7. Juni 2017

"Nostalgie liegt mir einfach nicht"

Interview geführt von

Im September kommt Paul Weller für drei weitere Dates nach Deutschland, den ersten Teil seiner Tour, den er soeben absolviert hat, begleiten höchst unterschiedliche Konzertkritiken. Während die einen den Ex-Kopf von The Jam und Style Council abfeiern, bemängeln andere die Tatsache, dass sich zu wenige alte Hits auf seiner Setlist befinden.

Weller selbst dürfte das kaum kratzen, der 59-Jährige macht es von je her auf seine Art. Am Tag nach einem verschwitzt-euphorischen Konzert in der Hamburger Markthalle erwischen wir Paul Weller backstage, unmittelbar nach dem Soundcheck im Huxley's zu Berlin.

Paul Weller, wie läuft es in Berlin, wie war der Soundcheck?

Wir sind gerade fertig, klingt ganz großartig alles.

Ich hatte den Eindruck, dass gestern Abend in Hamburg etwas ganz Besonderes in der Luft lag.

Mann, das kannst du wohl sagen. Was für ein fantastisches Publikum, diese Energie, die da zu spüren war. Dabei waren wir zu Anfang noch ein bisschen eingerostet. Es war die erste Show seit sechs Wochen, so hundert Prozent spielbereit waren wir nicht, aber die Crowd war absolut großartig.

Wie viele Songs lang dauert es, bis man merkt, dass das ein außergewöhnlicher Abend wird?

Gestern haben wir das schon vorher gemerkt, als wir noch backstage waren. Es gab in der Halle schon diesen ganz bestimmten Buzz.

In der Hamburger Markthalle hast du dich im Gegensatz zu fast allen anderen Venues der Stadt lange nicht blicken lassen.

Das stimmt tatsächlich. 1978 war das mit The Jam. Ganz ehrlich: Ich kann mich nicht im geringsten daran erinnern. Aber die Halle ist großartig, die Leute sind so unglaublich dicht dran, du kannst sie berühren und ihnen in die Augen schauen.

Hat sich das Live-spielen für dich über die Jahre verändert?

Ich liebe es einfach. Der Aspekt des Tourens selbst, das Unterwegssein kann schon mal an den Nerven zehren, aber das Spielen liebe ich mehr als je zuvor. Seit ich aufgehört habe zu trinken, das sind jetzt sieben Jahre, genieße ich es mehr und kann es besser wertschätzen. Alles, was mit dem Publikum zu tun hat, was da passiert, ist mir heute viel bewusster.

Hattest du jemals die Schnauze voll vom Spielen?

Klar, da gab es schon Phasen, aber ich habe mir dann auch immer mal wieder Auszeiten genommen. Platten gemacht, ein Jahr pausiert, dann wieder auf die Bühne zurückgekehrt. Diese Breaks fand ich immer wichtig, aber irgendwann kribbelt es auch wieder. Ich brauche das einfach, das Spiel mit anderen Musikern, das Publikum. Und es ist mir völlig gleich, ob es dann ein kleiner Pub oder eine riesige Halle ist.

Mit "A Kind Revolution" ist soeben dein neues Album erschienen, nach "Wake Up The Nation" vor sieben Jahren ein weiterer Titel mit politischem Unterton.

Ja, dabei sind die Dinge in dieser Zeit noch weiter den Bach runtergegangen. Schau dir an, in welchem Zustand die Welt ist. Der Titel stammt aus dem Song "The Cranes are Back", für mich geht es um eine Revolution der menschlichen Seele. Dinge wie Mitgefühl und Nächstenliebe müssen wieder in den Vordergrund rücken, aber es ist auch klar, dass dieser Wechsel nicht über die Politik oder Religion vollzogen wird. Das muss von den Menschen selbst kommen. Ich würde die Platte dennoch nicht als ein politisches Album bezeichnen, ich fand den Titel nur sehr passend und stimmig

Hattest du damit gerechnet, dass deine Landsleute im letzten Jahr für den Brexit stimmen?

Nicht im geringsten, Mann. Wir waren davon völlig geschockt und überrumpelt, ebenso von der ganzen Geschichte mit Trump. Es waren halt viele ältere Leute, die für den Brexit gestimmt haben, die Jungen wollten in der EU bleiben. Das ist schon eine ziemlich egoistische Entscheidung gewesen, der Jugend so den Weg zu versperren. Aber sei es drum, die Dinge sind passiert und letztlich ist das halt die Demokratie.

"Keine Zeit für Nostalgie"

Was erwartest du von den Wahlen am Donnerstag?

Ich hoffe, dass das wieder so ein Morgen wird, an dem man beim Aufwachen total überrascht ist. Alles ist möglich inzwischen, schau dir an, wie die letzten Prognosen waren und wie die Wahlen, ob nun Trump oder Brexit, dann ausgegangen sind. Ich hoffe, diesmal passiert wieder so etwas. Wir haben um die 400.000 Erstwähler und ich kann mir nicht vorstellen, dass all die jungen Leute losgehen und die Tories wählen. Die sind einfach schlecht für uns alle.

Sprechen wir über das aktuelle Album. Wenn man sich das "Making Of" anschaut, dann muss die Produktion eine ziemlich entspannte Angelegenheit gewesen sein, geradezu familiär.

Das war in der Tat sehr entspannt. Also, natürlich ist das auch kreative Arbeit, aber alles in einer Atmosphäre, in der man Ideen ausprobieren kann, ganz gleich von wem sie kommt. Vieles ist so erst bei der Produktion entstanden, das ist ein ganz inspirierender Vibe, der da herrscht.

Oft ist die Rede vom Leid und vom Schmerz eines Künstlers, aus dem seine Kreativität erwächst. Kannst du damit heutzutage noch etwas anfangen?

Ich war nie der Auffassung, dass große Kunst nur aus dem Schmerz entsteht. Ich glaube nicht daran, das habe ich noch nie. Meine Songs entstehen aus den unterschiedlichsten Stimmungen, auch mal aus einer dunklen heraus, aber ich sehe es absolut nicht so, dass man nur an seinen dunklen Orten zu großer Kunst findet, nicht im geringsten.

Von der Idee mit Boy George zu arbeiten, hattest du mir schon vor einiger Zeit erzählt, nun hat es endlich geklappt. "One Tear" scheint wie gemacht für seine Stimme.

Wir hatten uns tierisch lange nicht gesehen, aber es klappte ganz vorzüglich. Es war wicked, er war gar nicht so lange im Studio, nur ein paar Stunden. Wir hatten eine Tasse Tee zusammen und haben angefangen zu arbeiten. Ich hatte seine letzten Solosachen gehört und war begeistert davon, wie seine Stimme sich entwickelt hat. Ich mochte sie schon immer, klar, aber heute hat sie noch viel mehr Soul und an Tiefe gewonnen.

Bei den knalligen Bildern, die man von euch zusammen aus den 80ern findet, habe ich es mir ziemlich unterhaltsam vorgestellt, in alten Anekdoten zu schwelgen.

Ja, da gibt es wirklich ein paar schräge Aufnahmen von uns, aber die Zeit für ein bisschen Nostalgie war gar nicht da. Das liegt mir eh nicht. Er hat die Vocals sehr zügig eingesungen und das war’s.

"The Cranes Are Back" hattest du schon erwähnt. Worum geht es in dem Song?

In einigen Kulturen stehen die Kraniche für Wiedergeburt und Neustart. Wenn die Kraniche zurückkommen, beginnt etwas Neues. Ich mag diese Metapher und habe sie für den Song, in dem es um Hoffnung und Besserung und Wiederaufbau geht, verwendet.

Die letzten Alben lag oft eine klare Soundidee zu Grunde, wie war das diesmal?

Wenn man mit einer Produktion anfängt, dann hat man schon eine gewisse Vorstellung, wo die Reise hingehen soll. Am Ende kommt aber oft etwas ganz anderes, oftmals auch Unerwartetes dabei heraus. Ich mochte den Sound der letzten Platte "Saturns Pattern" sehr, wollte an der Stelle weitermachen. Ob das nun letztlich geklappt hat, muss auch der Hörer entscheiden. Ich denke, die neue Platte klingt ein wenig luftiger, der Soul-Einfluss ist noch größer. Aber ich bin schlecht bei solchen Einschätzungen. Sie klingt, wie sie klingt und das gefällt mir. Wenn es dann auch noch der Hörer mag, hab ich mein Ziel erreicht.

"Das nächste Album wird eine ganz andere Nummer"

Wenn es um Touren geht, gibt es bei dir immer wieder neue Ideen. Du hast auf Waldlichtungen gespielt, zuletzt in englischen Städten, in denen du während deiner Karriere noch nie aufgetreten bist. Im Herbst in den USA, im Frühjahr 2018 im UK, bist du in großen Arenen zu sehen. Wie schaut es da mit der Vorfreude aus?

Das ist schon etwas knifflig. Die Dynamik ist so anders als in Clubs oder kleineren Hallen. Ich kann nicht behaupten, dass ich durchdrehe bei dem Gedanken daran, aber manchmal muss es eben sein. Ganz sicher sind das nicht meine Lieblingsgigs, dennoch: Du weißt nie was passiert, auch diese Shows können ganz unvorhergesehen verlaufen. Zu meinen Favoriten gehören die Arenen aber sicher nicht, ich bevorzuge solche Venues, wie ich sie gerade toure. Ich kann mich nur wiederholen: So etwas wie gestern in der Markthalle, diese Enge, diese Nähe, das ist einfach nicht zu toppen.

Mit "Jawbone" gab es in diesem Jahr bereits ein Album von dir, ein kompletter Film-Soundtrack.

Eine großartige Erfahrung. Ich habe so etwas noch nie gemacht, aber ich hatte völlig freie Hand, das war mein Glück. Ich mag es, wie sich der Film entwickelt, ich war von Anfang in den Schaffensprozess eingebunden.

Wer dich kennt, weiß, dass du bei Erscheinen eines neuen Albums meist schon weite Teile des nächsten parat hast. Ich würde drauf wetten, dass es auch diesmal so ist.

Ja, da würde ich nicht gegenhalten, aber es ist schon noch einiges zu tun. Das wird sicher noch bis nächstes Jahr dauern. Ich möchte ein Akustikalbum plus Orchester machen, ein paar Co-Writer schweben mir auch schon vor. Leute wie Lucy Rose zum Beispiel, sie ist eine großartige Sängerin, eine fantastische Stimme. Dann denke ich an Conor O'Brien von den Villagers, außerdem Richard Hawley. Ich denke, das wird noch mal eine ganz andere Nummer als meine aktuellen Sachen.

Hat dein Cameo-Auftritt in "Sherlock" eine Leidenschaft fürs Schauspielerin entfacht?

Nein, sicher nicht. (lacht) Meine Ambitionen sind damit ziemlich ausgeschöpft. Ich ziehe meinen Hut vor den Leuten, ich weiß nicht, wie sie das machen. Die Arbeit im Studio ist für einen Musiker zuweilen schon hart, aber als Schauspieler? Das ist fucking tough. Den ganzen Tag im Trailer auf seinen Einsatz warten und dann auf Knopfdruck funktionieren, das ist völlig verrückt.

Du hast auf jeden Fall ziemlich überzeugend ausgesehen.

Oh, danke. Ich war ein wirklich überzeugender toter Wikinger.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Paul Weller

Als Paul Weller 1975 die britische Pop-Sensation The Jam gründet, ist er gerade mal 17 Jahre alt. Geboren am 25. Mai 1958 in Woking/Surrey, feiert der …

Noch keine Kommentare