laut.de-Kritik

Der Nu Metal ist tot, lang lebe der Nu Metal!

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Wenn sich Liebhaber eines bestimmten Genres die verehrten Musiker heimlich anhören müssen, kann es sich nur um Volksmusik, Schlager oder Nu Metal handeln. Gerade bei letzterem, dem Prügelknaben schlechthin: was haben sich selbsternannte und gelernte Journalisten in den vergangenen 15 Jahren darüber ausgekotzt, auf dieses Subgenre des Metals eingeschossen und den Untergang des Hardriff-Landes herbei prophezeit. Die Fans schweben trotz alledem immer noch in nostalgischen Sphären, wenn sie an ihre Jugendhelden denken.

Korn, Linkin Park, Limp Bizkit, oder Rage Against The Machine entfernten sich entweder weit von ihren Wurzeln oder wurden mit miesen Bewertungen wieder in ihre DJ-Hip Hop-Crossover-Höhlen gejagt. Ein Schicksal, dem auch die Miterfinder des Nu Metal ausgeliefert waren: P.O.D. (Payable On Death)

Nach vier (eher belächelten) Alben präsentieren P.O.D. "The Awakening", sprengen damit ihre Ketten und spucken den Kritikern zwischen die Augen. "Am I Awake" beginnt mit einer Kollage aus Polizeisirenen, Hallelujah-Rufen und einer Aneinanderreihung von Ansprachen, bevor schwere Gitarren das Album eröffnen; Sänger Sonny setzt nahtlos an und die erste Ganzkörper-Gänsehaut erfasst den Hörer. "Am I awake or is this just a dream?" Eine der Fragen, die auf dem Album behandelt und mit viel Fingerspitzengefühl aufbereitet werden.

P.O.D. wissen genau, wie sie wo und wann genau eine Hook einsetzen, die Strukturen eines Songs komponieren und dies mit Sonnys Stimme unterlegen können. Ein Refrain, der sich noch Tage danach im Ohr befindet und dort ums Verrecken keinen Platz mehr für andere Melodien machen will. Der wahrscheinlich beste Song der Kalifornier seit "Youth Of The Nation" und eines der Highlights des Albums. Die verwirrende Bridge aus düsteren Gitarrenwänden, erneut apokalyptischen Sirenen und dem Stimmengewirr versetzt den Hörer in die Lage des Protagonisten. 'Träume ich, oder wache ich?' Man begleitet den verwirrten Helden auf seiner paranoiden Odyssee.

"This Goes Out To You" hat sich anschließend durch die vergangenen 15 Jahre dahinsiechenden Nu Metals gekämpft und ist eine ernsthafte Verbeugung vor dem Genre an sich. P.O.D. wie sie zu ihren besten Zeiten waren, inklusive suchterzeugendem Refrain und einem gut aufgelegten 'Reggae'esken' Sonny. Elegant wird das Tempo kurzzeitig herausgenommen und mündet in einen auf technisch und strukturell aller höchstem Niveau vorgetragenem Ende. Ein mysteriöser Anrufer füttert daraufhin die bis dahin noch zarte Paranoia des Haupthelden und bringt "Rise Of The NWO" zu Wege.

Im dritten Track sind die Nu Metal-Wurzeln nicht mehr zu überhören. Es wirkt, als hätten sie ihren Sound direkt aus dem beginnenden dritten Jahrtausend herüber gerettet. Der Reggae steht Sonny wieder besonders gut, die Gitarren sind dreckig und schwenken im Laufe des Tracks in eine psychodelische Stoner-Rock-Richtung. Die Bass ist ultratief gestimmt, die Texte düster wie ein von Bäumen gesäumter Sumpf in der Nacht. Einer der härtesten Songs der Scheibe.

Die Suche geht weiter, in Form von "Criminal Conversations" - eine Ballade à la P.O.D., die erneut einen Refrain zum Niederknien beinhaltet und, wie das restliche Album, zu keinem einzigen Moment langweilt. Störten die Gesprächsfetzen zwischen den Alben im ersten Augenblick, packen sie spätestens hier und ziehen den Hörer mit hinein in die Abwärtsspirale des Protagonisten. Verzweifelt sucht dieser - der möglicherweise eingebildeten Angst entkommend - Beistand in einem Gotteshaus.

Die religiösen Hintergründe der Bandmitglieder sind spätestens hier überdeutlich und ziehen sich wie ein roter Faden durch die P.O.D.-Geschichte. Doch kontrastieren sie die allgemeine Meinung über ihre religiösen Bezüge in diesem weiteren Zwischenspiel; wutentbrannt und der absoluten Verzweiflung nahe, brüllt er seine Ängste heraus: "Somebody's Trying To Kill Me". "Somebody is trying to kill me! Or is this all in my mind? Somebody's trying to kill me. I hope I get out alive" Die ausgewachsene Paranoia überträgt sich auf den Hörer. "I don't want to die!" Wieder und immer wieder.

"Get Down" könnte dann mit seiner potenten Bass auch der Feder Korns entsprungen sein. Wieder einmal streuen sie jedoch Stoner-Rock-Passagen ein und lockern damit den ungewohnt schweren Sound auf. Sonny hält mit seiner klaren Stimme die Strukturen im Griff und erzeugt einen hypnotisierenden Sog.

Zwischenspiel: Der Hauptheld bricht im Wahn in ein Auto ein und läutet das Drei-Akkord-Lied "Speed Demon" ein. Im Vollspeed über den Asphalt, der den Puls zum Rasen und den Kopf zum Nicken zwingt. Ein Crash und die anschließende Verhaftung markieren das Ende dieses euphorisierenden Hochgeschwindigkeits-Ritts und führen nach der anschließenden Entlassung durch ein Meer aus verworrenen Gedankengängen. Das experimentelle "Want It All" ist von Jazz-Elementen durchzogen und man sieht förmlich vor Augen, wie der niedergeschmetterte 'Held' desillusioniert durch verregnete Straßen wandelt; einem Film-Noir angelehnten Bild im Kopf, mit vorüberziehenden Neon-Leuchtreklamen und Pub-Schildern und der ständigen Frage nach der eigenen Stellung in dieser Welt.

Der wahre Höhepunkt von "The Awakening" findet sich kurz vor Schluss, wenn P.O.D. die "Revolución" ausrufen. Langsam schwillt der Sound an, die allgegenwärtigen Siren heulen und Durchhalteparolen werden gebrüllt. Ausnahmezustand. "Sick Of It All"-Shouter Lou Koller heizt die siedende Atmosphäre weiter ein. Der Track berstet in astreinem Hardcore-Punk-Geballer. Sonny hat sich den Chorus gesichert und arbeitet sich in jamaikanischer Gemütlichkeit durch ihn hindurch. Harter Schnitt. Es wird dem Reggae gefrönt, bevor Lou wieder den Rausschmeißer gibt und sich in feinster Hardcore-Tradition im 2-Step-Tempo verabschiedet. "Revolución" ist nicht weniger als das perfekte Konglomerat aus amerikanischen East-Side-Hardcore, Reggea und Nu Metal, das mit harten Brüchen schmeichelt und einen Scheiß auf Konventionen gibt. Alles richtig gemacht.

Der titelgebende Track "The Awakening" ist dann im Mid-Tempo angelegt und bildet einen harmonischen Abschluss. Die Geschichte des Protagonisten indes nimmt eine überraschende Wendung. "My eyes are open so I cant't deny." Woher die Paranoia kam oder der sprichwörtliche Teufel, der ihn in fester Hand hatte, spielt keine Rolle mehr. Ein wahrer Augen- und Ohrenöffner. Vielleicht keine Revolution, aber mit Sicherheit eine wichtige Platte für die Zukunft dieses gebeutelten Genres.

Trackliste

  1. 1. Am I Awake
  2. 2. This Goes Out To You
  3. 3. Rise Of NWO
  4. 4. Criminal Conversations
  5. 5. Somebody's Trying To Kill Me
  6. 6. Get Down
  7. 7. Speed Demon
  8. 8. Want It All
  9. 9. Revolución
  10. 10. The Awekening

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