laut.de-Kritik
Eine Nachhilfestunde für Bendzko, Bourani und Co.
Review von Kai ButterweckTim Bendzko, Andreas Bourani und Co., sperrt eure Lauscher auf: Philipp Poisel zeigt euch, wie es geht. Selbst Dieter Bohlen wünscht sich von seinen DSDS-Geiseln immer mal wieder tiefgründige Deutschpop-Kunst im Stile Poisels. Den Gefallen tut ihm aber natürlich kein Casting-Opfer, denn einen Philipp Poisel gibts nun mal nicht an jeder Ecke.
Die melancholische Tiefe, mit der der schwäbische König der Deutsch-Poeten auf seinem neuen Album wieder zu Werke geht, zeigt allen Mitstreitern, wie schlecht es wirklich um sie bestellt ist. Aus dem fernen Nashville bläst er zum Großangriff. Erstmals mit kompletter Band im Schlepptau, bricht der Sänger aus seinem stillen Kämmerchen aus.
Aber keine Angst, Poisels markante Stimme marschiert auch umgeben von 80s-Schlagzeugsounds und wallenden Keyboardsphären immer noch vorneweg. Abermals flüstert, singt, jauchzt, schluchzt und kiekst sich der Barde seinen Kummer von der Seele. Ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wirklich das Maß aller Dinge? Poisel, der die meisten neuen Songs bereits lange vor dem Donald Trump-Chaos im Kasten hatte, hegt da so seine Zweifel.
So wie im Titeltrack beschrieben, präsentiert sich die amerikanische Freiheit schon lange nicht mehr: "Wie eine Straße in den Süden / So wie ein Kornfeld, endlos weit / So wie Flüsse ihre Betten durch die Schluchten schlagen / Hohe Pässe, tief verschneit / So wie ein Sommer in der Wüste / Wie bei Woodstock mittendrin / Tiefe Wälder, kalte Meere / In deinen Armen fühle ich mich frei", heißt es in dem mitreißenden Stück, das musikalisch an die Glanztaten des zweiten Mona-Albums "Torches & Pitchforks" erinnert.
Aber es geht ja auch nicht um das Hier und Jetzt. Vielmehr schwelgt Poisel in alten Kindheitsträumen und skizziert das Bild von einem Land, so wie er es sich einst vorgestellt hat. Inspiriert von Erinnerungen an Mickey Mouse, den drei Fragezeichen und endlosen Nachmittagen mit der Nintendo-Konsole auf dem Schoß. Den erhobenen Zeigefinger versteckt er dabei bewusst hinter dem Rücken. Poisel hat mit politischen Äußerungen nichts am Hut.
"Mein Amerika" ist kein zweites "Bis Nach Toulouse" geworden. Es erinnert auch nur in den ruhigsten Momenten an Poisels Debüt "Wo Fängt Dein Himmel An?". Mit seinem dritten Album geht der Songwriter neue Wege. Wortgewandt entführt er uns in eine Zeit, in der ein Bruce Springsteen Singer/Songwriter-Perlen wie "Tougher Than The Rest" und "I Wish I Were Blind" ins Rennen schickte. Damals hatte man hierzulande noch ein anderes Amerika-Bild vor Augen.
4 Kommentare mit 5 Antworten
Bei "Bis nach Toulouse" fehlte mir im Album ein roter Faden und bei einigen Stücken hätte ich mir gern einen Aha-Moment gewünscht. Jetzt ist der rote Faden da, die Lieder verfügen praktisch durch die Bank über einen Aha-Effekt, und trotzdem halte ich das Album für schlechter als seinen Vorgänger.
Im Grunde hatte ich oft genug beim Hören den Eindruck, einen Blick in Poisels Skizzenblock zu werfen. Die Texte sind weniger geschlossen als früher, vieles wirkt fahrig ausgearbeitet, manches wie durch Zufall an eben diese Stelle geraten. Und bei der Musik habe ich auch leider das Gefühl, daß Poisel sich langsam auf den restlichen Deutsch-Pop zubewegt und dort mitmischen will. Im Augenblick habe ich das Gefühl, er wolle mit Macht seine Ausnahmestellung einbüßen. Wäre schade.
Im großen und ganzen haben mir bei diesem Album die Überraschungen gefehlt. Daß er es noch kann, zeigt er allerdings noch an einigen Stellen. "Das kalte Herz" hätte ich von ihm in dieser Konsequenz nicht erwartet.
Das Album hat sich jetzt schon einige Male gedreht, aber im Augenblick fehlt mir die Perspektive, daß irgendeins der Stücke noch weiter wachsen könnte. Es ist okay, aber die Stimme allein und ein paar gute Songstrukturen sind zu wenig für meine Erwartungshaltung. Da hätte noch 'ne Schippe mehr kommen dürfen.
Gruß
Skywise
Danke für diesen Eindruck. Finde Poisel eigentlich auch grandios, auch wenn das Geschluchze schon oft überhand nimmt. Werde mal reinhören hier, hat aber keine Eile.
Echt mal, legitimer Nachfolger von Jammerbarde Xaver. Erinnert mich immer an den Romantiker aus Teuflisch, der beim Anblick des Sonnenuntergangs in Tränen ausbricht.
Aber schon gute Songs, keine Frage.
Ach lauti... :^)
Ein gewisses Können kann man ihm schlecht absprechen, habe ihn vor einigen Jahren gar mal in kleinem Rahmen Live gesehen, aber das ist mir einfach zu weichlich und wehleidig. no thanks.
Richtiger Lauch
Sollte sich besser niemand antun.
Cuck.
Poisel halt. Grönemeyer Jr.