laut.de-Kritik

Für Fans von John Legend, Jill Scott, Stevie Wonder.

Review von

Stevie Wonder, Chronixx, Nas, Jill Scott, JoJo und DeBarge ("Rhythm Of The Night") sind grundsätzlich gute Referenzen, um ein Soul-Album mit diversen Facetten und Ausbuchtungen des Genres anzugehen. Alle vertreten auf "Watch The Sun". Ihren Gastgeber PJ Morton kennt jeder, dem "Payphone" von Maroon 5 vertraut ist, er ist seit 2012 deren Keyboarder (sie haben zwei), Ko-Komponist, inzwischen Producer. PJ ist auch Rapsodys "Eve"-Fans geläufig.

Mit "Watch The Sun" liegt nun sein elftes Solo-Album vor. Bei Morton steht das P für Paul, das J für 'junior'. Der Musiker legt allerfeinsten funky Soft-Soul zwischen Neo (siehe Jill Scott) und Motown (siehe DeBarge, Stevie Wonder) vor, mit der Gospel-Soul-Ballade "Lil' Too Heavy" als Höhepunkt.

Der Sohn eines Predigers wuchs selbstverständlich mit Kirchenmusik auf, die er bis heute praktiziert. Auf diesem Album am Rande, wohl aber wenn er in "The Better Benediction" zusammen mit fünf anderen Gospel-Kehlen "God's plan" enthüllt, was durchaus unterhaltsam klingt. Morton kommt aus New Orleans, wie Grammy-Abräumer Jon Batiste, auf dessen Gewinner-Platte er ein Feature hatte ("Boy Hood").

"Immer wenn ich denke, dass ich damit durch bin (...) kann ich einfach nicht genug von deiner Liebe bekommen ... ein Fall von Liebes-Krankheit, Doktor, können Sie mir dagegen etwas verschreiben?, heißt es im Opener, der somit auch textlich ganz klassisch das Feld des Neo-Soul beackert. Während dabei maschinelle Bass-Drums regieren, konfrontiert PJ die Tanz-Vibes spürenden Hörer*innen im nächsten Stück mit übertrieben einzuckernden Streichern und lauem Tastengeklimper - sein "Biggest Mistake" auf diesem Album. Zur Ehrenrettung PJ Mortons sei gesagt, dass der Protagonist hier sogar einen inneren Monolog raunt, der wie Beichte und tiefe Reflexion klingt, ein Stilmittel, das tief in der Musikgeschichte bei The Chi-Lites wurzelt ("I write another letter / to myself").

Die Tracks gehen ineinander über, mit Mixtape-Charakter und nach dem "Biggest Mistake" dem zweitgrößten Fehler: Die voneinander getrennten Stücke enden abrupt in abgeschnittenen Takten. Es fehlt also immer etwas. Dafür bräuchte es in Musikkritiken mal einen Frequently Made-Mistakes-Fehlercode. Ich nenne ihn Fehler 909, "Toningenieur hat den taktkonformen Cue-Punkt beim Track-Wechsel nicht gefunden". Und "Watch The Sun" erscheint erst mal nur digital als mp3, als Import-CD und erst ein halbes Jahr später im Herbst als gelbes Vinyl.

Abgesehen davon und vom überamerikanisierten Pathos kann man alles weitere genießen. "Watch The Sun" verlangt nicht viel vom Soul-Publikum. Mit Leichtigkeit integriert der Marooner die New Orleans-typischen Posaunensätze.

Kollabos mit dem jamaikanischen Reggae-Star Chronixx machten zuletzt Alicia Keys und Sa-Roc, womit der Mann mit dem charmanten Zahnpasta-Lächeln im R'n'B und Conscious Boombap angekommen ist. Auch in New Orleans-Soul fügt er sich nun bestens ein. Das Sportartikel-Werbe-Model hat selbst schon sehr gekonnt Stevie als Semi-Cover moduliert (""Pastime Paradise" in "Ghetto Paradise"), deswegen liegt der Jump direkt zum Altmeister nahe: Die Stevie Wonder-Nummer "Be Like Water", in der die Geigen-Samples passen und Nas einen äußerst kurzen Auftritt hat, klingt in erster Linie wie Wonder - genau dessen gängige Rhythmik, Stevie-typische Harmonien. Nas unterscheidet "imagination" und "fake", und mehr Zeit als für Worte widmet man den Bläsern im Instrumental-Outro (bis es dem Digital-Schnitt zum Opfer fällt).

Am Feature mit Jill Scott und Alex(andra) Isley (Tochter eines Isley Brothers) sind schon mal die Frauenstimmen und das Musikbett klasse. Der Song hat einiges zu bieten: Am Anfang die Frage "What I want? Oh. You're asking me what I want? Wow. What I want... Is to like, to love you again" Durch die Abwechslung der Stimmen, die dann am Ende miteinander verschmelzen, kommt etwas Hörspiel-Feeling auf.

Im Übrigen gilt idealtypisches Hollywood-Kino hier als Maßstab der Romantik, denn wenn im echten Leben jemand gefragt wird, "Was möchtest du?", kommt nicht selten die gereizte Gegenfrage "Was möchtest DU denn?"; da malt der Song eher märchenhaft die romantische Kulisse aus. Unter Zuhilfenahme von Violinen und Saxophonen stellt PJ dar, dass das Liebespaar große Fehler gemacht habe und er immer noch an die Liebe glaube. Dann nimmt der Song eine kathartische Wendung, auch die weibliche Seite erkennt, oh ja, wir haben große Fehler gemacht, aber man sollte es noch mal versuchen, "I still believe in us / I still believe in love" stimmen sie dann beide ein. Wirkt wie kleben geblieben auf John Legends-Schmachtspur, unterhält aber gut.

Trennung ist auch das Thema in "On My Way feat. El Debarge", wo man dank der übelst aufdringlichen Basstrommel und dem seit Boyz II Men aus der Mode gekommenen atemlos-heiseren Wechselgesang der beiden Herrenstimmen so fett wie nur möglich das Etikett "80er/frühe 90er" aufklebt. Die Register der sanften und bisweilen kitschigen Töne muss man mögen, um auf Dauer mit "Watch The Sun" klar zu kommen. Die Melodien gehen indes schnell ins Ohr, und man erlebt ein gesangstechnisch recht ausgereiftes Album, das im Detail an mancher Stelle organischer klingen könnte, aber als Alltags-Mixtape relativ hohen Nutzwert hat.

Manchmal entdeckt man perfekte Alben, die dann im Regal oder auf der Festplatte verstauben. Hier ist es ein bei weitem nicht perfektes, das sich aber in Teilen (wie dem hymnischen "Lil' Too Heavy" und dem fluffigen "My Peace feat. Jojo & Mr. Talkbox" angenehm für den Dauergebrauch eignet.

Trackliste

  1. 1. Love's Disease (Just Can't Get Enough)
  2. 2. Biggest Mistake
  3. 3. Please Don't Walk Away
  4. 4. Watch The Sun feat. Chronixx
  5. 5. My Peace feat. Jojo & Mr. Talkbox
  6. 6. Be Like Water feat. Stevie Wonder + Nas
  7. 7. So Lonely feat. Wale
  8. 8. Still Believe feat. Jill Scott + Alex Isley
  9. 9. Lil' Too Heavy
  10. 10. On My Way feat. El Debarge
  11. 11. The Better Benediction ft. 'Musiqcity' Walls u.v.a.

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