiseite: Dafür halte ich dich nicht und habe dich nie gehalten, auch abseits der Tatsache, dass mich die asuna-Nummer in der härtesten Phase meines RL traf :kiss:

    • Vor 7 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 7 Jahren

      war asuna wirklich mundi? ich dachte das wäre manback gewesen :/

  • Vor 7 Jahren

    also, meinetwegen gute filmmusik. Und das zu einem sehr guten film! aber doch wohl kein meilenstein, wohl eher ein clickbait des gehobenen interesses bzgl ts2 wegen. mehr als 4/5 is da sicher nicht drin... dann müsst ihr jetzt aber auch wenn der nächste tarantino kommt den soundtrack von django (pulp fiction hat whsl schon einen) auch zum meilenstein machen ;)