laut.de-Kritik
Vom Artrock und Pop zurück zu den Motown-Klassikern.
Review von Ulf KubankeAn Philip David Charles Collins scheiden sich die Geister. Für die einen ist er ein brillanter Popmusiker, Trommler und (Ex-)Artrocker, anderen steht er vornehmlich für die kreative Nivellierung von Genesis seit den 80ern. Auch seine insgesamt unfassbar erfolgreiche Solokarriere zeugt von Glanztaten und Fehltritten gleichermaßen.
Seit mehr als 20 Jahren warten wir darauf, dass der zur Doris Day des Pop mutierte Engländer endlich mal wieder echte Hammersongs wie "I Don't Care Anymore", "Do You Know, Do You Care?" oder das Referenzlied "In The Air Tonight" veröffentlicht. Bislang ohne Erfolg. Und um es vorwegzunehmen: "Going Back" wird daran leider nicht das Geringste ändern!
Die gute Nachricht: Der Londoner geht tatsächlich zurück in Richtung "Hello, I Must Be Going" anno 1982 und lässt fast allen furchtbar mediokren Soundtrack/Solo-Schlagerschmalz der letzten Jahre hinter sich. Die nicht ganz so gute Nachricht: Onkel Phil fokussiert sich dabei auf das käsige "You Can't Hurry Love" und kredenzt der Welt ein ganzes Album mit 18 Coverversionen berühmter Motown-Soul Klassiker der überwiegend mittigen Sechziger. Was bitte soll das? Nun, zu den nahenden eigenen Sixties beschenkt sich der 59-Jährige einfach selbst und nimmt die ihn prägenden Smash-Hits der eigenen Teeniejugend auf.
"Das kann nur grausam werden!", möchte man reflexartig ausrufen. Der britische Saubermann und die braven, porentief von allem schwarzen Schweiß gereinigten Lieder des Berry Gordy-Stalls zielen gemeinsam auf die Supermärkte und Bügelbretter dieses Planeten? So schlimm ist es zum Glück nicht. Das Ergebnis kann sich in der Tat über weite Strecken hören lassen.
Collins hat nämlich zwei Asse im Ärmel, die er gewohnt lässig herausschüttelt. Zum einen setzt er wieder einmal auf Authentizität. 1984 bediente er sich für "Easy Lover" am Feuer des Earth, Wind & Fire-Sängers Phil Bailey. Für dieses Konzeptalbum hat er gleich drei Überlebende der Motown-Haus- und Hofkapelle Funk Brothers ausgegraben. Die altehrwürdigen Herren legen so leidenschaftlich befreit los, wie es ihnen vor 45 Jahren verwehrt war. Das wirkt anscheinend auch auf Nesthäkchen Phil wie ein Ansporn.
Von der Stimmlage her eignet sich der samtene Cheswicker ohnehin erstaunlich gut für Soul-Interpretationen. "Standing In The Shadows Of Love" (Four Tops, 1966) zum Beispiel löst sich funky vom gebremsten Schaum des Original-Arrangements. So viel James-gebräunte Frische und Passion bei Solo-Phil erstaunt und erfreut. Stevie Wonders frühe Single "Uptight (Everything's Alright)" oder Smokey Robinsons "Going To A Go-Go" fallen auch nicht gerade blamabel aus.
So richtig zum Limit pushen die alten Funk-Haudegen das ehemalige Artrock-Weißbrot aber vor allem mit "Papa Was A Rolling Stone". Die scheinbar totgenudelte und plattgecoverte (George Michael, Stefan Gwildis) Temptations-Hymne erweist sich als unzerstörbar. Die Funkbrüder entrosten gekonnt das eigene Stückchen Historie; Collins phrasiert beseelt ohne deplazierte Superstaregozentrik.
Mit "Never Dreamed You'd Leave In Summer" (Stevie Wonder, 1971) zeigt sich der seit 1993 zunehmend abgehalfterte Balladenkönig wieder in alter Form. Diese intensive Version kann sich sogar mit dem seinerzeit hochgelobten Joan Baez-Cover des Liedes aus dem Jahr 1975 messen, ohne schamhaft zu erröten. Das stand wahrlich nicht zu erwarten.
Nach so viel Lob insgesamt nur drei Punkte? Ja! Um ehrlich zu sein, ist es sogar eher eine aufgerundete 2,5. Neben den erwähnten schicken Variationen gibt es leider auch eine Anhäufung Patina-beladener 08/15-Tracks für weiße Schaumschläger, die man - wenn überhaupt - nach mehr als vier Jahrzehnten sicherlich nicht als aufwändige Neuauflage braucht. Nervige Ohrwürmer vom Schlage "Girl (Why You Wanna Make Me Blue)", "In My Lonely Room" oder "Do I Love You" tönen trotz knuffigem Muppet Show-Band Saxofon und forschem Handclapping eher Leiden schaffend als leidenschaftlich. Das trübt den Spaß nicht unerheblich.
Am Ende möchte man dem sympathischen Drummer zum Geburtstag doch ein wenig durchrütteln und ihn daran erinnern, dass es eine Zeit gab, in der er der unanfechtbare Dr. Gated Reverb war, bevor er zum zahnlosen Mr. Mainstream wurde. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Mit den guten Ansätzen dieser Platte geht es bald vielleicht auch wieder mit den eigenen Kompositionen aufwärts. Wir warten weiterhin geduldig.
4 Kommentare
Phils Cover von "Standing in the Shadows of Love" ist so erbärmlich.
er hat einen drumsound und -stil geprägt, dafür hat er für immer meine anerkennung
was ich nicht kapiere, ich dachte er DARF auch gar nicht mehr schlagzeug spielen wegen seinen rückenproblemen?
spielt jemand anders die drums und er singt nur und bedient die tasten? (sorry, bin grad zu faul selbst zu recherchieren )
Heatwave kommt dreimal am Tag im Radio. Als würde es keine neuen Songs geben. die man spielen könnte.
@Dragnet (« Heatwave kommt dreimal am Tag im Radio. Als würde es keine neuen Songs geben. die man spielen könnte. »):
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